Against Me! Aus Gainesville, Florida, sind nervlich derzeit an der Belastungsgrenze. Einst gestartet als Gegenentwurf zum Mainstream und als lautstarke, globale Missstände anprangernde Protestmaschine, wurden Against Me! nach dem Wechsel von ‘Fat Wreck Chords’ zum Kultlabel ‘Sire’ zur Zielscheibe ihrer einst selbstgezüchteten Anhängerschaft.

Der Grund: das neue Album “New Wave” ist im Gegensatz zu seinen Akustiksongs und Folk-Punk-dominierten Vorgängern wesentlich eingängiger und chörelastiger ausgefallen, was nicht zuletzt an Produzenten-Legende Butch Vig liegen dürfte. Er verpasste Against Me! einen modernen, mitreißenden Sound, der die unwiderstehliche Live-Energie des Quartetts um Frontmann Tom Gabel einfängt und Songs wie “White People For Peace” oder “Up The Cuts” zu neuen, zeitgemäßen Punkrock definierende Hymnen wachsen lässt.

Against Me! selbst beobachten die Reaktionen, ob euphorisch oder gnadenlos abstrafend, mit einer Mischung aus Argwohn und Unsicherheit. Den Schritt zum Mainstream, den eine so viel Identifikation und Leidenschaft stiftende Band wie Against Me! eines Tages gehen muss, haben andere Punk-Bands bereits erfolgreich gemeistert: Green Day, Rancid, Rise Against – die Liste ist endlos. Diese Bands begegnete sämtlichen Vorwürfen stets mit einer gesunden Mischung aus fundierten Argumenten, Selbstironie und Humor – Charaktereigenschaften, die offensichtlich nicht unbedingt zu den Stärken von Against Me! zählen. Im Zuge des die Veröffentlichung begleitenden Interview- und Konzertmarathons (bis August spielten Against Me! mehr als 150 Konzerte) machte die Band deutlich, wie die stets gebetsmühlenartig wiedergegebenen Statements zu den immer gleichen Themen an ihren Nerven nagten.

Als wir die Band im März der Yale-Stadt New Haven, Connecticut, besuchen, ist von der späteren Spannung wenig zu spüren. Im Gegenteil. Tom Gabel und sein Bassist Andrew Seward sind exzellent aufgelegt, als wir sie kurz vor ihrem Auftritt im legendären “Toad’s Place” zum Interview treffen. Damals, rund vier Monate nach Beendigung der Aufnahmen, merkt man Gabel und Seward die Euphorie ob der gelungenen Albumproduktion an, ausführlich erzählen sie von den gemeinsamen Wochen mit Butch Vig, mit dem sie in Los Angeles zunächst zwei Wochen intensiv probten, um die zehn Songs der “New Wave” bis ins Detail zu verinnerlichen. Die anschließenden Aufnahmen standen ganz im Zeichen des Anspruchs der Band, “eine enorm klingende Platte aufzunehmen”, was der Band zweifellos gelungen ist. Bis zur gemeinsam von Gabel und Tegan & Sara-Sängerin Tegan eingesungenen Ballade “Borne On The FM Waves Of The Heart” gibt es keine Verschnaufpause, Against Me! schütteln eine Hymne nach der nächsten aus dem Ärmel. Mittlerweile hat es mit “Trash Unreal” bereits der zweite Song zu einem eigenen, in diesem Fall Performance-Video geschafft, nachdem die Band auf Grund ihrer Non-Stop-Welttournee am Clip zu “White People For Peace” nicht teilhaben konnte.
Ein Großteil des neuen Materials entstand auf der letztjährigen Against Me!-Tour in Europa, einer scheinbar kreativen Hochphase der Band, als sie Abend für Abend neue Ideen live umsetzten, um die neue Songs dem Praxistest zu unterziehen.

“Wenn die Leute bei einem neuen Stück abgingen, haben wir ihn behalten”

, sagt Gabel. “wenn nicht, haben wir die Idee verworfen. Ich weiß bei jedem einzelnen Song auf dem Album, wo er entstand. Manche Stücke schrieb ich in Deutschland, eines in Belgien, eines in Frankreich und eins in meinem Hotelzimmer auf dem Weg zu den Aufnahmen in Los Angeles. Ich weiß, dass ein Lied gut ist, wenn ich mich daran erinnern kann, wo ich es geschrieben habe.” Gabel verpasste seinen Stücken auch diesmal deftige, selbstreflexive oder sich globalen Themen widmende Lyrics, die sowohl um sich schlagen können (“Piss And Vinegar”), appellieren (“Stop!”) als auch tief ins Innere der Band (“Americans Abroad”) und Gabel selbst zu schauen (“The Ocean”) vermögen.

Davon, dass der Frontmann mit seinem derzeitigen Status als sowohl Sprachrohr einer (links-)alternativen Szene und gleichzeitig neuem Stern am Rockstar-Firmament nicht wirklich zurecht kommt, zeugen derzeit Schlagzeilen wie die des Tallahassee Chronicle, der am 13. August von dem schicksalhaften Aufeinandertreffen von Gabel und dem 22-jährigen Jared Smith in einer Teestube berichtet. Dort, so heißt es, habe sich Gabel zunächst verbal mit Smith angelegt, bevor er handgreiflich wurde und zum dank dafür von der örtlichen Polizei für eine Nacht in Gewahrsam genommen wurde. Grund der Auseinandersetzung war lediglich der, dass Smith den Sänger zur Rede stellte, nachdem der einen im Cafe aufgehängten und mit Obszönitäten verunstalteten Zeitungsartikel von der Wand gerissen hatte. Der Rest ist Geschichte.

Derzeit spielen Against Me! weiter ihre mitreißenden Shows rund um den Globus, in der Hoffnung, dass sich die Aufregung um die Veröffentlichung der “New Wave” legt und sie sich nun auf das konzentrieren dürfen, was für sie immer am wichtigsten war: eine Band zu sein und Konzerte zu spielen. Denn das können sie immer noch am besten.

Text: Florian Hayler



Tracklist

01. New Wave
02. Up The Cuts
03. Trash Unreal
04. White People For Peace
05. Stop!
06. Borne On The FM Waves Of The Heart
07. Piss And Vinegar
08. Americans Abroad
09. Animal
10. The Ocean