(Foto: dpa/Ade Johnson)

 

Ein Montag im Januar. Es schneit zwar nicht, aber es ist verdammt nochmal kalt. Beim Verlassen der U1 an der Warschauer Straße kommen mir drei junge Frauen um die 20 entgegen. In Jeans-Hotpants ohne Strumpfhose, mit Melone auf dem Kopf (das ist ein Hut), 7/8 Hose und Samt-Loafern sowie – natürlich – einem nicht geschlossenen (ich hoffe) Kunstpelz-Mantel. Frieren sieht einfach cooler aus. Logisch, wie dumm von mir. Intensives Graben in den Tiefen meines Unterbewusstseins ergibt: Es ist Fashion Week und heute Abend wird DIE Opening-Party steigen, veranstaltet von einem der bekanntesten deutschen Männer-Blogs, deren Betreiber aussehen wie verzweifelte, aufmerksamkeitssüchtige, hängengebliebene Fünfundzwanzigjährige. Nur, dass sie lahm ist, diese sagenumwobene Party. Und jetzt kann der Autorin bitte mal niemand vorwerfen, sie hätte keine Ahnung, wovon sie spricht, war sie doch selbst lange genug Teil des ganzen Zirkus, stand auf den sogenannten Gästelisten, beantwortete RSVP-E-Mails, etc. Und ja, sie war auf dieser einen, DER Party. Und die war lahm, sorry Jungs. Da waren ziemlich viele stinknormale Leute und ein paar Freaks. Die Freaks tanzten in Glitzerbikinis auf der Box und strahlten am nächsten Tag in einem RTL Exclusiv-Beitrag über die Mattscheibe. Alle anderen standen einfach nur herum und sahen gelangweilt aus. Oh, und selbstverständlich waren alle unfassbar wichtig, das darf natürlich nicht vergessen werden. Da sind ja nur wichtige Leute auf so einer Party. Alle wichtig und sowieso total unbeeindruckt: Alles schon gehabt, alles schon gesehen. Und ich möchte am liebsten „IHR SEHT ALLE SCHEISSE AUS“ schreien.

Wann wurde aus der schönen Modewoche eigentlich dieses Biest namens Fashion Week? Wann haben all die Blogger und solche, die es noch werden wollen, angefangen, sich exzentrisch und meist stillos gekleidet in Scharen vor einem Zelt am Brandenburger Tor zusammenzufinden, in der Hoffnung, von DEM Streetstyle-Fotografen entdeckt zu werden? Wann wurde Berlin „the shit“? Und wann hat Mode denn zur Hölle angefangen, nicht mehr tragbar zu sein?

Inzwischen ist es Dienstagabend und ehemalige Kollegen aus der Modebranche beginnen, sich auf Facebook im Grill Royal (einem überteuerten Berliner Yuppie-Restaurant) einzuchecken, dazu schreiben sie: „Meeting“. Ja genau. In meinem Hals bildet sich ein Geschwür. Andere posten Bilder aus dem Zelt am Brandenburger Tor: „Love it!“. Kommentar: „Neid Neid Neid“. Mhm, ja. Das heutige Wort zum Freitag möchte nicht falsch verstanden werden, Mode ist etwas Tolles und ja, Mode kann auch Kunst sein. Einem der Norm entsprechenden ästhetischen Wohlbefinden entspricht das meiste, das seit Jahren über die Laufstege stöckelt, allerdings schon seit etlichen Kollektionen nicht mehr. Wir wollen nicht vergessen, dass die Modewochen nicht schon immer zu dem Spektakel hochstilisiert wurden, das sie heute sind. Irgendwann einmal war eine Modenschau ganz einfach eine Kollektionspräsentation für professionelle EinkäuferInnen von Kaufhäusern, HändlerInnen und RedakteurInnen der Fachpresse (Einschub: Gender-Correctness for the win!). Heute ist davon Folgendes übrig geblieben: Schauläufe von B-Promis, die mit dem jeweiligen Sponsoren-Getränk vor der „Brandwall“ posieren und bitte un-fass-bar wichtig wirken. Immer und überall. Dabei vergessen sie alle nur eines: Hier wird nicht die Welt gerettet. Keiner von all den wichtigen Menschen dort leistet mit seiner Anwesenheit auch nur irgendeine Art von gesellschaftlichem Beitrag. Und trotzdem nehmen sich alle so ernst, als ginge morgen die Welt unter, wenn ein Model in der Show stolpert (Sensation!), sie zu spät beginnt und man ein paar Minuten warten muss (Skandal!) oder die Chefredakteurin des meinungsführenden Modemagazins eine Schnute zieht, weil ihr der „final look“ nicht gefällt (das entsprechende Modehaus kann an dieser Stelle im Grunde genommen sofort Insolvenz anmelden). Okay, zugegeben, letzteres war eine Film-Szene. Trotzdem: Habt ihr alle überhaupt schon einmal darüber nachgedacht, was ihr da eigentlich bedeutungsvolles tut? Und was denkt ihr eigentlich, wer ihr seid?


