Schäbige Hotelanlagen, Bars, Cafés und ein Leben aus dem Koffer standen schon immer auf der absoluten Pflicht-Liste eines ernstzunehmenden Troubadours. Mit begnadeter Beobachtungs- und nahezu schon humanistischer Hingabe hält Jesse Malin die observierten Schnappschüsse des Lebens auf Servietten und Bierdeckeln fest – um sie anschließend in Songs zu subsumieren, die nicht nur lyrisch dem Shortstory-Charakter, sondern auch musikalisch einen Identifikationswert besitzen. Mit seinem dritten Album ‘Glitter In The Gutter’ meister Malin auch die Kür, indem er nicht nur mit, beziehungsweise wegen, ein bisschen Hilfe von ein paar Freunden so herzerfrischend rockig und zugleich poppig daherkommt wie kaum ein anderer seiner zahlreichen Singer/Songwriter-Kollegen.
“Ich habe insgesamt 30 Songs für die Platte geschrieben, wollte viele E-Gitarren drin haben und das ganze Songwriting dabei doch sehr verschlanken und alles fokussiert auf den Punkt bringen”, erklärt Malin. “Allerdings ohne auf die Geschichten und Charaktere in den Songs zu verzichten. Ich wollte einfach eine geile, punkige Pop-Platte machen, anstatt schon wieder so ein ‘Heul-in-dein-Bier’-Akustik-Album, was ich ja vorher gemacht habe. Und selbst diesen Ansatz gibt es ja auf ‘Glitter In The Gutter’ streckenweise auch noch”, erzählt mir der gerade in der Ausführung seiner In-fünf-Tagen-um-die-Welt-Promo-Wochen-Tätigkeit befindliche und entsprechend leicht übermüdeter Jesse, dessen flotte Wort-Schnellschüsse bislang aber keinesfalls unter diesen Umständen zu leiden scheinen. Auf die Frage, ob sein neuestes Werk obgleich seines durchaus glamourösen Titels und des Sound-immanenten großen, klassischen Rock-Gestus vielleicht ein Rückverweis auf seine völlig zu Unrecht unterbewerteten Tage als Frontmann der Glam-Punk inspirierten D Generation zurückzuführen sei, entfährt Jesse erst einmal eine formale Fontäne zu mutierten musikalischen Fachbestimmungen. “Viele mögen den Albumtitel nicht, weil sie meinen, er klinge zu sehr nach Poison oder Cinderella. Dabei ist er eigentlich an dieses Oscar Wilde-Zitat angelehnt: ‘Wir liegen alle in der Gosse, aber einige von uns betrachten die Sterne.’ Ich selbst mag alle möglichen Arten von Musik, aber keine Genres. Bin ich jetzt Singer/Songwriter, Emo, Alternative-Country, Punk, Glitter Punk, No-Wave, New Wave, Techno-Glam-Industrial oder Homo-Erotiker? Ich mag die Dolls, Mott The Hoople, T.Rex und David Bowie, das ist so meine Glam-Ära. Die Sunset Strip-Bands später haben mir eher etwas Angst gemacht. Nein, im Grunde genommen stehe ich einfach auf Pop. Ich bin mit Elton John aufgewachsen und den höre ich immer noch gern. Genauso wie die Bad Brains und Motörhead und alles dazwischen. Ich stehe eben auf ehrliche Musik, die vom Herzen kommt und von Leuten, die was zu erzählen haben.”
