(Foto: oktoberpromotion)
Ludwigshafen, 8. März, 20 Uhr: Das Haus im Zentrum der rheinland-pfälzischen Industrie-Perle ist ausverkauft. Am Merch-Stand werden Tonträger, Poster und Fanshirts aus organic cotton vertickt. Die Londoner I AM GIANT werden ihrer Aufgabe als Support mehr als gerecht, ebenso THE INTERSPHERE als Hauptact. Den ersehnten Kontrollverlust liefern die vier Mannheimer Progrocker spätestens live nach. Das Publikum dreht ab, schwitzt, tanzt, airdrummt, gröhlt, jubelt, schwebt, schmust, träumt und geht am Ende völlig platt und glücklich nach Hause, natürlich nicht ohne die verdiente Zugabe. Die Antwort auf die Frage, warum THE INTERSPHERE nicht längst schon an Orten spielen, die ihrem Sound und ihrer wuchtigen Live-Energie den gebotenen Raum bieten, sei höheren Mächten überlassen …
Wir drehen die Zeit zwei Stunden zurück und gehen mit Thomas Zipner (Gitarre), Christoph Hessler (Gesang und Gitarre) und Sebastian Wagner (Bass) für ein paar Fragen zu ihrer neuen, bereits vierten Platte "Relations In The Unseen" Backstage:
motor.de: "Hold On, Liberty!" wurde bereits ziemlich gefeiert. "Relations In The Unseen" ist letzte Woche erschienen und wird teilweise als persönlicher Meilenstein bezeichnet – Wie seht ihr das?
Thomas: Wenn man die Alben rückblickend sieht, dann finde ich, hat sich das Profil immer weiter geschärft. Während die erste Platte noch sehr durchmischt ist, ist Interspheres <> Atmospheres schon die erste Platte, wo man sieht, wo's hingeht. Mit Hold on, Liberty! und Relations In The Unseen ist das immer konkreter geworden. Die aktuelle Platte bringt das relativ auf den Punkt.
motor.de: Insgesamt ist "Relations In The Unseen" eine recht melancholische Platte. Jedoch fühle ich mich nach dem Hören nicht down, ganz im Gegenteil: eher euphorisch, fröhlich. Es strahlt so ein Glücksgefühl beständig durch das Dunkel hindurch: Was ist das?
Christoph: Ich glaube, das liegt einmal an den Gitarrenstimmungen und an den Harmonien, die durch die offenen Stimmungen zustande kommen.
Sebastian: Das liegt wahrscheinlich auch an unseren Charakteren. Wir sind eben nicht die traurigen Melancholiker, die die ganze Zeit down sind.
motor.de: Wie entsteht bei euch ein Song?
Christoph: Meistens habe ich eine Idee, schnapp' mir irgend ein Mikrofon und nehme die Sache ganz rough auf. Bei Out Of Phase hatte ich zum Beispiel gerade neue Mellotron-Sounds bekommen und rumprobiert. Das ganze Streicherarrangement basiert praktisch auf diesem Sample, das die Initialzündung zu der Idee gab. Ganz am Anfang war das sogar eine Elektronummer mit Björk-Beats. Dieses Mal wollten wir bewusst weiter gehen als Bass, Gitarre, Schlagzeug, und andere Instrumente dazu nehmen. Das hört man auch bei The Ones We Never Knew.
Sebastian: Wobei wir im Proberaum immer wieder versuchen, zu dem gitarrenlastigen Kontext zurückzukehren, der The Intersphere ausmacht und eine Symbiose zu finden. Viele Ideen kommen zwar von Christoph, aber im Proberaum passiert dann noch sehr viel.
The Intersphere – Sleeping God on MUZU.TV.
motor.de: Was inspiriert euch?
Christoph: Die besten Geschichten bringt nach wie vor der Alltag, wenn man einfach mal die Augen aufmacht, sich irgendwo hinsetzt und ein paar Leute beobachtet …
Sebastian: … oder versucht, dem Nachrichtenwahnsinn zu folgen (lacht) …
Christoph: … auch das. Ich hab meistens ein Buch dabei und schreib mir die Sätze, die ich so aufschnappe direkt auf. Später spinne ich die Geschichten weiter. Filme und Bücher sind natürlich auch gut für Ideen.
Sebastian: Wir sprechen auch viel über die Texte, damit wir uns auf die Thematik des Songs oder des Albums einschießen. Dabei lassen wir viel Interpretationsspielraum. Die Texte beziehen sich nicht konkret auf ein Beispiel, weil jeder eine andere Erfahrung mit reinbringt.
motor.de: Auf was bezieht sich der Titel „Relations In The Unseen“?