JAY-Z – 99 Problems on MUZU.TV.

Und warum habe auch ich vor zwei Jahren wie eine Geisteskranke stündlich style.com aktualisiert, um ja nicht zu verpassen, was auf den Laufstegen dieser Welt als nächstes Großartiges passieren würde? Und bitte, warum habe ich mich selbst niemals gefragt, was ich da gerade eigentlich tue? An dieser Stelle eine Erkenntnis: Man kann die Mode nicht mehr neu erfinden, schon lange nicht mehr. Alles kommt wieder, ein bisschen verändert möglicherweise, aber es kommt wieder. Auch nackt ist inzwischen ein uralter Trend. Die Modeindustrie, die so sehr aufgebauscht wurde, wie nie zuvor, ist auch nur ein System, das sich selbst am Laufen hält. Und alle machen mit, alle applaudieren. Was soll das eigentlich?

Es geht nicht darum, zu behaupten, Mode, Stil und Ästhetik wären nicht großartig. Niemand hier möchte für eine Abschaffung der Fashion Week plädieren. Aber ein gewisser Realitätssinn würde den meisten hochgestochenen Szene-Leuten sehr gut tun. Ein Gespür dafür, was um sie herum passiert, was wichtig ist und was nicht, was Spaß machen soll und was ernst zu nehmen ist. Ein Gespür dafür, was Mode und der Zirkus um sie herum sein sollte. Kunst, Spaß, nichts Weltbewegendes, vor allem nicht der Nabel der Welt. Vielleicht würde dann aus der „Mercedes Benz Fashion Week Berlin“ auch wieder die schöne alte Modewoche.

Menschen sind nicht besser oder toller oder cooler oder auch nur irgendetwas, weil sie aussehen wie uniformierte Vollidioten, während sie vor einer Streetwear-Messe in Berlin-Mitte herumlungern und rauchen. Das Lustige daran ist, dass sie denken, sie wären dabei individuell und besonders. Beim Vorbeilaufen schäme ich mich für meine Sneakers und fürchte, man könnte denken, ich gehöre dazu. „Kleider machen Leute“, hat schon Gottfried Keller erkannt. Erkannt hat er aber auch, wieviel Sinn hinter der gesellschaftlich anerzogenen Oberflächlichkeit steckt. Keiner nämlich. Mit dem heutigen Freitag endet die Fashion Week in Berlin, wenigstens bis Juli. Dann werden die „Spring/Summer 2015“-Kollektionen gezeigt. Vielleicht haben bis dahin einige ein bisschen nachgedacht. Wahrscheinlich aber eher nicht. Somit verabschieden wir die Einheits-Look-Meute in Richtung München und Hamburg und winken.

"Ihr könnt eigentlich gern mit reinkommen,
Nur halt nicht in den Club.
Schade, dass du gehen musst, 
Wir sehen uns beim Nähkurs!"

(Valerie Marouche)