Ich bin Bartträger. Eigentlich schon seit dem Tag, an dem meinem froschgleichen, pubertären Jungengesicht das erste Haar irgendwo auf dem Kinn wuchs. Ohne Bart, geht nicht mehr. Wieso auch? Sieht erstens lässiger aus und zweitens muss ich nicht jeden Morgen das halbe Badezimmer putzen, mit der leichten Paranoia im Hinterkopf, dass, wenn meine Freundin auch nur einen Stoppel meines wertvollen Gesichtguts auf dem weißen Waschbeckenrand findet, ich eine Grundsatzdiskussion über Hygiene und Sauberkeit führen muss. Das spar' ich mir, in dem ich sparsam rasier'. Ein schlechter Reim, den ich mir als Barträger erlauben kann. Denn neben einer gewissen Lässigkeit, die Bärte einem jeden Mann verleihen, schwingen noch mannigfaltige andere Assoziationen mit Bärten mit – zum Beispiel eine gewisse magische Verschrobenheit. Keiner stellt sich gern einen Zauberer ohne Bart vor. Und dennoch fühle ich, wie mir meine bärtige Männlichkeit von Zeit zu Zeit streitig gemacht wird.
Neben einer gewissen Würde, die der Bart aufgrund zahlreicher großer historischer Bartträger angeheftet bekam, stand er auch schon immer für das komplette Gegenteil: den Ausbruch aus der Norm. Einfach mal nicht rasieren. Einfach mal drei Tage wachsen lassen. Dagegen sein, gegen all diese geleckten Anzugträger und Rasierklingen-Lobbyisten. Die glatte Haut kann mich mal, ich habe Urlaub, ich rasier' mich nicht. Ich bin heute mal anders. Total verrückt, hip, in einer Ausnahmesituation. Aus dem verwegenen „Schatz, ich war drei Wochen auf dem Schlachtfeld und konnte mich nicht rasieren“-Bart wurde der moderne Drei-Tage-Bart und sein Siegeszug begann vor dreißig Jahren mit – selbstverständlich – Sting. Die popkulturelle Gesellschaft um Sting, Bowie und Konsorten war noch im Rausch der Ereignisse der vergangenen zwei Jahrzehnte und sah sich zunehmend mit dem konfrontiert, was wir alle offiziell fürchten und insgeheim erhoffen, wenn wir auf WG-Partys von Fremden gehen: die Achtziger. Eine Dekade die zu oft verschmäht wird, da hier ( vor allem verglichen mit 70ern und 90ern) zum Teil bahnbrechende Neuerungen salonfähig gemacht wurden: neben Bon Jovi, Guns N' Roses, den Pet Shop Boys, Miami Vice und dem Fall der Mauer eben auch der Bart – mal wieder.
Seit diesen Tagen der Auferstehung des allgemein akzeptierten Bartes wuchs mit um sich greifender Verbreitung der Gesichtsbehaarung auch die gesellschaftlich tolerierte Länge. Plötzlich gab es Politiker mit Vollbart, Fussballspieler mit Schnauzer, Doktoren mit Game-of-Thrones-Gedenk-Backenbärten – und keinem von ihnen hätte man seine Kompetenz (im jeweiligen Fachgebiet) abgesprochen. Haare im Gesicht sind wieder 'in' und man liest von vierzehnjährigen Jungen die sich nichts sehnlicher Wünschen, als einen schönen, dicken Schnurri. Wie bitte? Wurden wir nicht gerade dazu erzogen, uns alle Haare die aus unserem Körper kommen abzurasieren? Hat Hollywood uns mal wieder belogen? Und wo war die Bravo als der Trend ausbrach? Enthaarte Beine, enthaarte Arme, enthaarte Intimbereiche und enthaarte Achseln – der Enthaarungsfetisch der Modeindustrie ergoss sich zeitgleich mit dem wachsenden Faible zur Gesichtsbehaarung, ohne dass sich beide Linien jemals im Wege standen, ganz im Gegenteil: Mittlerweile sieht man weibliche Models mit (unechten) Bärten. Männliche Models mit Bärten sind hingegen nicht erst seit der Trivago-Werbung (ja, genau! Die Werbung!) ohnehin ein Renner im Geschäft.
