Eine brasilianische Metal-Band mit amerikanischem Sänger schreibt ein Album über ein 700 Jahre altes Versepos eines italienischen Philosophen.
Die Fakten verwirren, ergeben aber bei genauerer Betrachtung Sinn: Sepultura sind zurück und haben mit ihrem ambitionierten Konzeptalbum “Dante XXI”, basierend auf der “Göttlichen Komödie” von Dante Aligheri, das beste Album der neueren Bandgeschichte im Gepäck. Grund genug für ein Gespräch mit Gitarrist Andreas Kisser und Sänger Derrick Green.
Ich muss zugeben, dass ich eher skeptisch war, als ich hörte, welches thematische Konzept ihr euch für das neue Album ausgesucht habt.
Andreas: Da jedes Album, das wir bis jetzt aufgenommen haben, von einer ganz speziellen Grundidee bestimmt war und wir in letzter Zeit viele Soundtracks komponierten, lag die Idee nahe, einmal ein Buch als Vorlage für ein Sepultura-Album zu verwenden. Mein Favorit war eigentlich “A Clockwork Orange” von Anthony Burgess. “Die Göttliche Komödie” war Derricks Idee, Ich war aber sofort davon überzeugt – aus diesem Text könnte man problemlos 20 Alben komponieren!
Dantes Text schildert die Reise des Erzählers durch die drei Reiche der Toten (Hölle, Fegefeuer und Paradies) und behandelt unter anderem griechische Mythologie, sowie Religion und Philosophie des 14. Jahrhunderts.
Andreas: Als ich mir den Text durchlas und auch etwas über Dante und sein Leben lernte, hatte ich das Gefühl, dass er und seine Zeit sich eigentlich kaum von unserer Zeit und dem, was wir erleben, unterscheidet. Da war es nicht sehr schwierig, den Inhalt zu aktualisieren und so eine Parallele zwischen den Welten herzustellen.
Die aber ziemlich pessimistisch ausfällt.
Derrick: Dantes Text ist im Grunde positiv und vermittelt Hoffnung. In der Hölle und im Fegefeuer sah er alle Übel seiner Zeit und der Vergangenheit und stellt sich ihnen. Somit kommt aus der Geschichte als weiserer Mann heraus. Unsere Chance heute besteht darin, Fehler einzugestehen, daraus zu lernen und das Gelernte zum Guten hin anzuwenden.
Andreas: Diese Idee wurde und wird in der Moderne von Menschen getragen wie Einstein, Gandhi, Mutter Teresa, dem Dalai Lama, Nelson Mandela oder auch Bono. Diese zeigen uns, dass es neben Konsum und dem gewalttätigen Oktroyieren von Religionen, Meinungen oder Lebensweisen eben noch etwas anderes gibt, für das es sich zu leben lohnt!
Neben den Texten begeistert natürlich die Musik. Sogar viele der alten Fans scheinen das Album zu mögen, auch wenn man den Eindruck haben muss, dass diese den “neuen” Sepultura nie eine Chance gaben und die Band immer an der Vergangenheit maßen.
Derrick: Zumindest für mich ist das nicht schlimm, denn ich war ja früher nicht dabei. Es ist kein Teil von mir. Meine Realität ist jetzt! Außerdem gab es diese Stimmen auch als Max noch dabei war. Bevor ich in der Band war, dachte ich immer, alle würden “Roots” lieben! Ich wusste gar nicht, wie viele Fans mit dem Album nicht klar kamen. Da habe ich dann gemerkt, dass ganz egal was man macht, sich irgendjemand immer beschwert. Es ist also egal.
In Deutschland gab es einige Verwirrung, weil Sepultura In Flames supporten. Eigentlich, so viele Stimmen, sollte es andersherum sein.
Andreas: Es ist Politik. Es sind nicht nur die Fans, die uns an der Vergangenheit messen, sondern eben auch die Musikindustrie. Wir hatte immer großartige Alben, aber leider keine Unterstützung von unserem Label ‘Roadrunner’. Aber sobald wir zu ‘SPV’ gewechselt sind, kam auch der Erfolg wieder. “Roorback” lief unglaublich gut, wir tourten knapp drei Jahre überall. Mit dem vollen Support des Labels und dem neuen Album werden wir bald wieder in der Position sein, besser verhandeln zu können.
Derrick: Oft spielen wir sogar unsere besten Gigs als Support. Man muss rauskommen, hart und aggressiv sein Set durchprügeln, dass die Leute sich am Ende nur noch baff fragen können: “Jesus! Und das war erst die Vorband?!”
Derartige Charakterstärke könnte auch beim nächsten Ozzfest von Vorteil sein. Was ist dran an den Gerüchten, dass Sepultura auf dem mächtigsten Marketing-Tross der USA mitfahren?
Derrick: Wir waren lange nicht mehr in den USA auf Tour, und es wäre ein große Sache, mit diesem Album auf dem Ozzfest zurückzukommen.
Das Ozzfest hat vor allem wegen seiner offensichtlichen pay-to-play Politik nicht den besten Ruf. Um sich einen Platz im Billing zu sichern, wechseln schon mal sechsstellige Beträge den Besitzer.
Derrick: Fuck That! Es ist Kunst und außerdem unser Job! Ich war so enttäuscht, als ich zum ersten Mal davon gehört habe.
Andreas: Wir haben das nie gemacht und werden es auch nie machen.
Danke für das Interview und die klaren Worte!
Text: Martin Schmidt
No Comment