Ende September liegen die ersten Dominosteine in den Auslagen der Supermärkte, zur gleichen Zeit werden die ersten aufs Weihnachtsgeschäft schielenden DVDs ins Rennen um die Gunst des Käufers geschickt. Wir bringen anhand einer kleinen Geschichtsstunde in Sachen Rock’n’Roll ein bisschen Licht ins Dunkel der unüberschaubaren DVD-Flut der letzten und kommenden Wochen; wir filtern und zeigen auf, was man haben sollte und was besser nicht, von den Beatles und Stones über Led Zeppelin, die Ramones, The Smiths bis hin zu Nirvana, Pearl Jam, Oasis und schließlich aktuellen Vertretern wie Wolfmother und den Babyshambles.
Ist natürlich bei der verzweifelt herausgeschleuderten Masse an Veröffentlichungen relativ unwahrscheinlich, aber vielleicht haben Sie es ja schon bemerkt: Anhand des diesjährigen Festtags-DVD-Reigens lässt sich ganz hervorragend die Geschichte des weißen Rock durchdeklinieren. (Anm: Gerne hätten wir auch Blues, schwarzen R&R, Soul, Funk und R&B mit einbezogen, wenn aus diesem Feld denn interessante DVD-VÖs angestanden hätten.)
Der Rock’n’Roll beginnt – genau hier: “The King Of Rock’n’Roll” (SonyBMG). Die zwar nichts Neues zeigende und vergleichsweise eilig produzierte, aber trotzdem unbedingt empfehlenswerte DVD zeigt anhand zahlreicher Promo-Videos aus Presleys gut 20-Jähriger Karriere von Sun bis Hawaii rechtzeitig zum 30. Todestag noch einmal sehr schön, was Elvis vor allem ganz am Anfang so besonders machte. Es war – freilich! – der Hüftschwung, insbesondere aber diese einzigartige, zwischen romantischem Barmen und aggressiv-erotischem Kieksen changierende Stimme, über die der ehemalige Fernfahrer offenbar nach Belieben und ohne biologische Begrenzungen verfügen konnte.
Ein paar Jahre später, Elvis war inzwischen bekanntlich fern der Heimat von Uncle Sam domestiziert worden, war es dann an den Bands der so genannten British Invasion, dem zwischenzeitlich etwas handzahm gewordenen Rock’n’Roll wieder auf die Sprünge zu helfen. Allen voran natürlich die Stones und die Beatles. Wenngleich erstere hier mit aktuellen Ruhmestaten glänzen. Ist die opulent ausgestattete Vierfachbox “The Biggest Bang” doch ein Mitschnitt verschiedener Konzerte ihrer jüngst abgelaufenen und angeblich endgültig letzten Mammut-Tour, die ja zudem mit einem Netto-Einspielergebnis von 500 Millionen Dollar einmal mehr auch die “erfolgreichste Rock-Tournee aller Zeiten” war. Die Stones beim Gratiskonzert in Rio vor anderthalb Millionen Zuschauern, die Stones in China, die Stones beim Super Bowl usw. usf. – insgesamt sieben (!) Stunden Dauer-Stones-Bedröhnung in bester Qualität. Wer bereits die entsprechende Box von der ja auch noch nicht SO lange zurückliegenden “Fourty Licks”-Tour im Schrank stehen hat, wird hier nur marginale Unterschiede feststellen.
Sämtliche Rekordeinnahmen können indes nichts am Status der ewigen Zeiten ändern, den die Stones dank einer gewissen Band aus Liverpool bekanntlich seit ihrer Gründung innehaben. Während die Beatles mit ihrem in nur sieben Jahren entstandenen und bis heute beispiellosen Katalog den einen oder anderen Pop-Maßstab setzten, hatten sie offenbar noch freie Kapazitäten. Selbige nutzten JohnPaulRingoGeorge, um quasi im Vorbeigehen auch noch die visuelle Darbietung von Pop-Musik mit drei fix abgedrehten, ursprünglich reinen Promotionszwecken vorbehaltenen Filmchen zu revolutionieren, deren Einfluss die Kunstform Musikvideo und damit den weltweiten Siegeszug von MTV überhaupt erst möglich machte. Der interessanteste von ihnen, “Help” (Parlophone/EMI), liegt nun endlich vorbildlich remastert in einer in allen Belangen überzeugenden DVD-Neubarbeitung vor. Zusätzlich gibt es für Beatles-Connaisseure gar noch eine Luxusausgabe mit über 60-seitigem Buch und weiteren Extras. Parallel erschien vor einigen Wochen “The Unseen Beatles” (Liberation/Rough Trade), eine sehenswerte Doku-artige Zusammenstellung früher BBC-Aufnahmen.
In den auslaufenden Sixties machte dann ein junger und äußerst begabter Gitarrist namens Jimi Hendrix von sich reden. Seinerseits ein Experte im Entwickeln bis heute gültiger Prototypen, setzte Hendrix in seiner ebenso kurzen wie ertragreichen Karriere die bis heute gültigen Standards der Rock-Gitarre. Der von Brian Jones announcte 1967er Auftritt auf dem Monterey Pop Festival, bekanntlich das erste größere Festival seiner Art, war Hendrix’ große Stunde und bedeutete den Durchbruch in den USA. Bei derart kanonisierten Aufnahmen wie “The Jimi Hendrix Experience Live At Monterey” (Universal) geht’s ja weniger ums Was als vielmehr ums Wie. Der von Hendrix-Stammproduzent Eddie Kramer komplett neu abgemischte Ton ist alleine schon den Kauf wert, die Bildqualität ist unter den gegebenen Umständen (die originale 16mm-Spur wurde mühevoll rekonstruiert und digitalisiert) okay. Abgerundet wird das mit Liner-Notes der verbliebenen Musiker versehene Set durch eine Live-CD vom Monterey-Auftritt sowie eine Doku und einen Mitschnitt des ersten jemals mitgeschnittenen Auftritts der Experience überhaupt. Jimi zu sehen wie er etwas Dylans “Like A Rolling Stone” zelebriert, ist auch Jahre später immer noch elektrisierend und magisch.
