(Foto: Beggars Group Germany)
Schräg, schrullig und extrem introvertiert. Das ist der erste Eindruck, den man von Singer-Songwriter Kurt Vile bekommt. Sitzt man dem begnadeten Musiker aus Philadelphia dann gegenüber, verschwindet zwar die anfängliche Schüchternheit, doch hat man immer noch das Gefühl, dass dieser Mann in seiner eigenen bunten Phantasiewelt lebt. Fast schon unglaublich, dass dieser verwirrte Typ, der da vor mir sitzt, überhaupt alleine auf die Bühne findet. Augenkontakt gibt es nicht, dafür aber umso sympathischere und erstaunlich realitätsnahe Antworten. Im April letzten Jahres veröffentlichte er sein hochgelobtes fünftes Studioalbum und tourt seither durch die ganze Welt. Wir trafen den Mann aus "Philliie" und sprachen mit ihm über die goldenen Zeiten des Musikgeschäfts, die Musikerziehung seiner Töchter und wie es ist, seinen eigenen Bruder aus der Band zu werfen.
motor.de: Dein Album Wakin On A Pretty Daze wurde von einigen Magazinen unter die Top 10 Alben des Jahres 2013 gewählt. Hast du denn ein Lieblingsalbum 2013?
Kurt Vile: Ja, mein Lieblingsalbum 2013 war definitiv Time Off von Steve Gunn. Kennst du den? Er kommt ursprünglich aus Philadelphia, lebt aber in New York und ist ein unglaublich guter Gitarrist. Der hat’s echt drauf und das Album ist großartig. Hört da unbedingt mal rein.
motor.de: Deine neue EP heißt „It’s a big world out there (and I am scared)“. Gibt es etwas, wovor du Angst hast?
Kurt Vile: (lacht) Die Single heißt so, weil es so wahnsinnig melodramatisch klingt und mir das gefiel. Die Zeile stammt eigentlich aus dem ursprünglich viel längeren Song „Snowflakes Are Dancing“. Ich wollte aber nicht allzu viele lange Songs auf meinem Debutalbum, deshalb musste ich an einigen Stellen etwas kürzen. Auf der EP kommt diese Phrase einmal in einem Song vor. Für mich wurde sie aber zu einer bedeutungsschweren Idee. Wenn man die ganze Welt bereist und nie genau weiß, was einen da draußen erwartet, kann das manchmal ganz schön angsteinflößend sein. Das wollte ich damit ausdrücken. Das bezieht sich jetzt aber nicht auf irgendwas spezielles, vor dem ich Angst habe.
motor.de: Was ist für dich der größte Vor- bzw. Nachteil den es mit sich bringt im Jahr 2014 zu leben?
Kurt Vile: Puh…gute Frage. Wir leben ja in einer Zeit, die von ständiger medialer Reizüberflutung und diversen Ablenkungen geprägt ist. Wir sind wohl das, was man eine ADD-Generation nennt. Dieser massive Input an Informationen und die Schnelllebigkeit, die unser Leben bestimmen, kann einerseits sehr inspirierend sein, andererseits aber auch genau das Gegenteil bewirken. Mehr kann ich dazu auch nicht wirklich sagen.
(Foto: Beggars Group Germany)
motor.de: Wünscht du dich denn manchmal in eine andere Zeit zurück?
Kurt Vile: Nein, eigentlich gar nicht. Ich meine, klar kann man schon ein wenig nostalgisch werden, wenn man zum Beispiel an die siebziger Jahre denkt, als die ganze Musikindustrie noch florierte und ganz anders funktionierte. Damals konnte man von heute auf morgen noch zum Superstar werden. Plattenbosse schmissen mit Geld um sich und viele Bands und Musiker wurden größer gemacht, als sie eigentlich waren. Das war schon toll, aber dann auch wieder total verrückt und abgedreht. Die Musiker von heute sind da schon viel geerdeter und leben – meistens – nicht mehr in dieser riesigen Traumwelt. Und wenn man sich so umschaut, gibt es auch heute noch die großen Acts. Man muss es eben nur wollen und durchhalten.
motor.de: Gibt es einen Künstler/Musiker, den du gerne mal treffen würdest?
