Jamie Lidell über New York als Zuhause, Becks spontane Arbeitsweise und den persönlichen Kontrollwahn.
Jamie Lidell ist zurück und mit seinem vierten Album “Compass” hat der Brite neuen Kurs genommen. Weniger Soul als auf den vorvergangenen Veröffentlichungen, dafür wieder mehr Elektro-Beats und Experimente lautet die Devise. Die Gästeliste ist aber wie immer hochkarätig besetzt: Beck, Feist und Chris Taylor von Grizzly Bear haben die Entstehung von “Compass” begleitet. Zum Interview tritt der gebürtige Brite aber allein an.
motor.de: Du hast in den letzten Jahren in Berlin und Paris gelebt, bist kürzlich nach New York gezogen. Bist Du endlich angekommen?
Lidell: Ja, es fühlt sich definitiv wie zu Hause an. Natürlich auch, weil ich in New York mit meiner Freundin zusammen wohne und sehr verliebt bin. In meinem Fall ist der Spruch “Home is where your heart is” absolut wahr. Als ich in Berlin gelebt habe, war ich ein Vagabund. Meine Wohnung war wirklich kein Ort, auf den man stolz sein konnte. Inzwischen habe ich all die Dinge, die man als Erwachsener haben möchte: ein gutes Sofa, einen schönen Tisch und so weiter. Wenn ich jetzt nach Hause kommen, fühlt sich das auch so an.
motor.de: Du hattest bereits mit Beck gearbeitet und getourt, als er Anfang letzten Jahres anrief, um zu fragen, ob ihr wieder zusammen arbeiten wollt. War das der Startschuss für “Compass”?
Lidell: Ich muss zugeben, dass ich von Zeit zu Zeit ein wenig faul bin – und ich bin nicht unbedingt stolz darauf (lacht). Ich war Anfang 2009 gerade nach New York gezogen und habe es genossen, mich wie ein Tourist in der Stadt zu bewegen: Pizza essen zu gehen, mich umzusehen. Als Beck anrief, war ich noch dabei, mich einzugewöhnen. Natürlich dachte ich, dass musikalisch etwas Neues passieren müsse. Die Tour zum letzten Album war beendet, Management und Plattenfirma fingen langsam an, zu fragen: “So Jamie, was nun?”
motor.de: Hättest du dir nicht auch eine Auszeit nehmen können?
Lidell: Nun, ich habe zwar einen Vertrag mit,Warp Records, aber sie sind sehr entspannt, was die Veröffentlichungsrhythmen angeht. Es hat mich sehr viel Zeit gekostet, mein zweites Album “Multiply” abzuliefern. Von daher wäre es in Ordnung gewesen, sich ein wenig Zeit zu lassen, aber mit Beck zu arbeiten ist eine großartige Chance. Es war fantastisch nach Los Angeles zu fliegen, mit ihm gemeinsam in einem Raum zu sitzen und wieder zu schreiben. Und zu sehen, wie er arbeitet: Der totale Gegensatz zu mir.
motor.de: Inwiefern unterscheidet sich eure Arbeitsweise?
Lidell: Er schreibt viel spontaner. Ich hingegen kann ziemlich schnell komponieren, aber nicht texten. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum er so produktiv ist. Gib ihm eine Gitarre und zwanzig Minuten Zeit, und er liefert einen beindruckenden Song ab. Als ich anfing, mit ihm zu arbeiten, hat mich das ziemlich eingeschüchtert. Wenn er dann fragt “Und was hast du?”, habe ich gesagt, “Naja, ich habe gehofft, dass du was Gutes hast” (lacht). Anschließend bin ich wieder nach New York zurückgekehrt und wollte später mit ihm weiterarbeiten. Das gab mir Zeit darüber nachzudenken, was ich mit dem Album wirklich sagen wollte – und das war eine Menge, wie sich schließlich herausstellte. Beck ist ein sehr guter, abstrakter Texter. Gib ihm eine Thema und er legt sofort los. Aber ich wollte spezieller werden. Einen Monat lang habe ich konzentriert zu Hause gearbeitet und schrieb ungefähr einen Song pro Tag. Im Vorfeld zu sehen, dass man tatsächlich so arbeiten kann und es dann selbst zu schaffen, war großartig. Und es war eine Motivation zu wissen, dass ich Beck wieder treffen würde, eine Deadline, die mir den nötigen Druck gab.
motor.de: Bis auf dein Debüt “Muddlin Gear” hast du alle Alben mithilfe diverser Künstler wie Mocky, Gonzales oder Feist produziert. Fällt es dir schwerer, allein zu arbeiten?
Lidell: Das Lustige ist: Trotzdem mir auch diesmal so viele geholfen haben, fühlt es sich wie mein Album an. Sogar mehr als alle bisherigen. Obwohl alle Kollaborateure an der Entsehung Teil gehabt hatten, hatte ihre Unterstützung mehr einen motivierenden und beratenden Charakter. Man braucht solche Menschen im Leben. Vielleicht nicht unbedingt Jeder. Aber Jeder benötigt Inspiration und es ist gleich, ob man sie nun in einem Buch, einem Augenblick oder einer Person findet.
motor.de: Wenn man wie du mit so vielen Menschen zusammen arbeitet, hat man keine Angst, Kontrolle abzugeben, oder täuscht das bei dir?
Lidell: Nun ja, man muss wissen, wann man nur um der Kontrolle willen an etwas festhält. Im Gegenteil, ich bin ein ziemlicher Kontrollfreak. Was meinen Stil zu singen angeht oder die Art, wie ich wahrgenommen werden möchte, bin ich sehr eigen. Wenn du Chris Taylor diese Frage stellst, würde er wahrscheinlich nur mit den Augen rollen. Ich hab ihm beim Abmischen des Albums fast keinen Spielraum gelassen, weil ich ihn immer unterbrochen habe. Ich habe in meinem Leben Alben von Anfang bis Ende selbst gemacht und weiß also, wie es gemacht wird, aber ich habe dennoch gern das Gefühl, dass noch andere beteiligt sind.
motor.de: Dein letztes Album “Jim” war sehr poppig und eingängig. “Compass” hingegen klingt wieder komplexer und verspielter – eine Konsequenz woraus?
Lidell: Ich bin ehrlicher mit dem umgegangen, was ich in den letzten Jahren erlebt habe. “Compass” steht für eine sehr emotionale Zeit in meinem Leben, für Sehnsucht bis hin zu Wut und Frustration. Es war wichtig für mich all diese verschiedenen Dinge zu verarbeiten. Und das hört man wohl.
Interview: Ina Göritz
No Comment