Audioslave-Gitarrist und Polit-Aktivist Tom Morello über das vierte Audioslave-Album ‘Revelations’, das spät gefundene Lebensglück seines Sängers Chris Cornell, die politische Situation in den USA und einen perfekten Tag mit seinen drei Hunden und seiner italienischen Freundin.

Tom Morello, mit ‘Revelations’ legt ihr nun bereits das dritte Album in vier Jahren vor. Kaum einer hätte so schnell mit einem ‘Out Of Exile’-Nachfolger gerechnet, wie kommt’s?
Nachdem wir letztes Jahr im Sommer von der Tour gekommen sind, ging es auf direktem Wege ins Studio. Wir wollten unbedingt diese speziellen Vibes, die man nach einer Tour hat aufs Tape bringen – zumal die Konzerte so sensationell gut gelaufen waren. Nachdem wir dann eine Weile aufgenommen hatten, ging es auf eine weitere Tour, diesmal in Nordamerika, sodass wir anschließend abermals mit Live-Energie aufgeladen ins Studio gingen.

Habt ihr die Songs folglich auch unterwegs geschrieben?
Nein, das klappt nicht. Aber wir waren eben durch die zeitliche Nähe zu den Konzerten in der richtigen Stimmung, als wir uns ans Songwriting machten. Und natürlich hatte sich auch einiges an Idee angesammelt.

Erstmals hat man bei diesem Album jetzt so richtig das Gefühl, dass ihr wirklich miteinander verschmolzen seid und einen eigenständigen Sound kreiert habt. Das ist nicht mehr Rage plus Audioslave, sondern wirklich eine eigenständige Band…
Das ist ein sehr interessantes Thema. Ich bin absolut deiner Meinung, was das betrifft – auch wenn ein Mix aus Soundgarden und Rage Against The Machine meiner Ansicht nach ja auch nicht unbedingt das Schlechteste ist. (lacht) Man muss einfach sehen, dass wir jetzt gerade erst fünf Jahre zusammen spielen. Die meisten Bands spielen so lange zusammen, bevor sie überhaupt irgendetwas veröffentlichen, wir haben diese ganze Entwicklung unter den Augen der Öffentlichkeit vollzogen, was aber auch etwas Spannendes hatte. Und so lange hat es eben jetzt gedauert, bis wir wirklich zu einer Band zusammengewachsen sind – eigentlich ganz normal.


Was zeichnet diese Band aus?
Ich habe tatsächlich vorher noch nie in einer Band gespielt, in der der kreative Prozess so sehr von gegenseitigem Respekt und Anerkennung geprägt war. Bei uns hat keiner Angst, den anderen seine Ideen zu präsentieren. Das ist nicht überall so.

Was Tim und Brad betrifft, so wusstest du ja sowieso schon vorher, was du an ihnen hast. Etwas anderes ist es mit Chris… Der galt, vor allem während seiner Soundgarden-Zeit, mitunter als schwierig und divenhaft…
Ich habe ihn nie so kennen gelernt. Als wir Audioslave starteten, war das für uns alle etwas Neues. Auch zwischen Tim, Brad und mir wurden die Karten neu gemischt. Es ist wie mit dem alten Spruch: Wenn du eine Zutat änderst, hat du eine andere Suppe. So war das auch bei uns, wir alle mussten und musikalisch und menschlich neu kennen lernen. Was Chris betrifft: Er hat auf jeden Fall diese sehr dunkle intensive Aura, die sich auch in seinen Texten bemerkbar macht. Das ist aber unbedingt als Qualität zu werten.

Auf dem neuen Alben jedoch schreibt er für ihn völlig untypische Texte. Selten klang der Mann so optimistisch. Es macht zudem den Eindruck, als sei jeder zweite Song ein Liebeslied für seine Frau…
(Lacht laut und lange) Das ist dir also auch aufgefallen. Nun, er ist auf jeden Fall an einem weitaus glücklicheren und zufriedeneren Platz angelangt, als er es jemals zuvor während der Arbeit an einem Album war.

Inwiefern hat sich bei euch durch die gestiegene Band-Identität vielleicht auch der Prozess des Songschreibens verändert?
Gar nicht so sehr, das läuft ähnlich wie am Anfang. Es geht verdammt schnell und ist wahnsinnig aufregend. Wir schaffen im Prinzip jeden Tag einen Song. Tim fängt vielleicht morgens mit einer Basslinie an und am Nachmittag haben wir dann einen fertigen Song. Das läuft natürlich nicht immer so, aber mehr als zwei Tage haben wir tatsächlich noch nie an einer Nummer gearbeitet. Und das liegt eben vor allem am blinden Verständnis untereinander und der guten Atmosphäre, die bei uns herrscht.

