Ich bin Treu. Ich habe 17.5 Jahre für ein und dieselbe Firma gearbeitet. Sie hat zwar währenddessen ihren Namen und Eigentümer geändert, aber ich blieb. Ich blieb solange, bis es einfach nicht mehr ging. Weder für sie, noch für mich. Ich bin seit 24 Jahren in einer festen Beziehung, mit meinen beiden besten Freunden bin ich 20, respektive 21 Jahre lang befreundet und ich gehe sogar noch immer gerne zu Schulfesten meines alten Gymnasiums in Hamburg-Poppenbüttel.

Obwohl ich sicher ein neugieriger und unruhiger Mensch bin, Wiederholungen mich schnell nerven, mag ich Treue einfach extrem gerne.

Pop ist das Gegenteil von Treue. Eine Popband ist immer nur so gut, wie ihr letzter Hit. Im Guten heißt das: Wer Pop macht kann über Nacht Dank eines einzigen Songs auf dem Olymp sein. Das macht das Popgeschäft auch so schnell und faszinierend. Den steinigen Weg durchs Musikgeschäft bewältigt Pop scheinbar spielerisch leicht. Ohne die Ochsentour als Vorgruppe auf Stadtfesten geht es direkt in die Charts. Pop ist der Spekulant der mit den Wetten auf den musikalischen Zeitgeist schnell gutes Geld machen kann.

Pop-Erfolg geht aber genauso plötzlich wie er kommt. Das ist die Kehrseite der Medaille. Pop bildet eben nur so viel Substanz wie das Tun des Spekulanten. Deshalb muss man im Pop den Hit melken und den Moment leben, als wenn es kein morgen gäbe. Keine TV Show ist zu doof, keine Schlagzeile zu billig, keine Kopplungsanfrage perfide genug, als dass sie der Produktmanager ablehnen könnte, der in seiner Plattenfirma für den Mainstream zuständig ist. Pop ist die Schöne einer Nacht und die darf nicht wählerisch sein wen sie küsst, bevor sie am Morgen unvermeidbar verblüht.

Wo aber genau liegt die Demarkationslinie? Was ist die Grenze zwischen Pop und Rock, zwischen Flatterhaftigkeit und Treue, zwischen Hedgefond und Sparbuch? Die Antwort ist gar nicht so einfach in Zeiten da Banken ihre aus Sparbüchern gespeisten Rücklagen an Hedgefonds weitergegeben haben und nun ohne Staatshilfe auch die konservativen Wertanlagen nicht bedient werden könnten. Ähnlich ist es bei Pop und Rock, bei Kitsch und rauer Realität. Die Grenzen vermischen sich. Und genau deshalb haben Polarkreis 18 vielleicht auch plötzlich einen Nummer 1 Hit.

Polarkreis 18 seit dieser Woche Nummer 1

Über Probleme wie Fernsehauftritte in Super-Chartshows, Boulevardzeitungs-Interviews und Teenagermagazin-Poster haben wir uns mit ihnen nicht unterhalten, als wir uns mit Polarkreis 18 das erste Mal zu einer Besprechung mit Apfelschorle im Garten eines Cafés trafen. Der Band und uns ging es nur um Musik. Es war Spätsommer in Dresden, hoch über der Elbe unter uns die Spannkonstruktion des Blauen Wunders, eine Brücke ohne Pfeiler im Fluss, die angeblich durch Umwelteinflüsse ihre ursprünglich grüne Farbe verlor.

In Wirklichkeit war die Brücke schon bei der Einweihung blau, aber in Sachsen bildet man gerne Mythen. Das tut man auch, wenn Journalisten nach Bandnamen und Bandgründung fragen. Es geht um die Musik und nicht die Erfüllung der Erwartungshaltung einer schnellen Medienmaschine. Zum Glück passiert uns das nicht zum ersten Mal. Auch Rammstein bescherte sich und Motor schon auf der zweiten LP einen Hit. Als „Engel“ erschien war der Markt für Musik noch intakt, Motor Teil eines Majors und deshalb allein am Drücker. Die Band und wir konnten uns gedulden, die Veröffentlichung des zweiten Albums ein halbes Jahr lang herauszögern. Bei Polarkreis müssen wir zusammen mit Universal als Partner alles richtig machen. Warten gilt im Zeitalter der sofort verfügbaren Downloads plötzlich nicht mehr.

Klee – treue Weiterentwicklung

Bei allem Feiern und kollektiven Freuen schaut man fast wehmütig auf Bands wie Klee, die auf dieser Tournee wieder mehr Fans zogen, jetzt mit der zweiten Single eine kleine, feine Fanedition herausbringen, sich also stetig aber gesund entwickeln. Treue entsteht dann, wenn Entwicklungen einfach nachvollziehbar bleiben. Mit dieser Berechenbarkeit entsteht Verlässlichkeit – das Fundament von Treue. Diese Verlässlichkeit auf Basis einer ordentlichen Substanz ist für mich die Trennlinie zwischen Pop und Rock wie ich sie hier zu beschreiben versucht habe. So komisch das im Lichte des tollen Polarkreis 18 Erfolgs klingen mag, bei den vermeintlich poppigen Klees hat man das Ziel schon erreicht und bei Polarkreis als Band, Motor und Plattenfirma noch viel zu tun. Packen wir es an, im Sinne der Treue.

Euer Tim