(Foto: Dominik Pietsch/Haldern Pop)
Der Betreiber des kleinen LemonAid Zelts im Backstage sieht müde aus. 44mal hat er gestern die Glocke geläutet und zwar immer dann, wenn jemand 28 Euro hat springen lassen, damit alle im Zelt einen ordentlichen Schuss Vodka in ihre Limonadenflasche bekommen. Das ging bis halb sieben in der Früh. Um fünf wurde ihm der Strom abgestellt. Gefeiert hat man dennoch weiter, denn Sophie Hunger hatte akkubetriebene Boxen dabei und mit ihrem iPod aufgelegt. Mitgetrunken habe ich leider nicht. Der Veranstalter des Haldern Pop Festivals Stefan Reichmann hatte mich für ein Seminar und eine Lesung am nächsten Morgen eingeladen. Das funktioniert mit wenig Schlaf und viel Restalkohol nicht so gut. Katrin, die bei Motor die Reise geplant hat, wollte mich eigentlich gar nicht fahren lassen. Weder stand vorher fest wo und wann das alles stattfinden würde, noch wo ich nächtigen könnte. Der übermüdete, junge Mann am Schalter des Festivals wusste auch nicht weiter und fand nicht einmal die Pässe für mich. Schließlich griff er zum Telefon: "Papa, Tim ist hier…"
(Foto: Tim Renner)
Papi Stefan hat mit einigen anderen Messdienern vor 30 Jahren das Festival in seinem Heimatörtchen Haldern (6000 Einwohner) begründet. Als die ganze Sache größer wurde hat man dort zusammengelegt um vernünftige Bands verpflichten zu können. 48 Dörfler haben je 500 DM in den Topf geworfen und wurden so Mitveranstalter. Jeder kümmert sich mit ums Festival. Stefan kümmert sich heute um mich, hat ein Fahrrad, ein Doppelzimmer ("sag einfach du bist Daniel Fernando, der ist nicht gekommen"), Essensmarken, einen Backstagepass und zwei Bühnen für meinen Auftritt morgen organisiert.
Eigentlich bin ich kein begeisterter Festivalgänger. Weder mag ich Grosskonzerte, noch das Überangebot an Musik und Musikern welches mit Festivals in der Regel einhergeht. In Minsk, wo wir beide auf Einladung des Goethe Instituts waren, hat mich Stefan aber überzeugt, dass das "Haldern Pop" eher ein großes Dorffest mit guten Bands statt Blaskapellen sei. Im Merchandise verkauft man T-Shirts auf denen für Jungs "Ich will wieder Rasen mähen" oder in Girly-Grössen "Ich möchte wieder Kirschen pflücken" steht. Mittags sitzen die Dorfpolizisten im Zelt vis a vis von Kettcar und als jemand am Nachbartisch nach OCB Blättchen fragt, greift einer von ihnen in seine Uniformjacke und reicht das längliche, blaue Päckchen mit Papers rüber.
(Foto: Tim Renner)
Dazu passt, dass Anna von Hausswolff ihren großartigen, sphärischen Auftritt im Nachthemd absolviert und Denis Jones als wahnsinnige One-Man-Show ohne Schuhe auf die Bühne kommt. Dakhabrakha aus der Ukraine wirken wie ein persönliches Mitbringsel von Stefan aus der gemeinsamen Reise gen Osten und der Auftritt von James wie eine Verbeugung vor der eigenen Jugend.Mit Regina Spektor und Efterklang lässt man das Festival ruhig ausklingen. Für eine wenige, geht es im Spiegelzelt mit Käpt'n Peng & Die Tentakel von Delphi weiter. Doch der Andrang ist groß und der Ton des Ordners ausgesprochen ruppig. Als ich ihn um Mäßigung bitte, droht er mich vom Festival Gelände entfernen zu lassen. Da kommt Stefan Reichmann aus dem Zelt und nimmt den vor Zorn bebenden Ordner in den Arm: "Peter, was ist denn los?" Später sind wir dann doch alle drinnen. Auch Ordner Peter. Er singt jede Zeile mit, den Refrain "Lass uns Freunde sein" direkt in mein Ohr.
Tim Renner
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