Also ist die Basis der meisten Songs nach wie vor ein Jam, richtig?
Schon. Meist bringt einer von uns eine Idee mit, auf deren Basis wir dann jammen. Es ist dann an mir, den richtigen Moment zu erkennen. Wann immer Genialität aufblitzt, schalte ich mein kleines Aufnahmegerät ein, damit wir nichts vergessen. Wir probieren dann zwar oft noch weiter an den Sachen herum, doch meistens kehren wir zurück zu diesem einen, magischen Moment.

Wie läuft die Arbeit im Studio?
Wir spielen nach wie vor alle Basic Tracks komplett zusammen und als Band live ein. Erst dann kommen die Overdubs.

Ihr habt zuletzt überraschend eure europäischen Festival-Gigs abgesagt. Geschah dieses, weil ihr mit dem Album noch nicht fertig wart?
Auch. Es gab dafür verschiedene Gründe: Brads Frau war schwanger und stand kurz vor der Geburt, wir hatten noch mit der Platte zu tun und dann gilt natürlich eines auch für uns: Es gibt keine wirklich große Rock-Band ohne eine gesunde Funktionsstörung hier und da. (lacht) Ich meine, wenn du nie Tourneen absagst oder dergleichen machst, dann bist du nicht wirklich Rock’n’Roll.

Der Hauptgrund war also Imagepflege, das ist kaum zu glauben…
Okay, Karten auf den Tisch: Der tatsächliche Hauptgrund war, dass Chris aus verschiedenen Gründen nicht bereit war, auf Tour zu gehen. Aber alles halb so wild. Bei Rage haben wir ständig Sachen absagen müssen. Und es war ja auch nicht die ganze Tour, sondern nur einige Konzerte, die wir im Übrigen in geeigneter Form nachholen werden.

Was für verschiedene Gründe waren das, private?
Ja, vor allem private. Es hatte nichts mit der Band zu tun und ist auch wirklich nichts Ernsthaftes. Das hat sich jetzt schon alles wieder erledigt.

Und Brad ist in der Zwischenzeit Vater geworden?
Noch nicht ganz, er steht kurz davor. Er freut sich total.

Produziert hat wieder mal euer alter Kumpel Brendan O Brian, mit dem ihr schon zu Rage-Zeiten zusammen gearbeitet habt, und der auch bei den letzten, von Rick Rubin produzierten Audioslave-Alben mit an Bord war.
Genau, die hat er aber nur gemixt. Wir hatten über die Jahre fast vergessen, wieviel Spaß es macht, mit Brendan Platten aufzunehmen. Für Brendan war es zu gleichen Teilen fantastisch und die Hölle damals mit Rage Against The Machine zu arbeiten. Fantastisch, weil wir mit ihm zwei tolle Platten aufgenommen haben: “Evil Empire” und “The Battle Of Los Angeles”. Verflucht, weil wir zu dieser Zeit als Band im eigentlichen Sinne überhaupt nicht mehr funktionierten und die Stimmung ziemlich mies war. Wir dachten also wie es wohl sein würde, die beiden Enden zusammenzuführen: Eine tolle Platte mit Brendan aufnehmen und gleichzeitig ein gesundes Klima zu haben. Es ging sehr schnell, und es war eine tolle Erfahrung, zu sehen, was er für ein Gespür für die Musik hat.

Erstaunlicherweise hat Chris diesmal sogar einen politischen Song geschrieben: ‘Wide Awake’, der sich mit dem Versagen der Regierung nach dem Hurrikan Katrina beschäftigt. War das seine Idee oder musstet ihr milden Druck walten lassen?
Keineswegs. Das ist komplett auf seinem Mist gewachsen. Ursprünglich habe ich schon versucht, die Band Audioslave in eine politischere Richtung zu drängen – einfach, um das Versprechen einer politischen Rock-Band, das wir mit Rage Against The Machine gegeben haben, zu erfüllen. Dann wurde mir aber klar, dass man das nicht erzwingen darf, weil es dann nicht authentisch gewesen wäre. Wir sind nun einmal nicht Rage Against The Machine. Und nun ist es witzigerweise doch wieder bei einem politischen Song geendet. In diesen Tagen sind einfach viele Amerikaner unzufrieden und wütend mit dem, was die Regierung macht. Ob es nun um den Irak-Krieg geht oder eben um den Hurrikan Katrina, und diese Dinge beschäftigen offensichtlich auch Chris.


