NSA, liquid democracy, social media: alle reden über Transparenz. Es gibt kaum ein Thema, dass uns mehr beschäftigt und besorgt. Ich habe eine These, die, wenn sie stimmt, die aktuelle Diskussion verändern könnte:

TRANSPARENZ MACHT INTRANSPARENT

Nachdem ich letzte Woche über die Obergrenze der menschlichen Wahrnehmung gesprochen habe, nehme ich das Thema diese Woche nochmals auf und ziehe mit Clausewitz einen Militärtheoretiker zu rate. Denn im Krieg geht es um schnelle, harte Entscheidungen: es geht um Leben oder Tod. Mit dem Problem der Friktion stellte er fest: meistens kommt es anders, als man denkt. Clausewitz und viele nach ihm vertrauten nicht auf Transparenz, sondern auf das Urteil des Genies (in seinem Fall des Kriegsheroen). Dass das schief gehen kann, steht außer Frage, jedoch war es probates Mittel, ein Anhaltspunkt.

Zurück in´s jetzt:

Beim Afghanistankrieg ging man die Kriegsführung selbstredend etwas strukturierter an. Damit ihr euch vorstellen könnt, WIE strukturiert man da ran ging, habe ich euch das Analysenetzwerk „Network Centric Warmare“ (netzwerkbasierte Operationsführung) rausgesucht. Das ganze hat irgendwas mit situationsbezogener Früherkennung und Integration von Waffensystemen zu tun, was genau, das müsst ihr gar nicht verstehen, denn das taten die Offiziere anscheinend auch nicht. Die Idee von Kollaboration durch Vernetzung weckte die Erwartung, den Krieg durch „Network Centric Warfare“ im gleichen Zuge transparent, einsehbar und vor allem auch positiv kommunizierbar zu machen. Das Problem der Paradoxie von Entscheidungen wurde jedoch gerade durch diesen Ansatz verstärkt – man muss sich nicht wundern, dass offenbar kein Expertensystem die Wellen an Oppositionsbewegungen in der arabischen Welt vorhersagen konnte und auch die lebenden Experten eher nach Erklärungen suchen als Vorhersagen zu finden (die im klassischen Sinne ohnehin immer aufgrund eines Erfahrungswerts, also auf retrospektiven Erkenntnissen beruhen). Im rein strategischen, rationalen Sinne mag der Einsatz von solchen Technologien also als enorm hilfreich erscheinen, was jedoch vergessen wird, ist die menschliche Komponente, die Kommunizierbarkeit. Im Zweifel erinnert das durchdachteste Netzwerk für den Betrachter dann ein riesigen, bunten Farbknäuel – ein klarer Fall von Information Overload.


Mich persönlich erinnert diese abstruse Grafik eher an ein abstraktes Gemälde, sicherlich aber nicht an Krieg oder Übersicht darüber. Durch ein Übermaß an Information drohen die Dinge so intransparent und paradox wie nie zu werden. Auch das NSA-Programm lieferte mehreren Studien zufolge in sehr wenigen Fällen die Hinweise, um Terrorermittlungen einzuleiten (bis 2013 war es noch ein einziger!), bei denen es zusätzlich meist nicht einmal um die Abwendung eines Terroranschlages ging. Als Begründung für diese Disbalance von Information und Handlung kristallisierte sich in den letzten Jahren klar heraus: es werden zu viele Informationen eingespeist, um sie zu selektieren, verbinden und auszuwerten. Die harten Fakten lösen Verwirrung aus, es gibt zu viel zu wissen, als dass es so etwas geben könnte, wie die einzig richtige Entscheidung.

Aber nicht nur die Kriegsethik droht die Transparenz zunehmend bis zur undurchschaubarkeit zu verkomplizieren. Auch das Fundament der Politik leidet stark unter unserem Transparenzzwag.

Macht Transparenz also konsequent gedacht intransparent – und welche Folgen hätte das für unser tägliches Handeln? In diesem Format werde ich dieses Thema wöchentlich betrachten und analysieren. Nächste Woche widme ich mich der Politik.

Folgt mir also auf meiner Reise in die Paradoxien unserer Wahrnehmung –
staring at the internet.