Eine Begegnung mit der legendären Marianne Faithfull
Als Teenager auf einer Party entdeckt, wurde Marianne Faithfull das It-Girl der Sechziger Jahre: Sie hatte Top Ten-Hits als Sängerin, war die Muse (und mehr) der Rolling Stones und durfte als erste Frau auf der Leinwand das Wörtchen „fuck“ sagen. Es folgte eine Karriere voller Aufs und Abs, in der sie mal als Junkie auf den Straßen Londons lebte, mal in Theater-Inszenierungen von Robert Wilson glänzte. Immer wieder nahm sie tolle Platten auf – von Punk über Reggae bis Chanson, und mit hippen Kollegen wie Beck, PJ Harvey oder zuletzt Patrick Wolf – und spielte kleine Rollen in Filmen wie „Intimacy“ und „Marie Antoinette“. Nach einer Krebserkrankung feiert sie nun mal wieder ein großes Comeback mit „Irina Palm“, ihrer ersten wirklichen Hauptrolle. In dem Berlinale-Publikumsliebling von Sam Garbarski, der am 14. Juni in die Kinos kommt, spielt Faithfull die verwitwete Maggie, die dringend Geld für eine Operation ihres Enkels auftreiben muss und so im Rotlichtbezirk von London landet. In einer kleinen Kabine verkauft sie sich zur manuellen Befriedigung an Fremde – und entdeckt ausgerechnet dort ihre Lebensfreude wieder.
Haben Sie die Arbeit an „Irina Palm“ als willkommene Abwechslung von Ihrer sonstigen Arbeit gesehen?
Psychisch konnte ich mir für die Rolle eine Auszeit von mir selber nehmen, aber glauben Sie mir: dieser Film war alles andere als ein Urlaub. Ich bin nun seit 42 Jahren Marianne Faithfull, wie die Öffentlichkeit sie kennt, und ich bin immer auch eine gute Schauspielerin gewesen. Schon mit 19 Jahren habe ich in Tschechows „Drei Schwestern“ am Royal Court in London auf der Bühne gestanden, neben Glenda Jackson; ein Jahr später war ich die Ophelia. Ich kann wirklich schauspielern, auch wenn ich es in meinem Leben nicht besonders häufig getan habe. Und tatsächlich fühle ich mich im Fall von „Irina Palm“ nun als Debütantin, denn das war meine erste echte Hauptrolle.
Wie lebt es sich eigentlich als Legende der Popkultur?
Ach, ich empfinde mich doch nicht als Legende. Meine Legende steht irgendwo dort drüben und führt ihr eigenes Leben. Ich fühle mich ihr nicht verpflichtet und muss ihr auch nicht gerecht werden. Mein Job ist es, gesund zu bleiben und auf mich zu achten. Bisher habe ich eigentlich immer gelebt, als würde es kein Morgen geben – und dann wurde mir im letzten Jahr dieser unglaubliche Schrecken eingejagt. Das war keine Folge meines Lebenswandels, sondern einfach Brustkrebs. Aber es hat mich trotzdem sehr verängstigt, und ich habe wieder einmal gelernt, wie wertvoll das Leben ist. Dass das Leben einem eine Lektion erteilt, passiert ja immer wieder mal. Wenn man mir aber vergangenen Oktober, als ich mich von dem Eingriff erholte, gesagt hätte, ich würde im Februar hier auf der Berlinale gefeiert werden – ich hätte es wohl nicht geglaubt.
Haben Sie denn den Erfolg des Films erwartet?
Ich denke gar nicht in solchen Schemata. Schon sehr früh habe ich gelernt, dass die Arbeit selbst ihr eigener Lohn ist. Das scheint mir ein sehr weiser Arbeitsansatz zu sein, der mich immer glücklich gemacht hat. Wenn man weiß, dass man ein tolles Konzert gegeben, eine tolle Platte aufgenommen oder einen tollen Film gedreht hat, dann ist das eine großartige Belohnung. Außerdem waren meine eigenen Erwartungen an mich selbst nie besonders hoch.
Was hat die Krebserfahrung bei Ihnen bewirkt?
Diese Erfahrung hat mir noch einmal vergegenwärtigt, dass ich die Zeit, die mir noch bleibt, unbedingt nutzen will. Und ich hoffe sehr, dass das noch mindestens 20 Jahre sind. Ich bin ja zum Glück wieder gesund, denn ich hatte viel Glück und sie haben den Krebs sehr früh entdeckt. Ich möchte meine beiden Enkel aufwachsen sehen, für meine Freunde da sein und einfach schauen, was als Nächstes passiert. Dass ich die Stärke zum Überleben habe, wusste ich allerdings schon vorher. Jeder Mensch besitzt unglaubliche Kräfte, nicht nur ich. Warum ich mein Leben lang stark gewesen bin, kann ich Ihnen nicht sagen – zumindest bin ich nicht religiös. Aber ich bin überzeugt davon, dass es in uns eine Art göttlichen Funken gibt. Wenn wir wollten, könnten wir die Welt retten.
