Genre hin oder her. Am Ende ist es das vermittelte Lebensgefühl, das für die geliebte Schubladenisierung ausschlaggebend ist. Das ist sowohl bei Röhrenhosen tragenden Inselschönlinge, als auch bei Windmühlenmetalern so. Bestes Beispiel für zu kategorisierende Vielschichtigkeit ist die Band Caliban. Aus unterschiedlichen Gerneflüssen Ideen aufsaugend, darunter vor allem Metal und Speadmetalansätze, versteht sich die Band als glasklare Hardcoreformation. Grund ist das besagte Lebensgefühl.

Gegründet wurde die Band 1997 im weniger für Musik, man sehe von Herbert Grönemeyer und seinem Stadionpop einmal ab, als vielmehr für Fußball bekannten Ruhrpott. Aber mit dem runden Leder haben Marc Görtz (Gitarre), Dennis Schmidt (Gitarre), Boris Pracht (Bass), Patrick Grün (Drum) und Andy Dörner (Gesang) wenig am Hut. Ihr samstägliches Murmeltier ist die Musik. Mal melancholisch, mal depressiv, dabei immer überraschend, schnell, hart und kraftvoll.

Namenspate für die fünf Ruhrpottler ist der deformierte Sohn der Sycorax aus Shakespeares „Der Sturm“. Ein Wesen, halb Mensch halb Tier. Brachial und unerbittlich.

Ihren Plattenvertrag erspielt sich die Band bereits im Gründungsjahr. Noch unter dem Namen Never Again lärmend, werden sie von Lifeforce Records gesignt. Bereits ein Jahr später steht das Debütalbum „Caliban“ in den Plattenläden dieser Republik. Solider Hardcore, der sich ein ums andere mal auf neue Grenzen zu bewegt. Mit der Platte im Gepäck bespielt die Band unzählige Städte Europas. Schnell wird aus dem kleiner Fünfer ein anerkannter Akt des Genres. Die Folge: Marc, Dennis, Boris, Patrick und Andy stehen plötzlich im Vorprogramm von Hardcore-Größen wie Morning Again, Earth Crisis und Cro-Mags.

Die endgültige Adlung erhält die Band nach der Veröffentlichung des zweiten Silberlings „A Small Boy And A Grey Heaven“. Ein Klassiker im Hardcore Geschäft. Man vergleicht die Ruhrpottler sogar mit Legenden wie Slayer und Hatebreed.

Zur gleichen Zeit entsteht ein Nebenprojekt mit der befreundeten Band Heaven Shall Burn. Die gemeinsame Split-EP findet sowohl bei Fans als auch bei Kritikern Wohlgefallen.

Der Drittling erscheint im April 2001 und hört auf den Namen „Vent“. Via Imperium/Howling-Bull Records wird erstmals der asiatische Markt erschlossen. Auch hier kommt die Musik aus dem Ruhrpott gut an. So gut, dass sich Caliban 2001 beim Beast-Feast Festival in Yokohama die Bühne mit Größen wie Machine Head, Biohazard, Slayer, Pantera und Morbid Angel teilen.

Aus dem Land der aufgehenden Sonne zurückgekehrt, geht Caliban das erste mal auf Amerikatour. Zusammen mit Bloodjina begeistern die fünf Vegetarier zahlreiche Konzertbesucher. 2003 ziehen sie ein zweites mal durch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Besonderes Highlight ist das Hellfest in New York, wo sie unter anderem mit A Life Once Lost, Dead To Fall und The Red Chord spielen.

Im Herbst des selben Jahres stehen die Arbeiten zum fünften Album an. Aufgenommen wird „Shadow Hearts“ im Woodhouse Studio. Heraus kommt ein Hardcore-Werk, das oft sämtliche Genre-Grenzen überschreitet, ohne sich dabei selbst zu vergessen. Es begeistert Fans und Kritiker mit Härte, Melodiösität und Harmonie. Es folgen Auftritte mit Killswitch Engage und Shadows Fall.

Wenig später erscheint der Nachfolger „The Opposite From Within“. Aufgenommen im schwedischen The Room-Studios in Göteburg, ist es eine gelungene Weiterführung des neuen Stilweges. Dabei stand der Band kein Geringerer als Andy Sneap zur Hilfe, der schon für Machine Head, Arch Enemy, Killswitch Engage die Mischpultregler bediente.

Die folgende Zeit wird getourt, getourt und nochmals getourt, zunächst geht es im April mit Scars Of Tomorrow und Evergreen Terrace durch die USA, ehe sie dorthin im April des folgenden Jahres mit God Forbid, It Dies Today und Full Blown Chaos zurückkehren. Danach stehen sie auf europäischen Bühnen. Zur Seite stehen ihnen dabei Lamb Of God, Every Time I Die und Unearth. Das Ende des Tourjahres bilden die „Spirit X-Mas“ Festivals mit Fear My Thoughts, Neaera und Maroon im Dezember.

Erholung? Entspannen? Zurücklegen? Nicht bei Caliban. Bereits im Frühjahr 2006 steht das neue Werk der Band im Regal. Neu sind bei „The Undying Darkness“ nicht nur die cleanen Vocals (Sänger Dennis Schmidt hatte extra Gesangsunterricht genommen), sondern auch Bassist Marco Schaller. Klarer Gesang, neues Soundgerüst. Und dennoch, oder gerade deswegen knüpft die Platte perfekt an den Vorgänger an.

Im Frühsommer 2007 erscheint die bislang letzte Platte „The Awakening“. Eine Rückbesinnung auf die alten Tage, hart, härter, am härtesten. Selten gab es auf einer Caliban-Platte derart viel Aggression auf einem Haufen. Das mag daran liegen, dass der prozentuale Anteil der cleanen Vocals massig zurückgeschraubt wurde, aber auch die Stimme von Schreihals Andreas Dörner klingt im Jahre 2007 so brutal und reif wie nie zuvor. Aggression mit Harmonie, Gepolter mit Melodie und Schreigesang mit überdimensional große Lungenflügeln. Unter Fans, das beste Caliban Album aller Zeiten.

Hans Erdmann