Kurt Vile: Ich hatte das Glück, dass ich fast alle meine großen Helden – auch wenn es nur für eine Sekunde war – bereits getroffen habe. Neil Young zum Beispiel. Ich traf ihn, als wir gerade dabei waren Wakin On A Pretty Daze zu mixen. Ich kenne Kim Gordon und Thurtson Moore ein wenig, die zu der Zeit auch da waren. Sie stellten mich dann Neil Young vor. Da ich wusste, dass ich ihm eventuell über den Weg laufe, habe ich auch ein paar CDs dabei gehabt und ihm dann gleich eine in die Hand gedrückt. Keine Ahnung, ob er sie jemals gehört hat, aber immerhin hat er jetzt eine. (lacht)
motor.de: Du hast neun Geschwister, von denen auch einige Musiker sind. Habt ihr nie daran gedacht eine Band zu gründen?
Kurt Vile: Mein Bruder Paul hat eine Zeit lang in meiner Band gespielt. Er begleitet uns auf meiner letzten Tour. Irgendwann benahm er sich dann aber einfach zu sehr, wie mein kleiner Bruder und begann zurückzureden. Das nervte einfach. Also musste ich ihn leider feuern. (lacht) Aber keine Angst wir sind immer noch Freunde. Er ist ja mein Bruder.
motor.de: Wenn du Songs schreibst, hast du dann das Gefühl, dass die jemals vollendet und perfekt sind? Oder schwingt da doch immer dieses Gefühl mit, dass man vielleicht doch noch etwas hätte ändern können?
Kurt Vile: Ja klar, mir geht es immer so. Aber das ist etwas, was man einfach so hinnehmen und akzeptieren muss, weil man sonst verrückt wird. Ich gebe einfach mein Bestes. Das bedeutet aber nicht, dass ich krampfhaft versuche, alle Fehler auszubessern. Meiner Ansicht nach sind es nämlich genau diese Ungenauigkeiten, die einen Song bzw. Musik im Allgemeinen ausmachen. Perfektion ist langweilig. Ich denke da immer an die frühen Sachen der Rolling Stones. Die sind gerade deshalb so gut, weil sie nicht perfekt sind. Ich würde nie etwas veröffentlichen, mit dem ich nicht zufrieden bin bzw. hinter dem ich nicht zu hundert Prozent stehen würde. Wenn ich mein erstes Album jetzt höre, gibt es natürlich ein paar Sachen, die ich ändern würde, aber im Großen und Ganzen bin ich sehr stolz darauf. Das ist das Wichtigste.
motor.de: Du bist in Philadelphia geboren und lebst immer noch da. Wie sehr hat dich diese Stadt beeinflusst? Hast du jemals überlegt von dort wegzuziehen?
Kurt Vile: Philadelphia beeinflusste mich insofern, als es einfach meine Heimat ist. Ich bin da geboren und aufgewachsen. Ich kenne die Leute, jeden Plattenladen und Konzertsaal. Das war der Ort, an dem ich begann, Musik zu machen. Das prägt einen. Abgesehen davon hat die Stadt eine sehr lebendige Kunstszene, von der man sich immer inspirieren lassen kann. Heute bereise ich die ganze Welt, aber es ist doch immer wieder schön, nach Hause zu kommen. Irgendwo anders hin zu ziehen habe ich eigentlich nie überlegt. Was soll ich denn in einer verrückten Stadt, wie zum Beispiel L.A.? ür den unwahrscheinlichen Fall, dass ich mal reich werde, kaufe ich mir vielleicht irgendwo anders ein Haus. Aber bis dahin, bleibe ich in Phillie. Und auch wenn ich mal in die Lage kommen sollte, mir zwei Häuser leisten zu können, würde ich mein Geld vermutlich für was besseres ausgeben. (lacht)
motor.de: Du bist Vater zweier Töchter. Gibt es da eine besondere Musikerziehung?
Kurt Vile: (lacht) Nein eigentlich nicht. Ich spiele ihnen einfach das vor, was ich gut finde. Das reicht quer durch alle verschiedenen Musikrichtungen. Soweit ich das mitbekomme sind sie beide sehr musikalisch und auch interessiert daran. Mal sehen, was daraus wird.
motor.de: Vielleicht werden sie ja auch mal Musikerinnen…
Kurt Vile: Ja kann sein. Ich hätte kein Problem damit. Wenn das ihr Wunsch ist, werde ich sie nicht davon abhalten und sie unterstützen, so gut ich kann. (lacht)
motor.de: Wir werden sehen. Danke für deine Zeit!
Kurt Vile: Gerne, ich danke euch!
No Comment