Seid nun mehr als 100 Jahren verbreitet der Schurke Fantomas Angst und Schrecken. In den Kriminalromanen von Pierre Souvestre und Marcel Allain füllt er Parfümflaschen in Pariser Kaufhäusern mit Schwefelsäure, setzt Pest-verseuchte Ratten auf Passagierschiffen aus oder zwingt Opfer, die eigene Hinrichtung mit zu erleben, indem er sie mit dem Gesicht nach oben in eine Guillotine zwingt. Skrupellos und doch genial.
Im 20sten Jahrhundert führt Mike Petton den Bösewichten via Musik zurück in unser Gedächtnis. Ebenso gefährlich und begnadet sucht der latent unterbeschäftigte Workaholic Mike Patton nach dem Auflösen von Faith No More 1998 befreundete Musiker im Kampf gegen Harmonie und Wohlklang. Fündig wurde er bei Gitarristen Buzz Osbourne von den Melvins, Dave Lombardo, der unter anderem bei Slayer das Schlagfell bearbeitet und Trevor Dunn, der sich seine Brötchen bei Mr. Bungle und diversen anderen Jazz-Projekten verdient. Zusammen schuf man einen finsteren Klangcomic irgendwo zwischen Metal und Noise, zwischen wirr und kirre, der aber rein gar nichts mit Pettons Vorgänger Band Faith No More zu tun hatte. Die ersten US-Tourneen Mitte 1998 der Bestie in Bandgestalt statuierten relativ schnell die Eigenständigkeit von Fantômas und sorgten für bitteres Tränenrollen bei den ehemaligen FNM-Fans.
Im September 1999 wurde das Debütalbum via Mike Patton´s Label Ipecac auf die Menschheit losgelassen. Insgesamt 29 Lieder finden sich auf der knapp 40 Minuten langen CD, die höchstens schmerzsüchtige, todtätowierte Vorschlaghammer-Fanatiker bei vollem Bewusstsein am Stück durch hören können. Ein 40minütiger Kampf gegen das natürliche Wohlbefinden, ohne den geringsten Ansatz von Vernunft und Melodiebesinnung. Ihr selbstbetitelter (bisweilen auch “Amenaza El Mundo” genannter) Erstling nimmt keine Gefangenen. Lieder frei von jeder Struktur und Pettons Stimme, die die keinerlei Text sondern nur Geschrei ohne jeden Sinn von sich gibt, sorgen für genüssliches Anlagen-Zertrümmern, für nicht mehr und für nicht weniger.
Nach der Albumtournee 1999 ist mit dem Krach auch wieder Schluss, Fantômas wird auf Eis gelegt und die vier Mitglieder widmen sich anderen Projekten. Die Pause ist jedoch nicht von langer Dauer. 2000 kehren Fantômas wieder an die Oberfläche zurück und wirbeln munter durch die Konzertsäle der Welt. Auch wenn für wenige das erste Album hörbar sein dürfte, sind die Hallen zu meist ausverkauft.
2001 erscheint ihr zweites Album „The Director’s Cut”, auf dem sich 15 Neuinterpretationen von mehr oder weniger bekannten Filmmelodien wie der von “Rosemarie’s Baby” oder “Experiment in Terror” wieder finden. Zum ersten mal in der Geschichte von Fantômas singt Mike Petton richtige Texte, es gibt Strukturen und Melodien, Großmamas Lieblinge sind sie damit aber wohl immer noch nicht. Schuld sind die zahlreichen Trommelfellattacken von Liedern wie “Omen (Ave Satani)” und “The Godfather”, die fast jeden gesunden Hörnerv bis ins Unendliche beanspruchen.
Mit „Delìrium Còrdia“ erscheint 2004 ein Album, das Pattons musikalische Unberechenbarkeit ein weiters mal untermauert. Als „bessere Hälfte zweier neuer Platten“ angekündigt, besteht das Werk aus nur einem einzigen, rund 70-minütigen Song. „Meine Ambient-Platte“, wie sie Petton liebevoll nennt, soll als Hommage an englische Industrialbands wie Nurse With Wound und Current 93 gelten.
Im April des folgenden Jahres erscheint dann sein brutales Pendant „Suspended Animation”. Kalkuliertes Soundchaos im Metalmixer, 30 Songs zwischen einer halben und knapp über drei Minuten, die jeweils einem Tag des Monats entsprechen. Der Viertling nähert sich den ersten beiden Alben an und lässt neben wenigen Melodien wieder zahlreich erstaunte Gesichter zurück. Patton lässt dazu Bugs Bunny am Ende der Platte die einzig logische Frage stellen: “Well, what did you expect in an opera? A happy ending?”
Hans Erdmann
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