Würdest du den sagen, dass diese Geschehnisse sich wirklich meinungsbildend gegen die Busch-Administration ausgewirkt haben?
Definitiv. Was wir gerade beobachten, ist die Tatsache, dass große Teile der Mittelschicht, also gewichtige Stimmen des Landes und zentrale Wählerschichten, erkennen, wie sehr sie von der Regierung in Bezug auf diese Ereignisse hinters Licht geführt wurden. Nichtsdestotrotz muss man eines anerkennen: Die Bush-Regierung ist wirklich sehr clever in der Wahl ihrer propagandistischen Mittel. Sobald sich die Stimmung im Land ansatzweise gegen sie richtet, wird aus heiterem Himmel eine neue Terror-Bedrohung beschworen, die die Leute darauf einschwört, sich wieder unter die schützende Hand ihres Präsidenten zu begeben. Oder Themen wie die Schwulenehe, in Amerika immer noch ein sehr heikles und polarisierendes Thema, kommen seltsamerweise auf die Tagesordnung. Dinge also, die von den Kernproblemen ablenken aber bei vielen Leuten folgendes auslösen: “Okay, ich bin zwar gegen den Krieg im Irak, aber ich will definitiv keine verheirateten Homos in der Nachbarschaft haben!” (lacht) Das ist für manche Leute bei uns das größere Übel. Die Leute wollen und brauchen einen starken Mann, einen Cowboy.

Trotzdem hatte auch ich bei meinen letzten Besuchen den Eindruck, dass man wieder halbwegs normal mit den Leuten über Politik reden und auch Kritik an Bush äußern kann, ohne das gleich diese “either you with us or not”-Mentalität aufblitzt.
Das stimmt. Ich denke, die Amerikaner realisieren langsam, dass ihr Europäer Recht gehabt habt, was den Krieg in Irak betrifft.

In der Vergangenheit gab es immer wieder Probleme, da nach wie vor dieses rechtlich komplizierte Konstrukt gilt, nachdem ihr abwechseln eine Platte für Cornells alte Plattenfirma und die nächste für die von Rage abliefern müsst. Das hat mitunter zu Problemen zwischen euren Managern geführt etc. Inwiefern hat das euer Leben und Arbeiten als Band beeinflusst?
Ja, das ist wirklich eine ziemlich einzigartige Situation. Wir waren mit Rage bei Sony, Chris stand bei Universal unter Vertrag, und beide wollten natürlich ihr Stück vom Kuchen abhaben. Wer die erste Platte raus bringt wurde damals per Münzwurf entschieden, das muss man sich mal vorstellen. Gewonnen hat Sony, die ja jetzt auch “Revelations” veröffentlichen. Natürlich möchte man als Musiker auch gerne mit den Leuten weiterarbeiten, die einen in der Vergangenheit unterstützt haben. Nun ist es aber so, dass wir bereits seit Anfang der Neunziger bei Sony sind, und mittlerweile kaum noch jemand von den alten Leuten mehr dort arbeitet. Bei Chris ist es sogar noch extremer: Er stand ursprünglich bei A&M-Records unter Vertrag, die später von Universal aufgekauft wurden und kennt dort buchstäblich niemanden mehr. Wir fühlen uns also keiner der beiden Firmen mehr sonderlich verbunden und glücklicherweise ist dies nun auch die vorletzte Platte, die unter diesen Umständen erscheint. Vermutlich werden wir unseren Vertrag mit einem Live-Album oder einer Greatest-Hits-Compilation erfüllen.

Was sich über all die Jahre nicht geändert hat ist das Label: All sounds made by guitar, bass, drums and vocals stand bereits auf den ersten Rage-Alben, unter diesem Motto entstand auch ‘Revelations’. Ist dass Ausdruck eurer Philosophie, handgemachte Musik machen zu wollen, oder seid Ihr da wirklich total dogmatisch was das Einsetzen anderer Instrumente anbelangt? Anders gefragt: Würdet Ihr ein Keyboard benutzen, wenn der Song eines bräuchte?
So militant sind wir nicht. Das war immer eher so gemeint: Alle Sounds, die man auf den Platten hört und die vielleicht nach einem Keyboard oder Computer oder sonst etwas klingen, sind von der Band erzeugt. Das bezieht sich vor allem auf meine Spielereien auf der Gitarre, die ja nicht immer wirklich nach Gitarre klingen. Es ist also nicht so: ‚Wir würden niemals ein Xylophon benutzen’. Ich meine, wenn wir der Meinung sind, dass ein Song ein verdammtes Xylophon braucht, dann muss das eben her.’ (lacht)

