So laut könne es bei den paar Boxen auf der Bühne ja gar nicht werden, sagt eine Frau, während sie in einer der hinteren Reihen der Tribüne platz nimmt. Es ist kurz vor 21 Uhr, der Saal des Berliner Radialsystem V, in schummriges Licht getaucht, füllt sich nach und nach. Einen Moment lang fühlt es sich an wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Vor einem guten Monat kulminierte an gleicher Stelle das A L‘arme Festival in einer ohrenbetäubenden Feedbackorgie von Caspar Brötzmann, Michael Wertmüller und Marino Pliakas. Damals hatten sich die Drei nach Ende des Konzerts beseelt angegrinst. Ein Grinsen, das sich – im Nachhinein betrachtet – als bedeutungsschwanger erweisen sollte, denn heute stehen sie im Bandgewand als Nohome wieder auf der Bühne und lassen ein illustres Publikum an der Entstehung ihres ersten Albums teilhaben. 

(Foto: Peter Gannushkin / Downtownmusic.net)

Die Saalbeleuchtung wird gedimmt als Caspar das Podium betritt, ein letztes Mal an seiner Zigarette zieht und seine Verstärker anschaltet. Er trommelt mit den Fingern auf den Kopf seiner Gitarre – prompt erfüllt ein tiefes Dröhnen den Raum und straft die achtlos geäußerten Worte aus dem Auditorium Lügen. Es dauert nicht lange, bis das Dreigespann in seinem Element ist: Aus allen Ecken fiept, quietscht und grollt es, ab und an durchbricht eine wütende Trommeltirade die diffuse Klangwolke und zwingt die ersten dazu, sich die Finger in die Gehörgänge zu schieben. Nach drei Stücken eine kurze Verschnaufpause – Zeit genug, Bier zu holen und das, ob der schieren Wucht der vergangenen halben Stunde, kollektiv etwas desorientiert grinsende Publikum zu betrachten.

Über der zweiten Konzerthälfte schwebt ein Hauch der Geschichtsträchtigkeit, als Ex-Einstürzende Neubauten-Perkussionist FM Einheit die Bühne betritt. Von der Saaldecke hängen zwei riesige Stahlfedern und eine Metallplatte herab – auf dem Boden verteilt liegt ein Instrumentarium, das so auch hätte aus einer Obi-Werbung stammen können: Akkuschrauber, Hammer und ein Sammelsurium an Metallstangen. Es zischt, wabert und knarzt, als er beherzt auf die seltsam antiquiert wirkenden Überbleibsel einer vergangenen Technologieepoche einschlägt, sie biegt, schwingen lässt und schließlich mit dem Bohrer malträtiert. Nach einer Weile staunenden Betrachtens, beginnen Nohome einen Gegenpol zu schaffen und ganz urplötzlich verdichtet sich alles zu einer unglaublich intensiven Klangwand, die – während sie auditiv verprügelt – wie gebannt auf das symbiotisch interagierende Bühnenspiel starren lässt.

Ebenso urplötzlich ist der Spuk vorbei. Wieder grinst man, verbeugt sich, genießt den frenetisch aufbrandenden Applaus und verschwindet schließlich hinter der Bühne. Wenig später steht Marino Pliakas mit einem Glas Wein im Foyer und fragt etwas erstaunt: War es laut? War es.

Robert Henschel