Egal wo man hinkommt, die Welt singt Deutsch. Sie versteht zwar kein Wort, aber das ist bei den Texten von Rammstein vielleicht auch besser so…
“Deutscher Wein und deutscher Sang
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten schönen Klang,
Uns zu edler Tat begeistern
Unser ganzes Leben lang”
(Hoffmann von Fallersleben – 1841)
“Coca-Cola, Wonderbra
We’re all living in Amerika”
(Unbekannter deutscher Dichter – frühes 21. Jahrhundert)
Integrationsdebatte, Leitkultur, Überfremdung, rückläufige Geburtenrate. Regelmäßig sehen in Deutschland Politiker den Untergang des Abendlandes am Horizont heraufziehen. Deutschland verschwinde, fürchten sie. Diese Leute können lange nicht mehr im Ausland gewesen sein. Dort ist deutsches Kulturgut nämlich der Renner: nicht nur Autos und Hightech, sogar deutsches Liedgut erfreut sich allgemeiner Beliebtheit. Der Strand kann noch so einsam sein, die Palmen noch so hoch, der Dschungel noch so tief. Überall kann man als Reisender sicher sein, einen Einheimischen zu treffen, der sich ein Loch in den Bauch freut, einem Deutschen zu begegnen. Der kann nämlich helfen. Beim Übersetzen – von Rammstein-Texten. Die Deutschen verschwinden? Quatsch, sie sind überall!
Berlin liegt im Wald
Im Endeffekt ist der Dschungel auch nur ein Wald. Weniger fremd als erwartet, weniger dicht. Gut, mit ein paar mehr Spinnen und Getier, mit mehr Mücken und Krabbelviechern, mit ein paar mehr Palmen und Riesenfarnen. Letztendlich aber ist ein Baum ein Baum und die Zikaden rascheln auch in Honduras wie ihre Verwandten in Südfrankreich. Trotzdem könnte ich nicht weiter weg von zu Hause sein als genau hier und jetzt. Es ist Wochen her, seit ich das letzte Mal eine Tageszeitung in der Hand hatte, Tage seit ich das letzte Mal nach meinen E-Mails gesehen habe. Deutschland ist ein ferner Gedanke, ein anderer Planet. Denkste. Verschwitzt trete ich aus dem Wald und auf eine Lichtung. Keine 500 Meter entfernt stehen die Ruinen von Copán, Zeugnis der untergegangenen Mayakultur und Ziel des Ausflugs. Leider liegt zwischen meiner Lichtung und den Steinhaufen ein Wärterhäuschen, und die vier bewaffneten Uniformierten haben, nachdem sie bereits seit Stunden hier im Nieselregen ausharren, keine Lust über Öffnungszeiten zu diskutieren. “Kannst ja morgen wiederkommen.” Ja, super. Bevor ich allerdings wiederkommen kann, muss ich erst mal weg und das gestaltet sich gerade schwierig. Der Regen wird immer stärker. “Wo kommst du denn her?”, beginnt der Jüngste der vier den Smalltalk, als ich mich unter dem Dach der Bude vor dem Regen verstecke. “Alemania”, sage ich und wische mir den Regen aus den Haaren. Und dann ist von einer Sekunde auf die andere nichts mehr wie vorher. Plötzlich ist er wie ausgewechselt. “Echt!? Deutschland? Super!”, schreit er. “Kannst du mir helfen. Kennst du Rammstein? Was heißt Duastmisch?” Ich bringe nur ein “Hä?” hervor. Ich bin irritiert. “Und was bedeutet Weallivinginamerika. Americaiswundeba?”, setzt er nach und guckt mich erwartungsvoll an.
Ich glaube es nicht. Ich bin 9500 Kilometer von Berlin entfernt, stehe mitten im Urwald und soll Rammstein-Texte übersetzen? Sofort ist Deutschland wieder da. Unerwartet, unausweichlich und in der Gestalt von Till Lindemanns Lyrik. “Ähh… We… nostros… todo… habitar… en américa… América… es… ähhh… maravilloso”, versuche ich mich in der fremden Grammatik. Sehr zur Freude des Wachmanns, der gleich mit seinem neugewonnen Wissen vor seinen Kollegen protzt. Nur an einer Diskussion über textliche Mehrdeutigkeiten, den Gegensatz von Albernheit und bierernster Pose, Koketterie mit faschistoider Symbolik und die Auswirkungen der weltweiten Rezeption der Band für das Deutschlandbild im Ausland hat er im Anschluss an mein verbales Gestolper leider nicht. Nur soll ich morgen unbedingt wiederkommen, sagt er. Er hätte dann noch mehr Fragen.