Besser wurden die Sixties nicht mehr, vielmehr setzten die unmittelbaren Nachfolger der drei Genannten bekanntlich zunehmend Fett an, bis die in haltloser Gigantonomie ausartende Dekadenz saturierter Rock-Würdenträger schließlich Mitte der Siebziger jeglichen Kontakt zum Publikum verloren hatte. Im besten Fall trug die musikalische Jagd nach Rekordmarken erquickliche Früchte wie im Falle von Led Zeppelin, deren damaliger Konzertfilm “The Song Remains The Same” (Warner) in diesen Tagen im Zuge der allgemeinen Renovierungsarbeiten am Led Zep-Gesamtwerk (neben der remasterten Greatest-Hits-Collection “Mothership” wird der gesamte Backkatalog erstmals auch digital zugänglich gemacht, begleitend spielen die Briten bekanntlich am 10. Dezember ein einmaliges Reunion-Konzert) in einer um einige unveröffentlichte Songs erweiterten Neufassung erscheint.
Ebenfalls in jene Periode der Superlative im Rock fallen bekanntlich Queen, von denen mit “Rock Montreal & Live Aid” (Edel/SPV) aktuell ein routinierter Mitschnitt eines Konzertes aus der Spätphase (frühe Achtziger) in, ähem: Montreal vorliegt. Besonderes Schmankerl hier: Der komplette Auftritt der Band auf dem ersten Live-Aid-Festival, anerkanntermaßen eines der Highlights des mildtätigen Events von Sir Bob Geldof. Das damals aktuelle “Hot Space” war die erste richtig schlechte Platte der Band. Die aus Mainstream-Sicht inhaltleeren, aufgeblasenen Bombast-Achtziger schauten schon um die Ecke. Indes: Live “funktionieren” auch die schlechteren Songs aus dem Werk, das ja immerhin auch “Under Pressure” enthielt, erstaunlich gut, also vielleicht auch “Hot Space” noch mal auflegen.
An der Besetzungsliste des besagten Live-Aid-Events lässt sich ziemlich gut ablesen, dass Punk zumindest kommerziell ein Sturm im Wasserglas blieb. Aber einige Jahre zuvor hatte es tatsächlich für einen kurzen Moment so ausgesehen, als könnte man den Rock’n’Roll zurück zu seiner Ursprungsaussage bringen, ihm wieder ein bisschen Subversion einhauchen. Musikalisch aber war auf die via Punk betriebenen Selbstheilungskräfte des Rock’n’Roll, die bislang noch einigermaßen zuverlässig alle zehn Jahre eine Revolution, wenigstens aber ein Revolutiönchen initiieren, Verlass. Jene aufgeladene Stimmung im England der Jahre 1977 bis 1980 (also eigentlich nachdem schon wieder alles vorbei war) fing der offenbar mit glänzenden Kontakten zur britischen Szene ausgestattete deutsche Filmemacher Wolfgang Büld recht gut mit zwei preisgekrönten Dokumentationen ein: “Punk In London” und “Punk In England” (beide: Vision/e-m-s), für deren ganz und gar schreckliches Cover-Artwork man durch Interviews und Konzertausschnitte der maßgeblichen Protagonisten der Szene wie The Clash, The Jam und natürlich von und mit den Sex Pistols entschädigt wird. In der gleichen Reihe liegen aktuell noch diverse Mitschnitte damaliger Heroen wie der Buzzcocks vor, allerdings vorwiegend von späteren Konzerten und nicht zuletzt deshalb nicht durchgehend zu empfehlen.
Importiert hatten jene Exponenten des UK-Punk das stilprägende Drei-Akkord-Muster bekanntlich aus den USA, wie ja überhaupt der Quellverlauf jeder wichtigen Rock’n’Roll-Strömung der vergangenen Jahrzehnte bis dorthin zurückzuverfolgen ist. Neben Iggy And The Stooges und The Velvet Underground sind hier natürlich vor allem die Ramones zu nennen, bei deren 1976er London-Gastspiel von Jonny Rotten bis Joe Strummer die maßgeblichen UK-Vertreter im Publikum versammelt standen. “Ramones – It’s Alive” ist schon etwas länger auf dem Markt, bietet aber dennoch einen essentiellen Karriereüberblick über das Schaffen der Brudders.
Schließlich und endlich konnten sich den Zeichen der Zeit auch einige nachgewachsene Vertreter traditioneller Rock-Lesart nicht verweigern. Eindrucksvoll auf seine Essenz reduziert wurde der Rock’n’Roll vor allem in den ersten Karrierejahren von AC/DC, deren gewaltigem Gesamtschaffen “Plug Me In” (SonyBMG) drei DVDs lang ein bildmächtiges Denkmal setzt.
Und hier endet nun der erste Teil unseres DVD-Specials. Lest nächste Woche im zweiten Teil wie Post-Punk der späteren Grunge-Explosion den Boden bereitete, wie der weite Arm von The Smiths und anderen ins Heute reicht und schließlich, wie ausgehend von Oasis die aktuelle Welle des so genannten Indie-Rock vorbereitet wurde.
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