Nach dem Ausstieg bei Audioslave konzentriert sich Chris Cornell wieder auf seine eigentlich bereits Ende der Neunziger aufgenommene Solokarriere. Im Windschatten des Erfolgs mit seinem Titelsong zum letzten James-Bond-Abenteuer, “You Know My Name”, ist der frühere Stil Cornells auf dem neuen Album “Carry On” indes weitgehend mit Selbstzitaten angereichertem Mainstream-Rock gewichen. Wir sprachen mit dem einstigen Soundgarden-Sänger über die Nachteile eines Lebens als öffentliche Person, seine Drogenvergangenheit, sowie die wahren Gründe für das Ende von Audioslave.

Chris Cornell, der Song “No Such Thing” auf dem neuen Album enthält Zeilen wie “I saw the world and it looked beautiful/ Then the rain got in and ruined it all” Ist das als eine Art Kurzbiographie deines Lebens zu verstehen?
Für “No Such Thing” versuchte ich mich in den Kopf eines Selbstmordattentäters zu versetzen. Von jemandem also, der das Leben anderer Leute beendet und dadurch gleichzeitig auch sein eigenes ruiniert. Was geht in den Köpfen dieser Menschen vor? Insofern habe ich die dort angesprochenen Erfahrungen natürlich nicht selbst gemacht. Allgemein geht es aber darum, daran zu erinnern, dass man im Leben immer wieder die Freiheit hat, sich zu entscheiden. Ob wir ein erfülltes und selbstbestimmtes oder ein unbefriedigendes und selbstzerstörerisches Leben führen wollen, liegt zu großen Teilen in unserer Hand. Indem wir uns auf die positiven Dinge konzentrieren und uns keinerlei destruktiven Gedanken hingeben, können wir selbst die Richtung bestimmen. Selbst in völliger materieller Armut hat man diese Wahlfreiheit. Wenn man in dieser Situation nicht versucht, sein Leben zum Besseren zu wenden, wendet es sich vermutlich noch mehr zum Schlechten. Und mit diesen Dingen habe ich definitiv meine eigenen Erfahrungen gemacht. Ich hatte in den letzten 20 Jahren sehr glückliche, produktive und kreative Phasen, aber eben auch düstere, übellaunige und selbstzerstörerische. Wenn wir nun also zurück zu dem Selbstmordattentäter gehen: Das ist ja ein Phänomen. Warum stellt es für einen Menschen eine reizvolle Aufgabe dar, nicht nur sich selbst, sondern auch noch einen Haufen anderer Menschen umzubringen? Die Antwort liegt für mich auf der Hand: Wenn du dein eigenes Leben nicht schätzt, dann kannst du auch das Leben anderer Menschen nicht schätzen. Ich habe versucht, diese schweren Themen in einem simplen Rock-Song unterzubringen. Wie immer man das dann verstehen will, ich denke in jedem Fall, dass diese Themen eine allgemeine Gültigkeit besitzen.

Wer dich und deine Geschichte kennt, weiß, dass du diese Lektion auf die harte Tour lernen musstest. Du hast vor einigen Jahren den Drogen endgültig abgeschworen, inwiefern fühlst du dich seitdem als “Brand New Person”, wie ein weiterer neuer Song heißt?
Die einzige Kontinuität meines Lebens liegt in der Musik. Sie war da, als ich völlig am Boden und dem Tod näher als dem Leben war, und sie begleitet mich auch jetzt noch. Ohne Musik hätte ich es sicher nicht geschafft. Rückblickend fühlt sich mein bisheriges Leben für mich so an, als hätte ich all die Jahre versucht, mit einer Ladung schwerer Steine auf dem Rücken einen Berg zu besteigen – in der festen Überzeugung, dass man dieses Gewicht für eine Bergebesteigung unbedingt braucht. Ich habe es jedenfalls niemals in Frage gestellt. Irgendwann kommt aber der Punkt, an dem man feststellt, dass es ohne diese Steine viel leichter geht. Man fragt sich dann, warum man da nicht früher drauf gekommen ist, weil es ja eigentlich eine ganz leichte, logische Schlussfolgerung ist, findet aber keine Antwort. Als ich jung war, wollte ich um jeden Preis der Welt Musik machen, was damals ein ziemlicher Überlebenskampf war und viele Zweifel und Fragen aufwarf. Dieser Mensch bin aber schon seit 20 Jahren nicht mehr. Seit sehr langer Zeit bin äußerst privilegiert, kann von der Musik mehr als gut leben, habe die ganze Welt gesehen und so weiter. Trotzdem trug ich lange noch diese alte Last mit mir herum und war schlicht zu blöd, mich von ihr zu befreien oder sie auch nur in Frage zu stellen.

Aber wenn du diese Last nie getragen hättest, könntest du das befreiende Gefühl vielleicht auch nicht so sehr genießen, jetzt ohne sie zu leben…
Ja, das ist ganz sicher so. Ich denke oft, dass Leute, die ihr ganzes Leben über ausgeglichen, glücklich und im Reinen mit sich selbst verbringen, gar nicht so richtig schätzen können, über was für eine unfassbare Gabe sie da verfügen. Beide Seiten zu kennen hat definitiv auch seine Vorteile.

