An dieser Stelle sollte vor ein paar Tagen eruiert werden, warum auf dieser Welt so viele gute Bands kein Label haben und Liebhaber guter Musik deshalb so viel verpassen müssen. Wir leben in Zeiten von gesunkenen Aufnahme- und Produktionskosten, der wirtschaftlich relativ risikoarmen Möglichkeit des Mp3-Vertriebs und der mannigfaltigen Möglichkeiten als Band, sich übers Netz bei Labels anzubieten. Ergo sollte doch eigentlich der musikalische Standard im Plattenladen ein wenig höher sein, als man ihn im Privatradio oder auf MTViva derzeit zu hören bekommt. Soweit die These. Einen Schritt näher kommt man der Antwort auf diese Frage, wenn man sich ansieht, wer denn statt den talentierten Unentdeckten die Zeit auf der Playlist und die Plätze im Reportoire der Labels besetzt.
In den USA ist es zum Beispiel in der letzten Woche ein gewisse Ashley Alexandre Dupré gewesen, die auf den Airplay Charts in fast allen Staaten abging wie eine Rakete und deren MySpace-Profil mit 9 Millionen Klicks inzwischen mehr Besucher lockte, als jenes von Madonna es jemals vermochte. Deprés Song ist eine nicht einmal mittelmäßige R’n’B-Nummer namens “What You Want”. Das Stück ist ein weitestgehend seelenloser Salat aus schäbig produzierten Standardsamples und redundanten Phrasen gewollter Schlüpfrigkeiten und nicht gekonntem OohLaLaShakeYourBody-Gesäusel. Der Grund für die bombastische Aufmerksamkeit für die 22jährige Brünette ist so simpel, wie klischeehaft: Sie ist zum richtigen Typen ins Bett gehüpft. In ihrem Fall ist dieser Mann doppelt so alt wie sie, leidet unter beginnendem Haarausfall, ist verheiratet, Vater dreier Kinder und war bis letzte Woche der 54. Gouverneur des US-Staats New York. Eliot Spitzer hat sich die junge Sängerin als seine Lieblings-Prostituierte regelmäßig in ein New Yorker Hotel bestellt und musste nun zurück treten, nachdem die New York Times den Skandal öffentlich machte.
Seitdem passiert in den Medien der USA etwas, das man dort schon von Clintons Monica Lewinsky und in Großbritannien bereits von Beckhams Rebecca Loos kannte. Sabbernd verlangt die Öffentlichkeit nach Details über die Dame und Zeitungen, Fernsehen, Radio und vor allem Internet liefern sie ihr. Duprés bürgerlicher Name und die immerselben Bikinifotos ihrer MySpace-Page werden in der NYT veröffentlicht, Larry King interviewt ihren Zuhälter, der sich als Entdecker brüsten darf, CNN stellt Reporter vor ihr Haus und von der Familie bis zum Produzenten ihres langweiligen Songs darf jeder in ein Mikrofon sagen, wie toll und stark sie sei.
“Ich liebe den Verrat, doch ich hasse den Verräter” soll Julius Cäsar gesagt haben. Aber der war Europäer, in den USA gelten andere Regeln. Wie bei Lewinsky wird auch unter Duprés Namen ein Buch erscheinen und es wird damit dasselbe passieren wie mit ihren Songs auf dem Mp3-Portal Amie Street.
Dort kann man ihre zwei Stückchen für immer noch viel zu teure 98 ¢ kaufen. Dupré steht mit über 200.000 Downloads seit Tagen an der Spitze der Wochen- und Monats-Charts. Sie verdrängte dort mit den North Mississippi Allstars so ziemlich die anbetungswürdigsten Bluesrocker der Gegenwart – feine Ironie, wenn sie in Duprés Sog vielleicht ein paar Downloads mehr als sonst abbekommen sollten.
Die Lektion für Online-Musikredakteure und Medienjournalisten ist simpel: Die gepriesene Basisdemokratie im Netz ist nicht mehr als eine nette Idee gewesen. Nicht die interessantesten oder begabtesten aller Musiker werden vom objektiven und aufgeklärten User des Web 2.0 zum kommerziellen Erfolg geladen, sondern es bleibt derselbe Quatsch, der schon im Fernsehen läuft. Die Leute aber können gar nichts dafür, denn sie wollen gesagt bekommen, was sie gut finden sollen. Und dabei geht es ihnen nicht um die Musik, sondern um die Geschichte dazu. Das missbrauchte Mädchen aus New Jersey, das es von zuhause abgehauen mit ihrer Musik nach New York schafft, um als Edelnutte Gouverneure zu erfreuen und von dem Geld endlich einen Song aufzunehmen – das verkauft sich prima, wenn natürlich auch nur für ein paar Wochen, bis die nächste dran ist. Ein Label wird sie mit ihrem Gedudel aber trotzdem sehr bald finden, daran besteht nicht der geringste Zweifel.
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