Es ist Ende März 2007 und wir sind am Manchester Square, nördlich der Oxford Street im Schatten des Selfrides Kaufhauses. Das ist hier nicht die schickste Gegend von London, aber die Heimat der Zentrale der drittgrößten Plattenfirma der Welt. Früher saß sie, die EMI im angesagten Soho, aber früher schrieb die Musikwirtschaft auch noch gute Zahlen. Früher das war bevor das Internet kam, bevor die EMI zum Verkauf stand, bevor der Vertreter ihrer Aktionäre, der ehrenwerte Erik Nicoli alle Musikmanager aus der Führung des Unternehmens geworfen hatte. Nun sind die weg und viele Räume am Manchester Square verwaist. Nicoli der zuvor fast zwanzig Jahre für United Biskuit (Vereinigter Keks) gearbeitet hat, hat die Unternehmensführung allein geschultert. Das fällt dem ehemaligen Backwarenmanager nicht leicht, denn auf vieles weiß er sich noch keinen Reim zu machen. Nicoli ist Vernunftsmensch, er hat Atomphysik studiert bevor der Keks rief. Aber mit Vernunft hat vieles nicht zu tun, was er als Wahrheiten der Musikwirtschaft vorgefunden hat.
Heute ist wieder so ein Tag, wo er über die Unlogik der Industrie zu stolpern droht. Dabei wollte der freundliche Herr mit Halbglatze eigentlich nur mit seinem Lieblingssong „Musik to Watch Girls By“, einem herrlichen Klassiker aus der Zeit, als er selbst noch jung war, den frühen englischen Frühling begrüßen. Als er aber versucht ihn auf seinem PC abzurufen, teilt ihm das Programm mit, dass er dazu kein Recht habe. Nicoli versteht die Welt nicht mehr. Den Song hat er sich doch erst vor drei Jahren, als er das neue Büro im Haus bezog online gekauft. Er hat ihn nicht gebrannt, nicht an andere weitergegeben, er hat nichts Böses getan, er hat ihn einfach nur ab und zu bei Cabrio-Wetter gehört. Wer versagt hier? Die Computerindustrie oder das Rechtemanagement? Nicoli hat einen guten Instinkt und deshalb letzteres in Verdacht. Seine Sekretärin lässt Roger Faxon, den letzten Musikmanager in der Führungsebene des Hauses antreten.
Genau genommen war der auch die meiste Zeit bei Filmfirmen, dem Auktionshaus Sotheby’s oder hat die US Regierung in Sachen Außenwirtschaft beraten, aber immerhin hat er länger mit Musik zu tun als Erik selbst. „What the fuck…“ sagt Nicoli, als der Chef seines Musikverlages vorsichtig den Kopf zur Tür reinsteckt. Roger klickt schnell, nachdem ihn das Problem geschildert worden ist die Dateien EMI eigner Künstler an. Aus den Lautsprechern im Chefbüro erklingen die Beatles, Coldplay, Radiohead und Robbie Williams. Nur bei den Dateien die Nicoli nicht von den hauseigenen CDs geripped, sondern bei Itunes gekauft hat, geht nichts mehr. „Hast Du eine neue Festplatte bekommen?“ fragt er vorsichtig seinen Boss? „Kann sein…“ knurrt der. „Hast Du Deine Dateien mal gesichert?“ hakt er nach. „Ja, neulich…“ sagt Nicoli missvergnügt. „Und bekommst Du immer noch jährlich einen neuen PC um von unserer IT Abteilung installiert?“ setzt Roger die Befragung fort. „Das ist völlig überflüssig, aber das tun die um zu beweisen dass sie uptodate sind“ antwortet Nicoli mit einem Unterton der leicht defensiv klingt.
„Bingo!“ der hagere, grauhaarige Flaxon strahlt: „Kopierschutz. Du darfst die Dateien 5 mal transferieren, danach geht nix mehr.“ „Wahnsinn, wieso?“ staunt sein Chef, „ist das bei illegal herunter geladenen Dateien auch so?“ Flaxon versteht die Frage nicht ganz. „Wieso bekommt der Käufer in unserem Expansionsmarkt Downloads für gutes Geld ein schlechteres Produkt als das, was es in Tauschbörsen umsonst gibt? Fangen wir in anderen von Piraterie bedrohten Märkten wie Indie oder Thailand jetzt auch an illegale MCs oder CDs mit eigenen, legalen die minderwertig sind zu bekämpfen?“ setzt Nicoli nach „Du vergleichst hier Äpfel mit Birnen…“ versucht Roger die Industrie zu verteidigen. Doch der Vergleich mit den Lebensmitteln inspiriert Nicoli nur noch weiter: „ Beim Auslaufmodel CD gibt es all die Restriktionen nicht. Wieso tun wir das unserem Wachstumsmarkt Download an? Ich habe „Music To Watch Girls By“ völlig legal erworben, ich muss damit doch tun können, was ich will. Das ist so, als würden wir den Leuten Kekse verkaufen, die sie nicht essen dürfen…“ Es folgen noch zwei Anekdoten aus seiner Zeit bei United Biskuits, dann sagt er, bevor ihm Flaxon all die guten Gründe der Industrie für Kopierschutz dargelegt hat, zu seiner Sekretärin „Verbinden sie mich mal mit dem Jobs“.
Wenige Tage später am 2. April ist es so weit. Seite an Seite verkünden Apples Steve Jobs und Eric Nicoli, das Ende des Kopierschutzes im Internet. Zumindest den Anfang vom Ende, denn noch eine Weilchen wird es dauern, bis auch die anderen Majors nachziehen. Für eine Revolution braucht es Mehrheiten, aber mit kleinen, eher symbolischen Aktionen wie der Befreiung von 4 Urkundenfälschern und 2 Geisteskranken, damals 1789 beim Sturm auf die Bastille fängt so was an. Ich weiß nicht wie es damals in der französischen Revolution war, ich habe auch keine Ahnung, ob sich das wirklich so wie hier beschrieben Ende März bei EMI zugetragen hat, hat aber ich kann mir in beiden Fällen das Endergebnis gut vorstellen.
Mit revolutionären Grüßen
Tim
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