Das ist ja das komische an der menschlichen Natur: Wir müssen erst Leid erfahren, um das Glück schätzen zu lernen. Parallel zu den Veränderungen in deinem Leben hat sich auch deine Art Texte zu schreiben stark geändert. Was unterscheidet den Songwriter Chris Cornell von früher von dem heutigen?
Ich versuche seit einigen Jahren ein bisschen spontaner, ehrlicher und allgemein verständlicher zu schreiben und nicht so verschwurbelt-kryptisch und metaphorisch wie etwa zu “Badmotorfinger”-Zeiten, wo sich die Leute vermutlich die ganze Zeit über fragten, wovon zur Hölle ich da eigentlich singe. Ich will verstanden werden und meine wahren Gefühle rauslassen. In den frühen Soundgarden-Tagen schrieb ich eine Menge aufgeblasenen Müll. Damals dachte ich, das passe gut zur Musik und sei aufregend. Wahrscheinlich war ich aber einfach nur zu unsicher, mein wahres Gesicht zu zeigen. Die ersten aufrichtig autobiographischen Texte schrieb ich dann für mein erstes Soloalbum “Euphoria Morning”. Und auch die Texte des ersten Audioslave-Albums sind sehr direkt. Ich hatte damals nur wenige Tage Zeit, sie zu schreiben. Zu allem Überfluss war ich auch noch krank und schrieb also in ganz klaren, leicht verständlichen Worten meine Gefühle nieder ohne das später noch groß zu ändern oder etwas hinzuzufügen. Und diese Entwicklung hat sich seitdem immer weiter verfestigt.

Insbesondere bei den alten Fans war aber diese dunkle, metaphorische Herangehensweise sehr beliebt. Hast du manchmal das Gefühl, dass einige dieser Leute dich stellvertretend für sich selbst leiden sehen wollen. Dass man dir kein normales Leben zusteht, sondern du gefälligst bis ans Ende aller Tage der depressive Drogen-Chris sein sollst?
Vielleicht. Grundsätzlich haben viele Leute ja Probleme damit, wenn sich ihre Idole verändern. Egal ob das Musiker sind oder Schauspieler: Die Leute haben ein bestimmtes Bild von dir und dem soll man dann bitteschön immer entsprechen. Wenn man dann anfängt, ein zufriedenes Leben zu führen und andere Dinge wichtig zu finden, wird das als Verrat der ursprünglichen Werte empfunden. Dabei unterscheiden sich die Dinge, die ich privat durchmache, ja auch nicht so sehr von den Erfahrungen anderer Menschen. Und genau wie ich vielen Leuten in meiner depressiven Leidensphase aus dem Herzen gesprochen habe, gibt es sicher jetzt auch viele, die sich mit den Erfahrungen, diese Phase überwunden zu haben identifizieren können – nur sind das dann eben andere Menschen.

»Viele tappen in eine Falle und realisieren ihr Älterwerden nicht. Mit 50 zu singen ‘fuck the world, fuck yourself and fuck everything else’, als hätte sich die Welt nicht weitergedreht, ist aber natürlich peinlich…«

Die wichtigste Aufgabe eines jungen Musikers und Schreibers ist es meiner Meinung nach, gegen bestehende soziale und musikalische Missstände, also gegen das Establishment zu protestieren. Wenn du dann mit dieser Rebellion erfolgreich bist, ergibt es sich zwangsläufig, dass du ein Teil des Establishments wirst – und so natürlich zur Zielscheibe der nachgewachsenen Generation, die – zu Recht – abermals gegen etablierte Strukturen rebellieren will. Das ist ein ewiger Kreislauf. Was also bleibt übrig, wenn man älter wird, aber immer noch Musik machen will weil man sie so sehr liebt? Eine sehr wichtige Fragestellung insbesondere für Rockmusiker, da diese Musik ja so sehr von ihrer jugendlichen Attitüde lebt. Viele tappen in eine Falle und realisieren ihr Älterwerden nicht. Mit 50 zu singen “fuck the world, fuck yourself and fuck everything else”, als hätte sich die Welt nicht weitergedreht, ist aber natürlich peinlich. Man muss da seinen eigenen Weg finden zu dem man stehen kann. Für mich kann die Aufgabe also nur lauten Musik zu machen, die es der nachgewachsenen Generation Wert ist, gegen sie zu rebellieren. (lacht)

Vorhin hast du über dein Leben als etablierter Rockstar gesprochen. Kürzlich hast du die negativen Ausprägungen am eigenen Leibe verspürt, als du monatelang von einem Stalker verfolgt wurdest und dich teilweise in der Öffentlichkeit nicht mehr ohne Polizeischutz bewegen konntest.