Gerade was dein Gitarrenspiel angeht, gibt es auf dem neuen Album tatsächlich einige andere Ansätze. Bislang hast du bei Audioslave einen sehr ähnlichen Sound wie bei Rage gefahren. Nun erinnert manches sogar an die Kollegen von System Of A Down…
Oh, wirklich? Das ist mir noch nicht aufgefallen. Das entstand so, dass ich ein bisschen auf der Gitarre rumdudelte und Tim auf einmal meinte: “Hey, nimm das, genau das ist es!”

Ich meinte auch vor allem diese Folk-inspirierten Passagen bei System Of A Down, den osteuropäischen Einfluss.
Ja, stimmt, diese Renaissance-Sachen.

Eure genannten Einflüsse für diese Album – Earth Wind And Fire, Led Zeppelin- stammen offenbar vor allem aus den Siebzigern. Gibt es auch aktuelle Musik, die dich inspiriert?
Ich würde nicht einmal sagen, dass der Haupteinfluss für dieses Album von Zeppelin und Earth Wind And Fire kommt, aber es reflektiert unsere Auseinandersetzung mit diesen Bands. Was neues Sachen betrifft: Es gibt mit Sicherheit einige aktuelle Sachen, die ich mag, aber ich weiß nicht, inwiefern diese mich beeinflusst haben oder nicht. Ich mag Muse, die Bright Eyes und gerade im Moment diese Pete Seeger-Sessions von Bruce Springsteen.

So was Ähnliches machst du ja mit dieser Nightwatchman-Geschichte auch, oder? In diesem Kontext greifst du doch gewissermaßen, nur mit der Akustik-Gitarre bewaffnet, auch die Tradition des amerikanischen Protestlieds wieder auf.
Ja, das stimmt. Ich liebe diese alten Folk-Aufnahmen. Auf meinem iPod wirst du vor allem Dylan, Cash und all diese Jungs finden. Und darum ging es mir auch mit Nightwatchman. Ich war immer ein großer Fan von harter Musik mit dunklen Inhalten und ich habe für mich herausgefunden, dass ein guter Folk-Song genau so hart und düster sein kann wie jeder Heavy-Metal-Song da draußen – es geht um die Intensität des Vortrags, nicht nur um Lautstärke.

Es macht den Eindruck, dass du ununterbrochen arbeitest. Wenn du nicht mit Audioslave unterwegs bist, machst du diese Nightwatchman-Sachen oder kümmerst Dich um Deine politische Arbeit mit der Axis Of Justice-Organisation. Gibt es auch den Privatmann Tom Morello?
Ja, auf jeden Fall. Allerdings könnte ich wirklich mal wieder einen Urlaub oder so was vertragen.

Wie sieht denn ein ganz normaler Tag in deinem Leben aus, wenn du gerade mal gar nichts zu tun hast?
Okay: Zunächst würde ich lange schlafen, das ist sehr wichtig. Anschließend wandere ich mit meinen drei Hunden rauf in die Hollywood Hills und dann gehe ich vielleicht mit meiner italienischen Freundin zum Essen. Anschließend treffe ich mich mit Freunden, um noch ein bisschen auszugehen. Oder wenn es ein schöner Tag ist, sitze ich die halbe Nacht mit den Hunden und Freunden auf der Terrasse.

Du lebst also alleine mit deinen drei Hunden?
Genau, es sind nur sie und ich.

Kannst du dir denn vorstellen eines Tages auch mit genannter italienischer

Freundin eine Familie zu gründen und ein, nun ja, normales Familienleben zu führen?
Auf jeden Fall. Das mach ich, wenn ich groß bin (lacht)!

Aber erstmal geht’s wohl auf Tour, oder? Spielt ihr dann wieder Rage- und Soundgarden-Songs?
Das würde ich sehr gerne tun. Es ist doch toll, mittlerweile aus so einem großen Katalog wählen zu können: Drei Rage-Alben, drei Audioslave-Alben, die ganzen Soundgarden-Platten und dann noch Temple Of The Dog und solche Sachen – das ist fantastisch!