Christoph: „Relations in the unseen“ ist eigentlich eine Zeile aus einem alten englischen Buch, „Aurora Leigh“ (von Elizabeth Barrett Browning, Anm. d. Redaktion). Den Satz fand ich als Titel cool. Der Song an sich besteht aus lauter Oxymoronen. Die Grundidee war also, mehr zwischen den Zeilen zu lesen, nicht immer gleich alles für bare Münze zu nehmen oder dass man einfach mal wieder beginnt nachzufragen, was hinter der Aussage steht. Bei medialen Texten übernimmt man das oft leicht und meint: Ja, genau so ist es. Dann steht aber irgendeine Company dahinter, die das forciert hat oder ein Politiker.
motor.de: Findest du Lügen verwerflich?
Christoph: Mh, nö …
Thomas: Du kannst auf die Frage auch keine richtige Antwort geben, weil du genau so gut lügen könntest. (lacht)
motor.de: Die Texte kreisen oft um Desillusion, Ernüchterung, Enttäuschung, …
Christoph: Ja, wenn ich mir die Gesellschaft und die Welt heute anschaue, dann empfinde ich das so. Und so beschreibe ich das auch mit den Bildern.
motor.de: Wie gut, meint ihr, könnt ihr mit solchen Situationen umgehen, in denen sich mal wieder heraus stellt, dass die Welt so, wie man sich das gedacht hat, einfach nicht läuft?
Sebastian: Du fängst dann einfach an, deine eigenen Regeln aufzustellen – ob's um Respekt geht oder Treue, was auch immer … Da draußen laufen viele Dinge nicht so, wie man glaubt. Das zu entwirren, ist jedem anders gegeben. Aber irgendwie müssen wir alle da draußen klar kommen. Das zeigt sich auch im Artwork von der Platte. Da sind ganz viele Verbindungen von irgendwelchen verrückten Dingen, ob die jetzt zusammenpassen oder nicht. Genauso ist es draußen. Da gibt’s Verbindungen, wo du denkst: Das kann überhaupt nicht sein. Daher ist es gut, nach seinem eigenen Gewissen zu handeln und diesen Weg zu verfolgen.
Thomas: Ich finde, das funktioniert ganz gut, wenn man generell nicht so ein starres Gebilde hat. Ich versuche da meistens, nicht so eine konkrete Vorstellung zu haben und ganz fest daran zu glauben.
motor.de: Relations In The Unseen wird ab Mitte März auch europaweit und in Nordamerika zu haben sein. Im Oktober 2013 wart ihr das zweite Mal mit Karnivool aus Australien auf Tour, Ende April supportet ihr Dredg aus Kalifornien und bei eurem Label, Long Branch Records, sind Künstler wie Everlast oder Birth of Joy aus den Niederlanden unter Vertrag. Wird euch immer noch gesagt, dass es für euch in eurem Genre schwierig sei, weil ihr im Wettbewerb mit Bands weltweit steht? Oder fühlt ihr euch inzwischen in einer gewissen transnationalen Szene zu Hause?
Thomas: Generell ist Nordamerika einfach schwierig, weil wir nicht da sind. Nach dieser Tour geht’s das erste Mal nach England. Für das, was wir machen, ist es wichtig vor Ort zu sein und Konzerte zu spielen.
Sebastian: Es kommt auch darauf an, was für ein Engagement das Label unserer Sache entgegen bringt. Viele Labels sind überrannt mit Bands. Wir fühlen uns bei unserem Label gerade sehr wohl, weil die ziemlich Bock auf unsere Sachen haben und wir gut betreut werden.
motor.de: Merkt ihr, dass ihr schon eine gewisse Fanbase in anderen Ländern habt?
Sebastian: Es fragen schon regelmäßig Leute an. Aber wenn wir hinkommen, kriegen das noch zu wenig Leute mit. Insofern ist das jetzt auch eine gute Gelegenheit mit I Am Giant zu touren, weil die in England eine Fanbase haben und wir bieten denen hier unsere und hoffen natürlich, dass das Publikum auf beiden Seiten die Sachen gut findet.
motor.de: Mögt ihr Festivals?
Alle: Klar! (lachen)
motor.de: Wenn ihr ein Festival organisieren könntet, wen würdet ihr einladen – quer über den Globus und durch die Jahrhunderte? Das Budget spielt keine Rolle.
Thomas: Mh, wenn man John Lennon wieder ausgraben könnte (lacht) …
Sebastian: Dave Grohl und die Foo Fighters, … Nine Inch Nails …
Christoph: Mutemath wären cool, die waren noch ganz selten hier … oder Reign of Kindo.
Thomas: Ich würde auch Periphery gerne mal sehen, aber nur so 'ne viertel Stunde …
Christoph: … und Entombed, die sind nämlich auch geil.
Interview: Anne Gläser
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