Lou Reed zählt zu der komischen Spezis von Rock’n’Roll-Urgesteinen die zwar als extrem einflussreich gelten, aber gemessen an ihren Kollegen, ganz schön erfolglos sind. Über 40 Jahre ist der eingeborene New Yorker schon im Geschäft und blickt auf ein extrem vielschichtiges und vielseitiges Lebenswerk zurück. Sein Stil war nie geradlinig und angepasst. Oft verwirrte er Fans, Freunde, Musiker und sicherlich auch sich selbst mit seinen Ausbrüchen und Eskapaden.

Lou Reed wird am 2.März 1942 in Brooklyn geboren und wächst im Haus der Eltern in Freeport auf. Als Jugendlicher erhält er wegen seiner homosexuellen Neigungen Elktroschock-Therapien. Die zerstören nicht nur sein Kurzzeit-Gedächtnis, sondern auch die Bindungen zum konservativen jüdischem Elternhaus. Früh interessiert er sich für Rock’n’Roll. Schon zu High School-Zeiten spielt er in verschiedenen Bands. Anfang der 60er Jahre zieht es ihn nach New York. Hier beginnt er ein Englisch-Studium an der Syracuse University. Einer seiner Professoren ist der Dichter Delmore Schwartz. Schwartz erkennt Reeds Talent und ermutigt ihn bei seinem rohem unkonventionellem Stil zu bleiben. Beim Uni-Radio hat Reed eine eigenen Musiksendung und lässt sich von der aufkommenden Free-Jazz Bewegung musikalisch inspirieren.

Den ruhelosen Reed hält es nicht bis zum Abschluss an der Universität. Er schmeißt hin und beginnt bei Pickwick Records als Song-Schreiber. Hier trifft er John Cale. Der begeistert ist von Reeds Repertoire. Unter Anderem hat er zu diesem Zeitpunkt schon ‘Heroin‘ geschrieben. Zusammen mit Reeds Studien-Kollegen Sterling Morrison und Maureen Tucker gründen sie The Velvet Underground. Es ist 1965 und Andy Warhol ist mit seiner Factory das Epi-Zentrum der New Yorker Künstler-Bewegung. So dauert es auch nicht lange, bis Warhol The Velvet Underground entdeckt und als Backing Band für seine Performance “Exploding Plastics Inevitable” engagiert. Reed ist fasziniert von der Kunst-Szene und entwickelt eine enge Verbindung zu Andy Warhol als Freund und Mentor. Warhol ist es auch, der gegen Reeds Willen, das deutsche Model Nico in die Band einsetzt.

Reed ist zwar widerwillig, schreibt aber einige Songs für Nico, die auch auf dem ersten Album “The Velvet Underground and Nico” erscheinen sollten. Die Platte wird zwar in der Szene gefeiert und gilt ob ihres neuartigen düsteren Sounds und Reeds ungewöhnlich expliziter Lyriks immer noch als ein Meilenstein der Rockgeschichte, doch kommerziell ist das Debüt ein toter Fisch. Gerade einmal #131 der US-Charts erreicht die Scheibe 1967.

Danach krempelte Reed die Band komplett um. Nico muss, genau wie Warhol, der als Manager fungierte, gehen. Außerdem ekelt Reed, nach den Aufnahmen zum zweiten Album “White Light/White Heat“, seinen alten Kumpel Cale raus. Die beide können sich nicht über den kreativen Prozess verständigen. Für ihn kommt Doug Yule an den Bass. Mit diesem Line-Up erscheinen noch die zwei Alben „The Velvet Underground“ und „Loaded“. Letzteres soll zwar Die Hit-Maschine der Band werden, doch auch mit diesem Album erfüllen sich die kommerziellen Erwartungen nicht. 1970 verlässt Reed The Velvet Underground und die Band löst sich zwei Jahre später auf.

