Das New Yorker Art-Pop-Duo Fischerspooner treibt schon seit der Wende zum neuen Millennium sein Unwesen. Die legendären Performance-Spektakel von Warren Fischer und Casey Spooner haben auf der Richterskala der Kunstwelt heftigste Ausschläge hinterlassen. Mit ihrem Debütalbum „#1“ haben sie ein nicht minder kraftvolles musikalisches Statement in die Welt gesetzt, das in seiner digitalen Wucht den perfekten Soundtrack zur visuellen Pracht lieferte, die sie in ihren Shows boten. Während es bei ihren Auftritten von extravaganten Tänzern, schrillen Bühneneffekten und verschwenderischer Ausstattung nur so wimmelte, boten die Songs eine zündende Mischung aus roher Punkenergie, digitalen Mätzchen und konzeptionell cleveren Lyrics. Der Rolling Stone bezeichnete das Album als „Hit für eine alternative Galaxie“ und der NME nannte Fischerspooner „das Beste, was der Musik seit der Erfindung der Elektrizität zugestoßen ist“. Auch „Odyssey“, das neue Album von Fischerspooner, dessen Realisierung geschlagene zwei Jahre in Anspruch nahm, dürfte für einige Aufmerksamkeit sorgen, zumal das Duo künstlerisch riesige Fortschritte gemacht hat.
Warren Fischer und Casey Spooner trafen sich erstmals bei einem Kurs für experimentelle Videos am School of the Art Institute in Chicago. Sie erarbeiteten erste gemeinsame Performances, bei denen Warren die Spoken-Word-Vorträge von Casey auf der Violine begleitete. Doch dann ging zunächst wieder jeder seinen eigenen Weg. Als die beiden Jahre später in New York wieder Kontakt miteinander aufnahmen, war Warren frustriert von der Stagnation der Alternative-Music-Szene, während sich Casey gerade abmühte, sich im experimentellen Theater einen Namen zu machen. So beschlossen sie, für ein Videoprojekt erneut zusammenzuarbeiten. Als einzig zufrieden stellendes Ergebnis der Kollaboration erwies sich lediglich der von Warren komponierte digitale Soundtrack.
Zwischen 1999 und 2000 schrieben Fischerspooner eine erste Serie cooler elektronischer Tracks und avancierten so zu den Gründervätern des Electroclash. Schon damals bildeten Songs wie der spätere Hit „Emerge“ den musikalischen Background, vor denen sie ihre neuen experimentellen Performance-Ideen verwirklichten. Spooner war der geborene Frontmann, der vor keiner visuellen Provokation zurückschreckte und Fischer war der musikalische Zauberer, der alle Fäden zog. Mit einem Netzwerk von Tänzern, Sängern, Kostümdesignern und Freunden aus der Kunstszene entwickelten die beiden ihre Performances im Laufe eines Jahres zu kontroversen Happenings. Unterstützt wurden sie zudem von dem renommierten New Yorker Galleristen und Kurator Jeffrey Deitch.
Fischerspooner avancierten aus diversen Gründen zu Galionsfiguren der prosperierenden internationalen Electro-Bewegung: Alle Tracks waren als freier Download über ihre Website zu bekommen, Electro-Pionier DJ Hell veröffentlichte die Maxi „Emerge“ auf seinem Label „International Deejay Gigolo Records“ und die hyperstilisierten Performances in Venues jeglicher Art hinterließen stets ein ebenso fasziniertes wie fassungsloses Publikum. Der schlagartige Erfolg von „Emerge“ in der europäischen Clubszene mündete in einer Reihe von Auftritten quer über den europäischen Kontinent: auf dem Sonar Festival in Barcelona, der Gigolo Party in München, der Love Parade in Berlin, dem Meltdown Festival in London sowie einer wilden Performance um vier Uhr früh auf dem Transmusicale Festival in Rennes, in deren Verlauf Casey vor 4.000 schreienden Fans den Tod von Michael Jackson, Madonna und Britney Spears proklamierte. Mit den Mitteln des Films und der Photographie, von Fashion und Video, Performance und Musik waren Fischerspooner zu den schillernden Paradiesvögeln der New Yorker Kunstwelt herangewachsen.
Für ihr zweites Album haben Fischerspooner allerdings das Blatt neu gemischt. „Odyssey“ sollte ein in sich geschlossenes Album werden, ausdrucks- und gefühlvoller als der Vorgänger. Fischerspooner strebten nach einem warmen und reichhaltigen Sound, der einen Kontrast zu der knackigen Oberfläche und dem digitalen Konzeptualismus auf „#1“ bilden würde. Musikalisch erstaunlicherweise von klassischer und psychedelischer Rockmusik inspiriert, ist der vertraute Sound von Fischerspooner nun durchsetzt von einem saftig satten Ambiente. „Ich dachte an Songs, die ich als Kind im Radio gehört habe“, so Warren. „Warmer FM-Sound der Siebziger von Bands wie Fleetwood Mac, Beatles oder Pink Floyd.“
In der Folge änderte sich auch der gesamte kreative Prozess. Warren versuchte so gut wie möglich mit analogen Klängen und Live-Instrumenten zu arbeiten: „In gewissem Sinne stellte ich eine virtuelle Band zusammen“. Sessionmusiker wurden ins Studio nach Brooklyn geladen, wo mit der Hilfe von Nicolas Vernhes (Fiery Furnaces, Black Dice), ihrem langjährigen Toningenieur und Mitarbeiter, insgesamt 30 Instrumentalaufnahmen gemacht wurden, aus denen heraus das Album langsam Form annahm. Währenddessen arbeitete Casey an Texten, die wesentlich emotionaler und persönlicher waren als die bisherigen und sich klassischer und romantischer Themen bedienten.
