(Foto: John Sauter)

 

Eine, die immer unterwegs scheint, real genau so wie in ihren surrealen Klangwelten: Gemma Ray liefert auf ihrer aktuellen LP „Down Baby Down“, die hier flirrend spätsommerhaft wie „Dust Lane“ umhersegelt, dort Roadtrips von Tarantino und Lynch begleiten kann, einen Mix, der plötzlich wieder klingt, als hätten Steampunk und Neuer Realismus zu einer musikalischen Übereinkunft gefunden. Ist das überhaupt noch so Retro, wie es immer wieder in der Musikpresse heißt, oder viel mehr purer Futurismus?

 

Gemma: Ich finde auch nicht, dass meine Musik so retro klingt. Futuristisch trifft es irgendwie. Meine Musik hat natürlich schon einige nostalgische Qualitäten. Seit ich ein Kind war, habe ich den Sound von altem Equipment geliebt. Ich liebe es im Allgemeinen, alte Sachen zu finden, und ihnen ein neues Zuhause zu geben. Aber ich würde mich nie selbst in einer 50s-Throw-Back-Attitüde einsperren. Du weißt, diese dumme Retroszene. Ich bin nicht daran interessiert, die Vergangenheit wieder zu erschaffen. Hier und da borge ich mir aber mal einzelne Stücke  – um etwas Neues daraus zu machen. Es ist hart, es zu schaffen, daraus etwas komplett Neues zu machen, aber genau das ist das Aufregende für mich.

 

motor.de: Du liebst es, alten Dingen eine neue Heimat zu geben, ist deine Wohnung eigentlich sehr vollgestellt?

 

Gemma: Nein, eigentlich nicht, denn als ich nach Berlin gezogen bin, musste ich viel zurücklassen. Aber… OK, ich habe inzwischen schon wieder viel altes Equipment rumstehen. Trotzdem versuche ich ernsthaft, das auf einem Minimum zu halten…

 

motor.de: Als du nach Berlin gezogen bist, was war das Wichtigste, das du zurücklassen musstest?

 

Gemma: Ich habe meine Familie sehr vermisst. London habe ich vermisst und meine beste Freundin. Aber ich habe mich nie an einen bestimmten Ort gebunden gefühlt. Wenn du Musikerin bist, bist du in einer Blase drin, das was du künstlerisch tust, ist das Wichtigste für dich, also vermisse ich bestimmte Orte nicht zu sehr – aber ich vermisse Menschen.

 

motor.de: Du vermisst also Orte nicht so sehr?

 

Gemma: Nein. Wirklich nicht.

 

motor.de: Wenn du also den Planeten verlassen müsstest, um auf interstellare Mission aufzubrechen, was wären die letzten drei Dinge, die du auf der Erde tun würdest?

 

Gemma: Das ist schwierig, mit Entscheidungen tu ich mich manchmal schwer… Vielleicht würde ich… ja… ich würde definitiv noch drei Alben machen.

 

motor.de: Sonst nichts?

 

Gemma: Ja, wenn es nur drei Dinge sein dürften, dann drei Alben.

 

 

motor.de: Auf deinem aktuellen Album bleibt es über lange Strecken instrumental. Warum?

 

Gemma: Das Konzept ist ja, das es eine Art Soundtrack werden sollte. Es ist aus der Perspektive des Protagonisten eines  imaginären Films verfasst. Ein Film, der nie gedreht wurde.

 

motor.de: Kannst du uns mehr über das Konzept hinter „Down Baby Down“ erzählen?

 

Gemma: Ich habe versucht, diesen sehr diffusen Spielplatz, den ich im Kopf habe, musikalisch abzubilden. An einigen Stücken habe ich schon über längere Zeit gearbeitet, es hat aber ein bisschen gedauert, bis ich so etwas wie ein Script hatte, um die Stücke zusammenzufügen. Deswegen hört man keine klassischen Songstrukturen, es ist ein Fantasie-Soundtrack.

