In der Mittelhessen-Arena in Wetzlar ging am vergangenen Donnerstag die zweite Ausgabe von Stefan Raabs Bundesvision Song Contest über die Bühne. Nach einem spannenden Showdown setzten sich die Berliner Seeed mit “Ding” relativ deutlich durch. Für den motor.de-Beobachter war die allerseits hochgejubelte und extrem erfolgreiche Veranstaltung jedoch vor allem eines: Ein Ärgernis.

Wir waren ja durchaus guten Willens. Als wir am letzten Donnerstag die Puschen anzogen und uns auf die Couch begaben, wollten wir durchaus glauben, dass Raabs Bundesvision Song Contest frischen Wind ins Gebälk der deutschen Musiklandschaft bringen kann. Und als Alternative zum altbackenen Eurovision Song Contest (vormals Grand Prix) mag das sogar stimmen. Trotzdem: Wer sich auskennt in der deutschen Musikszene, für den war schon die Auswahl einiger Künstler mindestens verwunderlich.

Die Marschroute stand zumindest schnell fest: Blödel-Neo-NRW sollte es sein! Ein Großteil der Veranstaltung sorgte so für ein Wiedersehen mit einem eigentlich nicht unbedingt schmerzlich vermissten Genre. Sie wissen schon – Markus, Geier Sturzflug etc. In der unsäglichen Tradition solcher Knallchargen bewegten sich am 9. unter anderem TipTop aus Bayern und mit Sportfreund Peter Brugger, deren einziger Vorteil ist, dass man sie wenigstens aufrichtig scheiße finden darf. Weitaus ärgerlicher: Die auf Schülerband-Niveau agierenden Raketen aus Sachsen in einer Inszenierung als PIL für noch Ärmere; Die herzallerliebste Kindergarten-Krawalltruppe AK4711; die gänzlich unglamourösen und unglaublich schlechten 200 Sachen; die eigentlich nicht unsympathischen aber hier nur ärgerlichen Massiven Töne mit zurückgegelten Haaren und einigen, man sagt wohl: Bitches. So weit die NDW-Fraktion.

Was gab’s noch? Den Hamburger Aushilfs-Xavier Naidoo Ole Soul, die offenbar vor zehn Jahren bei RHP stehen gebliebene, aber echt knallharte G-Braut Pyranja, und – schlimmer geht’s immer – den thüringischen Spielmannszug von In Extremo mit possierlichen Benediktiner-Frisen. Fragen, die man außerdem stellen muss: Wenn Marlon nach Eigenauskunft launisch ist, warum muss er dann gleich uns die Laune verderben? Warum zieht Toni Carter weiße Klamotten an, um ihre Beliebigkeit und Blässe zusätzlich zu unterstreichen? Man weiß es nicht.

Auch eine Überlegung wert: Man kann ja Super-Oldies-und-das-Beste-von-heute-Dampfplauderern aus Hintertupfingen ein bundesweites Forum für ihre Plattitüden liefern – aber muss man das auch? Und: Warum wirken leicht bekleidete deutsche Tänzerinnen nie so lasziv wie die US-Kolleginnen? Bei soviel Schatten gab es natürlich auch etwas Licht. Ex-No Angel Nadja Benaisse gab als Nu-Soul-Diva eine gar nicht mal so schlechte Figur ab, die Berlinerin Diane hat für Brandenburg die Harmonien ihres Beitrags zwar bei Vanessa Paradis geklaut, wirkt aber wenigstens aufrichtig. Revolverheld brauchen noch ein bisschen, haben aber gute Ansätze. Und unter dem schlechten Sound haben wohl alle gelitten. Wir fanden natürlich TempEau. am besten – ist ja kein Geheimnis. Für deren ungekünstelten Aufschlag gab es immerhin einen achtbaren elften Platz.

Dass Seeed am Ende gewannen, war unter diesen Vorzeichen beinahe schon eine self fulfilling prophecy. Im Endeffekt reichte den Berlinern ein für ihre Verhältnisse erschreckend schwacher Song, “Ding”, um sich nach einem dramatischen Showdown dann doch relativ deutlich von der Konkurrenz abzusetzen. Insgesamt bot die Veranstaltung in Wetzlar, kommerziell ein voller Erfolg, ein desolates Bild bundesrepublikanischen Musikschaffens und bestätigte sämtliche Vorbehalte, die man gegen deutschsprachige Musik im Lauf der Jahre so angehäuft hat. Aber wie gesagt: Wir waren guten Willens.

Text: Torsten Groß

Die Gewinner des Bundesvision Song Contests:

1. Seeed, Berlin, “Ding”, 151 Punkte

2. Revolverheld, Bremen, “Freunde bleiben”,
136 Punkte

3. In Extremo, Thüringen, “Liam”, 134 Punkte

4. Nadja Benaisse, Hessen, “Ich hab’ dich” , 104 Punkte

5. OleSoul, Hamburg, “Zwischen Hamburg und Cologne” ,70 Punkte

6. Marlon, Niedersachsen, “Was immer du willst”, 59 Punkte

7. Tiptop, Bayern, “tiptop”,
53 Punkte

8. Pyranja, Mecklenburg-Vorpommern, “Nie wieder”, 50 Punkte

9. Massive Töne, Baden-Württemberg, “Mein Job”, 47 Punkte

10. Diane, Brandenburg, “Hast du kurz Zeit?”, 35 Punkte

11. TempEau, “Schleswig-Holstein”, “Schöner Tag”, 26 Punkte

12. 200Sachen, Rheinland-Pfalz, “Sekt zum Frühstück”, 18 Punkte

13. Reminder, Saarland, “Augen zu und rein”, 17 Punkte

14. Toni Kater, Sachsen-Anhalt”, “Liebe ist”, 12 Punkte

15. Die Raketen, Sachsen, “Popsong”, 10 Punkte

16. AK4711, Nordrhein-Westfalen, “Kein schönerer Land”, 6 Punkte