(Foto: AP)
Ich spüre, wie das Damoklesschwert der Feministinnen mit jedem weiteren Satz über mir hängt, und ich wage den Vorstoß trotzdem: ein Bart macht einen Mann männlicher, für Frauen unter Umständen attraktiver. Er wirkt entschlossen, ehrbar, würdevoll, natürlich reifer und vielleicht auch den Deut unbeugsamer, uriger oder verwegener als sein bartloser Kollege – und daher interessanter. Hängt des Mannes wieder neu errungene Liebe zum Bart also damit zusammen, sich begehrlicher gegenüber dem weiblichen Geschlecht zu machen? Sollte die Rechnung so einfach sein? Der amerikanische Schauspieler George Hamilton geht sogar noch eine Stufe weiter. Er sagt, „die Vorliebe der Männer für Vollbärte hängt mit der Emanzipierung der Frau zusammen. Denn beim Vollbart kommt auch die emanzipierteste Frau nicht mit.“ Steile These, Mr. Hamilton. Und doch fürchte ich, liegt die Wahrheit vielleicht dazwischen.
(Foto: Screenshot neon.de / 22.11.2013)
Ich fühle mich also manchmal als Bartträger in die Ecke getrieben. In Zeiten, in denen sich junge Frauen ihre Haare als Schnurrbart zwischen Oberlippe und Nase stecken und diese Bilder Galerien füllen, in Zeiten, in denen sich der Moustache in jedes beliebige Foto auf Instagram einbauen lässt und Axel Roses Lieblingsmonat in 'Movember' umbenannt wird, könnte man sich schon die Frage stellen, ob der Mann seines Bartes beraubt wird – nun, zumindest der Instrumentalisierung zum Opfer gefallen ist. Plötzlich ist Bart nicht mehr nur Antihaltung oder triste Faulheit oder Ausdruck einer Einstellung, wie es zu Beginn der 80er noch der Fall gewesen sein mag. Plötzlich ist er modisches Accessoire, wie eine Tasche oder ein Armkettchen. Und die Wächterin über die Mode scheint die Frau zu sein, die, modern emanzipiert, sich nun also auch den Bart zu eigen macht, den sie selber nie haben kann, ihn sich daher umso lieber digital aufsetzt? Hatte Hamilton also recht?
Ich denke eine Weile darüber nach und studiere die Online-Angebote zu Bartpflegeprodukten. Wusstet ihr, wie viele Produkte es da gibt? Schlussendlich kaufe ich ein paar Lotionen und Cremes und fühle mich gleich wieder besser, hab ich doch was für meinen Bart getan. Ganz männlich habe ich Creme gekauft. Für meinen männlichen Bart. Ob der nun aber in meinem Gesicht ist, weil ich damit bei Frauen besser ankomme, er mir mehr Würde verleiht oder mich weiser erscheinen lässt, mir von der Industrie aufgezwungen wurde oder mein einziges Alleinstellungsmerkmal gegenüber emanzipierten Frauen ist, kann ich nicht beantworten. Ich glaube, ich habe ihn, weil ich damit einem täglichen Streitgespräch um Sauberkeit und Hygiene aus dem Weg gehen kann. Und irgendwo sitzt eine Frau oder ein Mann in einem großen Bürogebäude von Nivea oder L'Oreal und freut sich – der Weicht hat wieder Pflegeprodukte für dreißig Euro gekauft, die er vor vierzig Jahren nicht gebraucht hätte. Da hatte nämlich keiner einen Bart. Außer die Gesellschaftsrebellen! Wo sind die eigentlich, wenn man sie mal braucht?
Julian Weicht
No Comment