 

motor.de: Wirst du diese Art der Musik auf dem kommenden Release ebenfalls fokussieren oder ist das ein Experiment für dich?

 

Gemma: Mein nächstes Album ist fast fertig und es wurde definitiv von „Down Baby Down“ beeinflusst. Nicht nur musikalisch, sondern auch lyrisch. Ich mag die Idee sehr,  jemand anderes zu sein.

 

motor.de: Deine gesamte Diskografie wirkt sehr cineastisch auf mich…

 

Gemma: Ich versuche, mit meiner Musik sehr deskriptiv zu arbeiten. So, dass man in meinen Kopf schauen kann. Ich liebe diesen House of Kaleidoscope-Style sehr. Ich  versuche mich selbst während des Produktionsprozesses nie zu stark zu kontrollieren.

 

motor.de: Ich habe gehört, du bist immer vom Mixen und Mastern genervt, so sehr, dass es manchmal ein Kampf ist.

 

Gemma: Naja ein Kampf ist es nicht, aber stressig ist es immer. Aber Stress ist in allen Dingen, an denen du im Leben Freude hast: Liebe, Musik, alles, was Druck bedeutet. Man hat eben immer eine bestimmte Vorstellung, wo es hingehen soll. Und Misserfolge sind unerfreulich. Ich bin eine sehr impulsive Person, deswegen ist es für mich sehr wichtig, mit den richtigen Leuten zusammenzuarbeiten.

 

motor.de: Wenn man mit dir im Studio arbeitet, herrscht dann gechillte Stimmung?

 

Gemma: Nein, dass es chillig ist, denke ich nicht. Es hängt aber vom Song ab. Manchmal muss alles relaxed sein, damit man zum Sound findet, gute Takes hinbekommt. Aber ein impulsiver Song kann nicht in einem komplett relaxten Umfeld entstehen. Unangenehm wird das aber nie. Mit allen Leuten, mit denen ich je zusammengearbeitet habe, habe ich sehr gern zusammengearbeitet. Auch, weil ich mir das selbst aussuchen kann. Ich komme nicht aus dieser Welt, wo jemand sagt, „hier ist die Sängerin, hier ist der Producer, los geht‘s“… Da würde ich vielleicht jemanden töten – oder jemand würde mich töten. Erzwingen kann man nichts, das wäre nicht natürlich. Ich habe immer mit Menschen gearbeitet, die ich kenne und schätze.

 

(Foto: John Sauter)

 

motor.de: Du arbeitest immer mit denselben Producern zusammen?

 

Gemma: Ich produziere meine Albumen zu einem großen Teil selbst, arbeite aber immer wieder mit verschiedenen Leuten zusammen. Mir bei bestimmten Songs jemand als Co-Producer dazu zu holen, ist für mich ein natürlicher Schritt.

 

motor.de: Du hast oft mit Michael J. Sheehy zusammengearbeitet.

 

Gemma: Ja zum Beispiel auf „Lights out in Zoltar“ hat er einige großartige Sachen beigetragen. Aber es ist nie so, dass ich ein Album beginne, und mir gleich überlege: „Mit welchem Producer könnte ich denn zusammenarbeiten, der mir hilft Platten zu verkaufen.“  Die Kontrolle über meine Musik gebe ich nie an andere ab.

 

motor.de: Wenn du zu einem Producer gehst, hast du dann also schon feste Demos und Songstrukturen im Gepäck?

 

Gemma: Nein, so arbeite ich nicht. Wenn ich mit jemandem etwas zusammen mache, muss das im Studio entstehen, es muss sich natürlich anfühlen. Es soll sich entwickeln. Es ist für ich eine bizarre Vorstellung, einfach zu jemandem mit Songs zu gehen und zu warten, was damit passiert.

 

motor.de: Du bist heute mit Band aufgetreten. Ist das die Core-Band, die dich fest auf die Bühnen und ins Studio begleitet, oder gibt es da starke Fluktuationen?