Das sind natürlich die Dinge, die dann unweigerlich passieren. Das ging in den frühen Neunzigern los, als wir mit Soundgarden groß rauskamen, unsere Videos im Fernsehen gespielt wurden und so weiter. Man wird dann zur öffentlichen Person. Ich will mich aber nicht beschweren, das sind halt Sachen, die mit dieser Entwicklung unweigerlich einher gehen und die man als Teil des Ganzen akzeptieren lernt. Zumal die positiven Aspekte die negativen ja bei weitem überwiegen.

Das mag für Autogrammjäger und solche Dinge gelten. Aber wenn Morddrohungen ausgesprochen werden, ist das doch schon ein bisschen etwas anderes, oder? Zumal du ja inzwischen auch Familie hast, es also nicht mehr nur um dich geht. Hat man da nicht auch Angst?
Natürlich. Man hat Angst, man wird wütend. Meine Reaktion war vor allem Wut! Das ist natürlich eine ganz andere Situation als in den Neunzigern, als ich nur für mich selbst verantwortlich war. Ich kann nicht einfach aus dem Fenster springen wenn’s ungemütlich wird. Andererseits sorge ich mich durch diese Verantwortung für meine Kinder auch sehr viel mehr um mich selbst als früher. Letztlich ist es aber wirklich der Preis, den man als öffentliche Person bezahlen muss. Alle meine alten Freunde, die erfolgreiche Musiker wurden, mussten lernen, mit diesen Dingen umzugehen.

Bereits als die letzte Audioslave-Platte erschien, hast du von deinen Plänen für ein Soloalbum gesprochen. Hand aufs Herz: Hattest du damals auch schon vor, die Band zu verlassen?

Dass ich unabhängig von anderen Entwicklungen auch immer wieder alleine Platten machen würde, war mir immer klar. Was Audioslave betrifft, hat mich Rick Rubin immer wieder ermutigt, meine eigenen Songs mehr in die Band einzubringen. Fürs letzte Album schrieb ich dann unter anderem einen Song, in den ich meine ganze Seele gelegt hatte, und der sogar Ricks Lieblingssong bei diesen Aufnahmen war – und die anderen lehnten ihn ab und wollten ihn nicht auf dem Album haben. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich unbedingt wieder damit anfange musste, meine eigenen Platten zu machen, da ich Musik schreiben will, die veröffentlicht wird! Ich denke, sie hätten diesen Song unbedingt auf die Platte nehmen müssen. Schließlich mag ich auch nicht alles, was sie schreiben, aber das gehört dazu, wenn man in einer Band spielt. Man muss Kompromisse eingehen können! Das habe ich eingefordert und es ist nichts geschehen, also mache ich meine eigenen Platten.

Ganz so plötzlich kann diese Entscheidung aber doch wohl nicht gekommen sein. Im letzten Sommer sagtest du noch in allen Interviews, wie toll das Klima in der Band sei. Ein halbes Jahr später sprichst du nun auch von zwischenmenschlichen Problemen, wie hat sich das so schnell gewandelt?
Das hat sich wirklich nur aus dem Schreiben von Songs ergeben, von denen mit klar war, dass sie im Audioslave-Kontext nicht funktionieren würden, die ich aber unbedingt machen wollte, da mir ihre Richtung mehr zusagt.

Es hat also zwischen euch kein böses Blut gegeben?

Nein, in keiner Weise. Ich bin sehr stolz auf das, was wir geschaffen haben.

Nun gut. So ganz abnehmen kann ich es dir aber nicht, nach all den Freundschaftsbekundungen der letzten Jahre.
Weißt du, damit sind wir wieder am Ausgangspunkt unseres Gesprächs angekommen. Statt der Sache mit Argwohn zu begegnen, sollte man sie lieber positiv sehen. Wir haben sehr schnell zusammengefunden. Wir machten drei erfolgreiche Platten, nachdem anfangs die meisten Leute nicht gedacht hätten, dass diese Kombination überhaupt funktionieren würde. Wir haben eine Menge tolle Songs gemacht und einigen Menschen viel geben können. Nun ist es an der Zeit, dass jeder wieder seiner eigenen Wege geht. Wir alle genießen das großartige Privileg, Musik machen zu können und viele verschiedene Dinge im Lauf unseres musikalischen Lebens ausprobieren zu können. Dafür sollten wir dankbar sein.

Als du jung warst, hast du als Koch gearbeitet. Nun hast du seit einiger Zeit ein eigenes Restaurant in Paris. Ging damit ein alter Traum in Erfüllung?
In gewisser Weise schon. Mir schwebte immer vor, einen Treffpunkt für die Nachbarschaft in der man lebt, zu schaffen. Derartige Träume Realität werden zu lassen ist allerdings nicht besonders einfach, da es sehr schwer ist, mit einem Restaurant erfolgreich zu sein. Gar nicht so leicht, damit sein Geld zu verdienen, es sei denn man hat eine ganze Restaurantkette. Außerdem ist das extrem viel Arbeit, aber ich mag es.

Trifft man dich und die Familie dort häufiger?
Auf jeden Fall. Wenn wir in Paris sind, gehen wir so oft wie möglich dort hin. Es ist ja auch gleich bei uns um die Ecke.