1971 startet Reed seine Solo-Karriere mit einem Plattenvertrag bei RCA Records. Sein Solo-Debüt, das schlicht “Lou Reed” heißt wird kaum beachtet. Erst sein 1972 in England produziertes “Transformer” erhält mehr Aufmerksamkeit. Die Platte, mit den Hit-Singles “Walk On The Wild Side” und “Perfect Day“, rückt Lou Reed in eine Ecke mit Glam Rockern wie David Bowie. Doch die Chancen sich einen echten Fan-Stamm und dauerhafte Anerkennung zu erspielen vergibt Reed schon mit dem nächsten Album. “Berlin” erzählt eindringlich die Liebesgeschichte zweier Junkies in der geteilten Stadt. Das extrem düstere, fast klaustrophobische, Werk gilt zwar heute als Klassiker, verschreckt aber Viele, die damals gerade mit Reed warm geworden sind.

Seine extrem exzentrische und launische Art durften zwar schon frühere Wegbegleiter kennen lernen, doch in den “Berlin”-Jahren machte er sie auch einer breiten Öffenlichkeit zugänglich. Mit blondierten Haaren und in Lederjacke gehüllt, vergeht kaum ein Interview in dem Lou Reed nicht beleidigend wird. Die Arschloch-Attitüde führt bis zur teilweisen Ächtung in der Musikbranche.

Mit dem Album “Sally Can’t Dance” erreicht Reed 1974 Platz zehn in den US-Charts und damit seine höchste Chart-Platzierung. Nur um sich ein Jahr später engültig zum Rock-Outlaw zu machen. 1975 erscheint das Album “Metal Machine Music“. Auf diesem Werk sind ausschließlich verzerrte Gitarren zu hören. Tausende Käufer wollen die Scheibe nach dem ersten Hören umtauschen, aber Reed fühlt sich unverstanden und behauptet es handele sich um seinen Ansatz zu Klassik.

Versöhnlicher und wärmer sind die Alben “Coney Island Baby” und “Rock and Roll Heart“. Doch es sollte bis in die 80er Jahre dauern bis sich Lou Reed als öffentliche Person rehabilitieren kann. Er beginnt sich politisch zu engagieren. Nimmt an der “Amnestiy International Conspirecy of Hope“- Tour teil und thematisiert in seinen Texten offen Kriminalität, AIDS und Rassismus. Das Album “New York” sticht in dieser Hinsicht besonders heraus. Die Ehe mit Sylvia Morales inspiriert ihn außerdem zu einigen großen Liebesliedern.

1987 stirbt sein Mentor und Freund Andy Warhol bei einer Routine-OP. Dieser Verlust erschüttert Reed und bewegt ihn dazu das Kriegsbeil mit John Cale zu begraben. Anfang der 90er Jahre kommt es zu einer kurzen Velvet Underground-Reunion. Doch Cale und Reed geraten erneut an einander und beenden die Kooperation 1994.

Das Spätwerk von Lou Reed ist vor allem geprägt durch seine Öffnung zu elektronischer Musik und die Nutzung anderer Ausdrucksformen. So schreibt der, mittlerweile zur Rock-Ikone stilisierte, Reed an Musik für Theaterstücke und veröffentlicht Bildbände mit eigenen Fotografien. Aus dem Bühnenstück “Poe-Try” geht das Werk “The Raven” hervor. Auf dem vor allem von Edgar Allen Poe inspirierte Texte zu elektronischer Musik zu hören sind. Mit “Hudson River Wind Meditations” erscheint außerdem ein komplettes Instrumental-Werk, das andeutet wie Reed mittlerweile zur Meditation und Tai Chi gefunden hat. Seinen düsteren Liedzyklus “Berlin” lässt er 2007 noch einmal in einer monumentalen Bühnenshow, inklusive passendem Film, auf erstehen. Das Ergebnis wird per DVD dokumentiert und 2008 veröffentlicht. Wegen großer Nachfrage geht Reed, mit der als einmalige Show knonzipierten, Berlin-Performance im Sommer 2008 auf Tour.

Mit seinem Schaffen erreicht Reed nie den großen kommerziellen Durchbruch, denn er biedert sich nicht an den Plattenmarkt an und macht keine Kompromisse. Doch eben weil Lou Reed wahrscheinlich der sturste Vollblut-Musiker überhaupt ist, wird er weiter Journalisten beleidigen, große und kleine Performances inszenieren, fotografieren und dazu musizieren, bis er tot um fällt.

Sebastian Koch