Zurück in der Pension verbringe ich den Rest des Tages über meinem Miniwörterbuch und versuche, den Schwurbel und die Doppeldeutigkeiten der Rammstein-Texte ins Spanische zu übersetzen. Nach anderthalb Stunden glaube ich endlich, eine brauchbare Fassung von “Du hast mich” erstellt zu haben. August Heinrich wäre stolz auf mich. Doch leider ist mein Bemühen um Wortfindungen und Völkerverständigung vergebens. Als ich am nächsten Tag früh morgens wieder am Tor stehe, ist der Wachmann von gestern nicht da. Ich lasse den Zettel trotzdem liegen. Vielleicht findet er ja seinen Weg zum Empfänger.
Mio Parte
Ein paar Tage später. Ich sitze in einem billigen Hostel in Costa Rica und checke meine E-Mails. Die Konzentration jedoch fällt schwer. Draußen rattern die kaputten Busse, schreien Obstverkäufer, bellen die Hunde. Mittelamerika. Dazu kommt, dass am Rechner nebenan der Sohn des Managers hockt und sich und Lieder aus dem Netz herunterlädt, die er bei voller Lautstärke durch die krachenden Boxen schickt. Doch seine ungeduldige Miene und die Tatsache, dass er alle 15 Sekunden einen neuen Song startet, verraten, dass er das, was er sucht, noch nicht gefunden hat. Und dann ist Mittelamerika mit einem Mal einfach verschwunden. Mein Nachbar hat gefunden was er sucht. Er guckt verzückt und dann stampft der Maschinenrhythmus, tönen die Keyboardfanfaren und hacken die Gitarren. Schon wieder? Ich schließe die Augen, denn ich weiß was als nächstes kommt. Trotzdem riskiere ich einen Blick und höre den als Mönch verkleideten Lindemann in einem Videoclip scharfsinnige Erkenntnisse von sich geben wie die, dass tiefe Brunnen gegraben werden müssen, “wenn man klares Wasser will”. Ich muss lachen. Der Sohn des Managers der sich zuerst über mein Interesse gefreut hat, ist irritiert. “Das sind Rammstein”, sagt er, guckt böse und nickt in Richtung Bildschirm. “Ich weiß”, antworte ich. “Yo soi alemán.” Was besseres hätte ich nicht sagen können. “Echt?”, freut er sich und stoppt das Video. “Sprichst du Spanisch? Was singen die?” “Sonne” erschallt aus den knackenden Lautsprecher. “Aqui… ähh… venir… el sol…” Oder, so ähnlich jedenfalls. Jetzt ist er enttäuscht. Da hat er sich wohl was Interessanteres vorgestellt. Neuer Versuch. “Was heißt Maihn Taihl?”, stottert er und dann stottere ich, denn die Grenze meiner Spanischkenntnisse war eigentlich schon beim ersten Text weit überschritten. “Mio… parte.” Er guckt fragend und ich deute auf meine Körpermitte. “Abdomen? Magen?”, fragt er. “Nein, nein, tiefer.” Als er versteht, guckt er ein bisschen peinlich berührt. Nach weiteren Überstzungen ist er enttäuscht. Das Rammstein mitunter eine reichlich alberne Komponente haben, findet er blöd. Das passt nicht in sein Konzept und folglich ignoriert er es einfach. Dass ich seine Lieblingsband albern finde, beleidigt ihn. Er startet einen neuen Track und wippt zur Musik. Mit leuchtenden Augen.
Eine Woche später halte ich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit eine deutsche Tageszeitung in der Hand. Zu Hause ändert sich nichts. Die Politik dreht sich im Kreis, in Ostdeutschland wird Anne Franks Tagebuch verbrannt, Schäuble will Soldaten für den Einsatz im Inland und ein bayrischer Politiker fürchtet mal wieder Überfremdung und fordert die alte Leitkulturdebatte zurück auf die Tagesordnung. In Deutschland liegt immer noch einiges im Argen, doch dass Deutschland verschwindet, da braucht sich keiner Gedanken zu machen. Nicht, solange das Land sich auf die feuerwerkenden Kulturbotschafter aus Berlin verlassen kann. WeŽre all living in alemania!
Text: Moritz Honert
Fotos: Cornelius Drautz
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