Und von und mit ebendiesem Authentizitätsverständnis kann auch Jesse das ein oder andere Lied singen. Über ein musikalisches Stück Lebenshilfe vom Sendersuchlauf des Autoradios, Lucinda Williams, schwarzhaarige Mädchen oder überhaupt all die fast verkrachten und doch stets enthusiastisch vorwärts strebenden Seelen, die auf sämtlichen Sinnsuch-Straßen des Lebens wacker am Steuer bleiben. Schließlich hat auch der typische New Yorker Malin, der ebendort kurzfristig sein Apartment verloren hat und deshalb die ganzen Aufnahmen zur neuen Platte in einem – nach eigener Aussage – recht seltsam anmutenden Apartment-Hotel-Komplex in Los Angeles verlebt hat, eine weitere Reise mehr auf dem kreativen Konto zu verzeichnen, die dem Platten prägenden Road Movie-Gedanken Rechnung trägt. Insofern haben nämlich nicht nur all die Figuren, die Jesses Songs bevölkern, auch folgenden gemeinsamen Nenner: “Sie haben alle diesen Überlebenswillen, dieses sich Durchbeißen können und diesen positiven Glauben an ein besseres Leben. Vieles auf dieser Platte dreht sich für mich auch um Helden meiner eigenen Kindheit, wie die Ramones oder KISS. Diese Träume, die sie als Quasi-Superhelden verkörpert und in ihrer Musik transformiert haben.
Genau diese Attitüde ist ein zentraler Aspekt des Albums.” Jesses Road-Music-Heldenalbum soweit, soviel steht fest. Und bezüglich der anfangs erwähnten musikalischen Mitfahrer ein ganz klarer Fall für die All-Star-Zentrale. Neben niemand geringerem als dem Boss selbst, Mr. Bruce Springsteen, der sich auf ‘Broken Radio’ ein gesangliches Stelldichein mit Mr. Malin liefert, hat Jesse nämlich auch noch Jakob Dylan, Josh Homme und Langzeitkumpel Ryan Adams mit an Bord. “Das sind einfach nur ein paar Leute, die ich kenne und die eben auch Musiker sind und gerade während meiner Aufnahmen in L.A. rum hingen. Es ist immer schön, wenn jemand eine neue Perspektive mit einbringt, wie Josh Home bei ‘Tomorrow Tonight’ oder Jakob Dylan auf ‘Black Haired Girl’. Bruce hat mir, als ich ihn bei seiner letzten Tour gesehen habe, angeboten, mal etwas zu meiner nächsten Platte beizusteuern. Ich wusste erst gar nicht so recht, was er machen sollte: Singen oder nur Gitarre spielen, oder was auch immer. Und dann hatte ich diesen Song ‘Broken Radio’, der wirklich musikalisch und textlich zu ihm passen könnte. Es geht ja um das Radio und Musik als erlösende Kraft und Zuflucht der Leute vom Alltag. Er hatte dann auch Lust darauf, und so bin ich zu ihm nach New Jersey gefahren. Er hat ja dieses hemdsärmelige Arbeiterimage als Mann des Volkes und so, aber das ist kein Image, sondern die Realität. Es ist toll, jemandem zu begegnen, der so populär ist, aber immer noch mit beiden Füßen fest auf dem Boden steht.”
Nun, das wird der mittlerweile wieder im Big Apple residente Jesse zumindest lokal in nächster Zeit Bruder Bruce einmal nicht gleichtun, schließlich steht nun wieder mal ein Leben on the road an. “Die nächsten anderthalb Jahre werde ich sowieso wieder ständig unterwegs sein, weil ja die Tour ansteht. Das ist das tolle an der Musik: Das Reisen. Die Plastikhandschuhe bei Subways, saubere Bettwäsche, den Mundgeruch von deinem Sitznachbarn im Flugzeug atmen – alles für die Show! Nein, das ist schon alles cool. Man kriegt sein Bier umsonst, muss keinen Langweilerjob machen und kann aufdrehen, ohne dass Mama dir sagt, du sollst die Klappe halten und zurück auf dein Zimmer gehen – meistens zumindest.”
Egal ob nun Gosse oder die große Show – letztendlich ist alles nur eine Frage der Perspektive. Und solange diese nicht in der -Losigkeit endet, wird auch alles gut. So gut wie dieses Album und der Mensch Malin ohnehin schon sind.
Text: Frank Thießies
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