Und während dieser neue Arbeitsansatz erste Früchte trug, entschloss sich das Gespann zum ersten Mal, seinen inneren Zirkel zu verlassen und sich auf die Suche nach gleichgesinnten Songwritern und Musikern zu begeben. Warren flog nach Los Angeles, um dort in den Sunset Sound Studios zu arbeiten. Casey wiederum rief zwei Frauen an, die auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam haben: Hitautorin Linda Perry und Susan Sontag, die vor wenigen Monaten verstorbene, führende Intellektuelle der USA.
„Im September 2003 trat ich an Susan heran“, erinnert sich Casey. „Ich besuchte sie zuhause und stellte mir vor, dass wir etwas aus meinem Notizbuch aussuchen, woran wir gemeinsam arbeiten.“ Stattdessen verschwand sie nach einer kurzen Diskussion in ihr Arbeitszimmer und kam nach 15 Minuten mit einem ausgedruckten Songtext von „We Need A War“ zurück. „Ich las ihn mir durch und sagte, ’ich glaube nicht, dass ich mich dabei wohl fühle, das Wort ’war’ auszusprechen’.“ Ihre verblüffende Antwort: „Du solltest dich schon einmal mit dem Wort ’war’ vertraut machen. Unser Präsident hat gestern achtzig Milliarden Dollar für einen Krieg im Irak bewilligt.“
Nach und nach wuchs der Berg halbfertiger Songs an und die vielen Monate im Studio zerrten allmählich an der physischen Substanz, sodass auch die Spannungen im kreativen Prozess spürbar zunahmen. Während sie für „#1“ ihre gemeinsame Arbeit sporadisch über die Jahre verteilt hatten und sich damals nur für die Gesangsaufnahmen trafen – Warren programmierte die Musik in seinem Apartment und Casey hämmerte, ebenfalls ganz allein auf sich gestellt, die Texte in die Maschine – hockten sie nun im Studio ständig zusammen. Sie trieben sich gegenseitig an und sparten auch Kritik nicht aus. In dem Maße, wie die unterschiedlichen musikalischen Perspektiven aufeinander prallten, nahmen auch die Konflikte zu. „Anfangs war es doch recht unangenehm, den kreativen Prozess so offen zu legen, da ich es gewohnt bin, für mich alleine zu arbeiten. Und plötzlich bekam ich schon Feedback auf noch unfertige Stücke“, räumt Warren ein. „Aber ich stellte fest, dass man manchmal auf bessere Ideen kommt, wenn man angetrieben wird.“ Und Casey fügt hinzu: „Wir haben uns beide ein wenig verrückt gemacht, während wir an dem Album arbeiteten. Wir wollten als Künstler daran wachsen und das erfordert Veränderung. Kein leichtes Spiel.“
Für die letzten Schritte suchten Fischerspooner den französischen Produzenten Mirwais auf, der dem Album den letzten Schliff geben sollte. „Ich fand sein Soloalbum wirklich klasse und war beeindruckt, dass er trotz massiven Erfolgs im Popbusiness seine Integrität bewahrt hat. Wir hatten über ein Jahr lang an dem Album gearbeitet und waren mit unserer Weisheit am Ende und er brachte einen riesigen Schwung kreativer Energie mit und eröffnete frische Perspektiven“, konstatiert Warren. Einen letzten Quell der Inspiration bildete eine Serie wöchentlich ausgerichteter Salons, die Fischerspooner im Sommer 2004 auf privater Ebene ausrichteten. Im New Yorker Stadtteil Williamsburg probierten sie in diesem Rahmen neue Musik und visuelle Ideen aus. Die Energie und Vitalität ihrer eklektischen Gefolgschaft nahm letztendlich einen entscheidenden Einfluss auf ihren typischen New York Stil.
„Odyssey“, benannt nach der unerwartet emotionalen und künstlerischen Irrfahrt, die zu dem Album führte, ist ein weiter Schritt nach vorn für Fischerspooner. Wie jene klassischen Rockalben, von denen sie sich inspirieren ließen, ist es sowohl unter dem Kopfhörer eine Offenbarung als auch für Clubs ein absolutes Muss. Während „#1“ zu einem trendsetzenden Album der Millenniumswende wurde, ist „Odyssey“ eine zeitlose Reise mit süßen melancholischen Untertönen und einer Kraft, in der sich auch die Unruhen des 21. Jahrhunderts widerspiegeln. In diesem Sommer werden Fischerspooner ihre überragenden Performerqualitäten jeden Montag im Privilege Club in San Rafael auf Ibiza im Rahmen der weltbekannten Manumission Live Show unter Beweis stellen. Wer keinen Flug nach Ibiza bucht, dem bleibt mit „Odyssey“ ein unvergleichlicher Trip an Sounds und Visions.
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