 

Gemma: Manchmal gibt es die, meist aus logistischen Gründen. Eigentlich ist das schon meine Core-Band. Ich kann mich glücklich schätzen, mit ihnen spielen zu können, ich liebe es, mit ihnen aufzutreten – immer, wenn es irgendwie möglich ist. Jederzeit klappt das nicht, weil wir alle viel unterwegs sind.

 

 

motor.de: Ich habe gehört, du hast in der Vergangenheit unterwegs viele Songskizzen auf deinem Telefon aufgenommen…

 

Gemma: Haha, ja das stimmt. Es war ein sehr altes Telefon, mit Klebeband umwickelt.

 

motor.de: Und ich habe gehört, dass dich das Ding genervt hat, weil die Aufnahmedauer begrenzt war. Hast du denn inzwischen mal in einen portablen Recorder investiert?

 

Gemma: Ja habe ich. Auch weil es Leute gab, die auf diesen Aufnahmen nichts verstanden haben, das Ding hatte ja einen wirklich miesen Sound. Jetzt habe ich ein richtiges Diktiergerät. Es ist schon ein gesonderter Full-Time-Job, die Aufnahmen dann überhaupt zu sichten.  Überall, wo ich hingehe, nehme ich etwas auf, wenn ich eine Idee habe. Ich versuche gerade nichts aufzunehmen. Ich versuche es…

 

motor.de: Du hast also immer noch so viele Side-Projekte?

 

Gemma: Ja. Ich bin da an etwas dran. Aber es bringt immer Unglück, über etwas zu reden, bevor es fertig ist. Ich arbeite ja gerade wieder eng mit meiner Band und dem Babelsberger Filmorchester zusammen und habe deswegen nicht so viel Zeit, aber es passiert schon ein bisschen – ich würde gern mehr machen.

 

motor.de: Arbeitest du denn auch mit Künstlern aus anderen Bereichen zusammen? Das Cover von „Island Fire“ hat mich sehr an zeitgenössische figurative Kunst aus Berlin oder Leipzig erinnert…

 

Gemma: Ja, das Cover wurde von Lucy Dyson gemacht. Sie ist eine sehr gute Freundin und eine großartige Künstlerin. Sie ist ursprünglich aus Australien, lebt aber in Berlin. Ihre Arbeit inspiriert mich sehr, ich denke zwischen ihrer und meiner Welt gibt es eine Verbindung. Auch Berlin als Stadt ist ein sehr inspirierender Ort.

 

(Foto: Lucy Dyson)

 

motor.de: In deiner Kindheit hast du in Essex gelebt, wie hat dich diese Umgebung geprägt?

 

Gemma: Meine Mutter sagt, ich hätte schon früh einen Haufen Kisten gehabt, wo ich viel Zeug reinstopfte. Alles Mögliche hatte ich gesammelt, aus Karton gebastelt, viel gemalt. Es ging immer darum, imaginäre Dinge aus dem Nichts zu machen. Meine Musik funktioniert heute immer noch so. Ich plane nichts und nutze das, was ich habe. Die Fantasie habe ich mir aus meiner Kindheit bewahrt.

 

motor.de: Wenn du keine Band hättest, und Tiere könnten Instrumente spielen, welche würdest du denn fragen, mit dir eine Band zu gründen?

 

Gemma: Hunde. Ich liebe Hunde. Ich vermisse einen Hund in meinem Leben und würde gern einen haben. Also würde meine Band nur aus Hunden bestehen. Du kennst doch diese kleinen, plüschigen, weißen Hunde, äh, wie heißen die… West Highland Terriers. Die sind immer schlecht erzogen und wild, also hätte ich ein paar von denen, vielleicht an den Drums. Dann wäre da noch ein sandfarbender Hund mit großer schwarzer Nase und dicken, dunklen Pfoten. Mittelgroß und ein bisschen schmuddelig. Aber eigentlich muss man das nicht so festlegen, ich würde jeden Hund in die Band nehmen, der ein neues Heim braucht. Es würde wohl ein Orchester werden.

 

John Sauter