‘Gekommen Um Zu Bleiben’. Das ist eine Ansage. Das kennen wir von den Helden. Bevor sie ihr erstes Album ‘Die Reklamation’ herausgebracht haben, hat ihnen irgendwer voraussichtlich schon einmal ein ‘Denkmal’ errichtet. Zu Recht, mag man sagen, wenn man sich die Verkaufszahlen und die Auszeichnungen anschaut. Denn Wir Sind Helden haben wie kaum eine andere deutsche Band die musikalische Landschaft auf den Kopf gestellt. Und somit den Grundstein für eine neue deutsche Welle gelegt, die derzeit ganz formidabel rollt.

Zwei Jahre sind ins Land gezogen, und die Helden lassen sich noch immer nicht lumpen. Wen überrascht es. So liefert die Band um Sängerin Judith Holofernes nach eigener Aussage mit der neuen Platte ‘Von Hier An Blind’ein eher nachdenkliches, melancholisches Album ab. Und eröffnet somit eine erneute Diskussion. Für die einen sind Wir Sind Helden die Größten. Die Texte werden großgeschrieben. Missinterpretation werden nicht gerne gesehen. Man steht hinter jedem Wort. Andere sehen das anders, und stellen Wir Sind Helden lieber an das Rednerpult und küren sie zu den Sprechern der ‘Gegen Irgendwas’-Bewegung. Denn wer Konsumkritik predigt, sollte in diesem Zirkus auch nicht mitmachen. Wenig angetan von solchen Äußerungen geben Jean-Michel Tourette und Pola Roy sich trotzdem gelassen, aber auch sehr gespannt. Die beiden wandern gemeinsam alte Wege von ‘Müssen Nur Wollen’ bis hin zum neuen Album ‘Von Hier An Blind’ ab. Und all das im O-Ton.

Wenn man ruhiger wird
Jean-Michel Tourette: “Die melancholischen Songs sind deutlich in den Vordergrund gekommen. Die hatten wir auf dem ersten Album zwar auch mit ‘Du Erkennst Mich Nicht Wieder’ oder ‘Die Zeit Heilt Alle Wunder’. Somit gab es auch da schon nachdenkliche, melancholische Songs. Aber irgendwie war es jetzt in dieser Phase, wo wir die Songs geschrieben haben, mehr. Jeder von uns hat diesmal musikalisch wie auch textlich nachdenklichere Dinge einfließen lassen. Wir haben uns gegen die Entwicklung nicht gesträubt. Wir haben es einfach passieren lassen und gemerkt, dass es sich gut anfühlt. Zwischendurch hatten wir auch mal ein Hauch von Panik, wo wir nur noch daran denken mussten, dass da gar nichts Schnelles mehr dabei ist. Irgendwann war uns das dann aber wieder total egal und aus heutiger Sicht war das auch richtig so.”

Die Qual der Wahl – Die Erste Single
Pola Roy: “Es gibt ja immer ein Punkt, an dem man entscheiden muss, was der erste Song wird, der ausgekoppelt wird. Der über das Radio kommt, und mit dem man sich zurückmeldet. Und als wir uns das Album angeschaut haben, war uns relativ schnell klar, dass wir das erstens inhaltlich lustig finden, mit einem Song zurückzukommen, der heißt ‘Gekommen Um Zu Bleiben’. Das entspricht irgendwie auch dem Humor der Band. Und dann hatten wir auch das Gefühl, dass dieser Song eher mit dem bricht, was wir so hinterlassen haben. Wir sind mit ‘Denkmal’ von der Bildfläche abgetreten und hatten irgendwie das Gefühl, mit etwas komplett Anderem wiederkommen zu müssen. Wir sind das Risiko eingegangen, dass viele Leute sagen, dass sie das scheiße finden und wir wieder so klingen sollen wie bei ‘Denkmal’. Es wäre eigentlich einfacher gewesen, einen rockigeren Song auszukoppeln. Aber dann fanden wir es gut, einfach mit den Erwartungen zu brechen. Das war relativ schnell und einstimmig in der Band klar. Das haben wir dann auch so vertreten und alle fanden das super.”

Die Unfreiwilligen Klassensprecher
Jean-Michel Tourette: “Wir genießen all das, was mit uns geschehen ist. Wir merken auch, dass es uns Spaß macht, in Interviews auch einmal zu relevanten Themen befragt zu werden. Sei es politisch oder gesellschaftlich. Ich glaube, dass wir das, was in den vergangenen zwei Jahren über uns hereingebrochen ist, besser weggesteckt haben als ich mir das je vorgestellt habe. Hätte man mir dieses Szenario vor zweieinhalb Jahren skizziert, hätte ich gesagt, dass wir abdrehen und arrogant werden. Das hat innerhalb der Band eigentlich nur dazu geführt, dass wir uns durch die Interviews noch intensiver kennengelernt haben. Wonach wir nicht nach streben, ist diese Klassensprecher-Vordenkerposition, die uns manchmal ein bisschen untergejubelt wird, die aber auch ein Hemmschuh ist. Wir sagen gerne unsere Meinung, und sagen diese in Songs wie in Interviews. Aber wir hegen jetzt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Es ist nur eine von möglichst vielen Meinungen. Wenn wir da gehört werden, ist das toll. Wir sind jetzt aber nicht diejenigen, die sich vorgenommen haben, mit einer großen Fahne vor einer Bewegung herzulaufen. Von daher ist das ein bisschen zwiespältig.”

Andichtung Von Unwahrheiten
Pola Roy: “Wenn man ein größeres Thema anspricht, dann versucht man, das in dem Song schon so genau wie möglich zu machen. Dann ist der Song fertig, man bringt ihn raus und er beinhaltet ein Statement. Und das Problem ist dann, dass man in Interviews genau darauf angesprochen wird, aber dadurch den Song abermals interpretiert, obwohl man eigentlich schon alles gesagt hat. Dadurch wird ein Statement natürlich zerfasert. Obendrein wird von außen viel hineininterpretiert, und dann werden einem Stempel aufgedrückt. Wie zum Beispiel dass wir Konsumkritiker sind und uns deshalb keine neuen Hosen kaufen. Und wenn man uns dann sieht, dass wir uns neue Sachen kaufen, dann sagen die Leute, dass wir uns selbst verraten. Wir müssen uns ständig für irgendwas rechtfertigen.”

Wenn Leute Nur Die Hälfte Hören
Jean-Michel Tourette: “Bei dem Lied ‘Müssen Nur Wollen’ ist mir klar geworden, dass doch der Musikhörende im Allgemeinen den Worten des Refrains mehr Gewicht zu geben scheint als der Strophe, die ja eigentlich gemeinsam die Aussage bilden. Das war von uns aus durchaus ein Spiel, dass genau die entgegengesetzte Aussage zur Strophe entscheidend ist bei dem Lied. Man kann sich nicht jederzeit erklären. Manchmal hat man halt spitzbübische Freude dabei, dass die Leute den Song falsch interpretieren und man sie darauf hinweisen kann. Aber wenn man keinen Einfluss mehr darauf hat und irgendein Fernsehsender ‘Müssen Nur Wollen’ zur Unterlegung einer Hartz IV-Reportage nutzt, dann ärgert einen das schon. Da fragt man sich, warum die Leute sich nicht etwas genauer mit der Musik auseinandersetzen. Andererseits freuen wir uns natürlich auch darüber, wenn uns jemand eine Mail schreibt, dass er ein viel besseres Abi gemacht hat, weil der Song ihn so motiviert hat. Auch wenn die Person den Song damit auch nicht richtig gedeutet hat.

Text: Tanja Hellmig