Lange musste er für diesen Moment kämpfen! Fast zwei Dekaden war Dave Gahan nicht mehr als der Sänger und das Role-Model der Band Depeche Mode. Die Zeiten haben sich geändert: Mit ‘Hourglass‘ veröffentlicht er dieser Tage sein zweites Soloalbum und spricht von einem neuen Selbstverständnis.
Der Konferenzraum wirkt kalt und steril. In der äußersten Ecke sitzt ein Mann im maßgeschneiderten Anzug und raucht überteuerte Zigarillos: “Das ist mein größtes Laster. Ich versuche seit Jahren mit dem Zeug aufzuhören und schaffe es einfach nicht. Auch der Plan mit den stärkeren Zigaretten brachte irgendwie nichts, ich kann es einfach nicht lassen!”
Ähnlich erging es Gahan in den letzten Jahren mit seinem Verhalten in der Öffentlichkeit. Fast nirgends ließ er unerwähnt, dass Depeche Mode neben Kollge Gore auch ihn als Songwriter benötigt: “Martin und Fletch waren bei den Gesprächen zu meinem Zeiten meines ersten Soloalbums der Meinung, ich gebe zu viele Interna preis und belaste unsere Band damit. (überlegt) Inzwischen habe ich das eingesehen. Damals versuchte ich allerdings verzweifelt meinen Platz innerhalb der Band zu finden und Journalisten nutzten diesen Prozess für reißerische Berichte aus.”
Schuld seien aber trotzdem nicht die anderen, korrigiert er sich gleich im nächsten Satz. Diese Widersprüchlichkeit werfen ihm seine Kritiker im Allgemeinen vor. Gahan tat einem in den letzten Jahren sogar ein wenig leid. So manch Ausstehender mag gedacht haben: Worauf will dieser Typ eigentlich hinaus? Was erwartet er von seinen Mitstreitern? Kann er nicht einfach akzeptieren, dass andere die besseren Songs schreiben? “Mein unbedingter Wille, mich mehr in die Band einzubringen, gab mir neues Selbstverstrauen und Depeche Mode das Gefühl, mehr denn je ein Team zu sein“, erklärt der New Yorker Familienvater aufgekratzt und vermeidet dabei jeden Blickkontakt.
Wann war es für dich klar, dass “Paper Monsters” kein Einzelfall bleiben wird und du ein weiteres Solowerk veröffentlichen willst?
Dave Gahan: “Nach der letzten Depeche Mode-Tour war ich körperlich ziemlich am Ende und pausierte ein paar Monate. Ende letzten Jahres schrieb ich dann wieder eigene Sachen, was sich gut anfühlte. Nach zwei Wochen dachte ich plötzlich: Hey, da entsteht gerade ein neues Album! Von den ersten Entwürfen war mein Labelchef Daniel Miller sehr begeistert und gab grünes Licht für weitere Aufnahmen.“
Gerade Miller war sehr skeptisch, als du an deinem Debüt gearbeitet hattest. Was hat sich für dich seitdem grundlegend geändert?
Dave Gahan: “Schon beim letzten Depeche Mode-Album “Playing The Angel” gab es Veränderungen. Durch mein neu gewonnenes Selbstvertrauen tauschten Martin, Fletch und ich mehr Ideen als bei den Vorgängeralben aus. So ein Gefühl gab es innerhalb der Band schon lange nicht mehr: Das war wirkliche Teamarbeit!“
Weil du gerade davon sprichst: Für “Playing The Angel” hattest du knapp 15 Songs geschrieben und nur drei landeten auf der Platte – hast du die restlichen einfach für “Hourglass” verwendet?
Dave Gahan: “Um ehrlich zu sein: Darüber hatte ich nachgedacht. Allerdings bin ich mit meinem Team im Studio zu der Erkenntnis gekommen, dass der Arbeitsfluss gut genug ist, um neue Beiträge für die Platte aufzunehmen. Ich freue mich zurückblickend sehr über diesen Enthusiasmus, denn es sind alles meine Songs und ich bin stolz darauf.“
Gahans Augen strahlen, als würde Weihnachten und Neujahr auf einen Tag fallen und man verklemmt sich kurzerhand jegliche Kritik an “Hourglass”. Ein Album, das kaum etwas von der Wärme ausstrahlt, von der der Schöpfer ständig und sehr ausführlich spricht. “Eines habe ich bei Depeche Mode definitiv gelernt: Menschen können sich auch ohne Gespräche Ausdruck verleihen – durch ihre Musik. Martin gehört nicht gerade zu den entgegenkommendsten Menschen, wenn es darum geht, eine zwischenmenschliche Beziehung einzugehen. Aber ich habe ihn durch seine Songs kennen gelernt. In seinen Texten öffnet er sich, und dazu gehört viel Mut.”
Trotzdem: “Hourglass” ist ein schwerer Brocken geworden. Zwischen Pop und elektronischen Versatzstücken singt Gahan über Selbstzweifel, ausweglose Situationen und natürlich über sich selbst. “Glory doesn’t mean that much to me” heißt es im Song ‘Kingdom‘ und man ahnt, ganz so ist es nicht. Die Öffentlichkeit braucht Gahan und er benötigt sie ebenfalls!
Text + Interview: Marcus Willfroth
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