Wenn Franz Ferdinand Rockmusik machen, die das Publikum zum Tanzen animiert, dann machen Digitalism Tanzmusik, die die Leute rocken lässt.
Es gibt jede Menge Rockbands, die Musik für die Tanzfläche machen. Digitalism dagegen haben sich auf elektronische Musik spezialisiert, zu der sich wunderbar rocken lässt. In den letzten zwei Jahren haben sie sich als die Experten für Indie-Remixversionen etabliert und sich in dieser Kapazität mit beeindruckenden Ergebnissen die Klaxons, The Test Icicles, Cut Copy und die Futureheads vorgenommen.
Digitalism stammen aus Hamburg. Isi, in Deutschland geborener Sohn türkischer Einwanderer, lernte Jens, Kind einer liberal eingestellten deutschen Familie, in einem Plattenladen namens Underground Solution kennen. Gegen Ende der Neunziger war Jens Moelle der erste, der dort einen Job bekam. Als er sich eine Auszeit nahm, um sich stärker auf die Schule konzentrieren zu können, sprang Isi für ihn ein. Später kehrte Jens zurück, und die beiden wurden Kollegen: Jens arbeitete im Laden und Isi im angeschlossenen Plattenvertrieb. Über ihre gemeinsame Vorliebe für Dance- und Rockmusik fanden die beiden schnell zusammen.
Als Ladenbesitzer Ollie Grabowski nach ein paar einfallsreichen jungen DJs für eine Party suchte, kam er auf die Idee, dass Isi und Jens den Job gemeinsam übernehmen könnten. „Wir stammten aus derselben Generation“, erklärt Isi, „wir mochten dieselben Platten, also wurden wir zusammen in einen Raum gesetzt.“
Innovativ wie stets, brachten die beiden zu ihrem ersten DJ-Gig einen Adapter mit, sodass sie zwei Paar Kopfhörer in eine Buchse stöpseln konnten. „Wir hörten also dasselbe“, erklärt Isi, und Jens bestätigt: „So bleibt man immer im Groove.“
Je weiter die Kunde von ihren DJ-Qualitäten die Runde machte, desto intensiver bemühten die beiden sich, obskure, unbekannte Platten aufzutun, die ihr Publikum auf die Beine brachten. 2001 war der Preis von CD-Brennern immerhin so weit gesunken, dass sie ihre eigenen CDs brennen konnten. „Wir begannen mit ein paar Edits“, erinnert sich Jens, „einfach nur für unsere DJ-Sets.“
Der erste war eine Version von Seven Nation Army von den White Stripes. Diese fand schließlich ihren Weg auf Vinyl und verkaufte sich dermaßen gut, dass Digitalism schon bald in dem Ruf standen, als Electronic-Produzenten auch den Übergriff auf das Rock-Lager nicht zu scheuen. Der Erfolg ermunterte das Duo, eine weitere Veröffentlichung zu riskieren. Auf ihrer zweiten CD befand sich sogar eine eigene Komposition – ein rauer, etwas improvisiert klingender Track mit einem bruchstückhaften Vocal Hook (‚I Have An Idea That You Are Here, I Have The Idea That You Were Near’) und dem Titel Idealistic.
Die Platte wurde neu gepresst, sodass jeder von Errol Alkan bis hin zu Pete Tong ein Exemplar in die Finger bekam, und doch war es letztendlich Gildas Loaec vom Pariser Label Kitsuné, der dem Duo schließlich einen ernstzunehmenden Vertrag anbot.
„Ich wusste, dass die Platte gut ankam“, sagt Isi, „Schließlich war ich für den Vertrieb zuständig. Trotzdem habe ich mich über den Anruf von Gildas sehr gefreut. Wir waren die ersten Albumkünstler, die bei Kitsuné unterschrieben.“ Digitalisms erste Veröffentlichung bei dem französischen Label ist nach wie vor ihre populärste: Zdarlight. Isi und Jens entschieden sich für diese eigenwillige Schreibweise, um die Platte von anderen ‚Starlight’-Releases abzuheben, die so gut wie jeder von Muse bis Model 500 herausgebracht hatte.
Über eine Verwechslung hätten sie sich allerdings keine Sorgen machen müssen, denn der Dancetune mit seiner beißenden Unterströmung, trällernden Gitarrenline und seinem stratosphärischen Höhepunkt ist ohnehin absolut unverkennbar. 2005 erhielt er fachkundige Unterstützung von namhaften Kollegen, darunter Soulwax, Tiga, Laurent Garnier, Blackstrobe, Tiefschwarz und The Glimmers und gilt bis heute als zuverlässige Clubnummer.
Danach kam Jupiter Room, eine weitere Electronic-Platte, die trotz himmlischer Zwischentöne nach einer schäbigen Bar in Montreal benannt wurde. Ihr neues Album Idealism ist in Jens’ Worten „ein Versuch, die Hand auszustrecken und Strukturen zu schaffen“, erklärt er, „aber da ist gleichzeitig dieser Weltraumaspekt. Man verlässt die Erde und lässt sich auf etwas Neues ein.“
Trotzdem stehen die beiden nach wie vor auf bodenständigen Rock’n’Roll. Ihre Interpretation des Cure-Songs Fire In Cairo – umbenannt in Digitalism in Cairo – gilt als einer der kultigen Re-Edits des Jahres 2006. Es gelang ihnen, eine Freigabe ihrer Version für das Album zu bekommen, was die Platte wohltuend von den üblichen 4/4-Clubalben abhebt. Man braucht sich nur Nummern wie Pogo oder Apollo-Gize von ihrer neuen LP anzuhören, deren lockere, heftig verzerrte, rohe Grooves und nüchtern präsentierte Texte Joy Division oder den Associates ebensoviel verdanken wie Daft Punk und deren Zeitgenossen.
Alle weiteren Zweifel werden durch ihre Liveshows ausgeräumt. Im kommenden Sommer dürften Digitalism mindestens so häufig auf Festivals wie in Clubs anzutreffen sein – wie der legendäre Londoner Rockclub-Promoter Sean McClusky, der das Duo erst kürzlich buchte, so treffend sagt: „Digitalism sind bei den Indie-Kids genauso beliebt wie bei Electro- oder Techno-Clubbern.“
Digitalisms eigene, stetig umfangreicher werdende Gig-Ausrüstung ähnelt auf der Bühne immer weniger einem tragbaren Studio als vielmehr einem ausgewachsenen Band-Setup. Diese Seite von Digitalism dürfte in diesem Jahr weiter wachsen. Seit Daft Punk und den Chemical Brothers hat es keinen Electronic-Act mit einem derartigen Crossover-Potenzial gegeben. Darauf haben wir lange gewartet!
Isi und Jens nehmen immer noch in einem Bunker auf. Das Gebäude mit seinen dicken Betonwänden, explosionssicheren Türen und der Zellenatmosphäre würde sich gut in einem dystopischen Film wie 1984 machen und passt perfekt zu dem Duo.
„Wir trinken, haben Spaß“, sagt Isi, „wir sehen kein Tageslicht und werden nicht abgelenkt; ich denke, unseren Sound verdanken wir dieser Bunkeratmosphäre.“
Und obwohl sie tief drinnen im Dunklen hocken, schauen Digitalism auf die Sterne. Oder vielmehr auf die Zdars.
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