Wie wurde Ihnen das Drehbuch zu „Irina Palm“ angetragen? Wenn man nur den Plot hört, könnte man ja durchaus falsche Vorstellungen bekommen…
Als ich das Drehbuch bekam, lag ein Brief von Sam Gabarski bei, in dem er ganz klar machte, dass nicht für den Bruchteil eines Moments ein Penis auf der Leinwand zu sehen sein würde. Das war wichtig, denn ich drehe mit Sicherheit keinen schmutzigen Film! Ich weiß wirklich gar nichts über diese Welt, in die Irina sich begibt, was für die Rolle aber von Vorteil war. Ich war noch nie in einem Sexclub und habe noch nie einen Porno gesehen. Dieses Metier interessiert mich überhaupt nicht. Sex ohne Liebe ist einfach nicht mein Ding. Wir haben beim Drehen jedenfalls Dildos benutzt. Die waren perfekt, denn sie sahen wirklich ekelhaft aus. Knallgrün!
Angeblich konnten Sie am Ende des Drehs die Schuhe nicht mehr sehen…
Und erst diese Oma-Tücher, die sie sich um die Schultern legt! Und die Kittelschürze! Aber das gehört dazu, und ich habe mich meiner Rolle ergeben. Ich wurde zu dieser Frau. Am Schluss hatte ich tatsächlich von den Schuhen die Nase voll. Da hatte ich die hässlichen Dinger aber auch schon zweieinhalb Monate getragen.
Ende der Siebziger hatten die Drogen Sie an den Rand des Todes gebracht. Angeblich waren Sie sicher, dass „Broken English“ Ihre letzte Platte werden würde. Stimmt das?
Eigentlich glaube ich immer, dass die aktuelle Platte meine letzte sein wird. Das ist so ein Adrenalin-Ding und eine Methode, wirklich das Beste aus sich herauszuholen. Aber tatsächlich gab es nicht einen einzelnen Moment, in dem mit klar war, dass ich sterben würde, wenn ich so weitermachte. Das war eher ein langwieriger Prozess. 1985 habe ich mich in eine Rehabilitationsklinik in den USA begeben, wo ich eine ziemlich lange Zeit blieb. Ich war wirklich ein schwerer Fall. Als ich dort nach einem halben Jahr herauskam, habe ich mein Leben komplett von vorne begonnen. Das Ergebnis davon war meine Platte „Strange Weather“ – und seitdem bin ich clean.
Denken Sie trotz all dieser Erfahrungen eigentlich gerne zurück an den Beginn Ihrer Karriere?
Wir hatten eine wunderbare Zeit, Mick Jagger, Keith Richards und ich. Ich bin sehr glücklich, dass ich die Ehre hatte, eine Muse sein zu dürfen. Beinahe hätte es mich zerstört, aber die Erfahrung war es absolut wert. Ich bin immer noch gut mit ihnen befreundet. Solche Erfahrungen kann man nicht gemeinsam durchleben, ohne sich für immer eng verbunden zu fühlen. Wir sind gemeinsam durch diese Zeiten gegangen und solche Bande reißen nicht.
Damals gab es Phasen, wo die Presse nicht gerade freundlich mit Ihnen umgegangen ist. Wie war das für Sie?
Ich bin damit ziemlich schlecht umgegangen: Ich habe mich in die Drogen geflüchtet. Als ich in den Sechzigern bei dieser riesigen Razzia festgenommen wurde, bin ich mit der Situation tatsächlich nicht klargekommen. Weil ich eine Frau bin, wurde mit mir in der Öffentlichkeit besonders hart umgesprungen. Für die Männer war das damals kein Problem, die gingen aus der Sache stärker und noch cooler hervor. Ich war aber sehr jung, naiv und verletzlich. Bis heute bin ich da manchmal ein wenig dünnhäutig und vorsichtig, weswegen ich niemals schlechte Kritiken lese.
Was war denn in dieser Situation, mit der angeblichen Rolling Stones-Orgie, das Schlimmste für Sie?
Es war mir unbegreiflich, wie schlecht mich mein Land, an das ich eigentlich unerschütterlich glaubte, behandelte! Die Geschichte war ein Komplott der Zeitung ‚News Of The World’ und der Polizei. Sie hörten uns am Telefon ab, verfolgten uns und stürmten eines Wochenendes unser Haus. Was dann kam, war wirklich irrsinnig. Eine völlige Überreaktion, schließlich waren wir nur ein paar junge Leute, die Spaß hatten. Mehr als ein bisschen LSD und Haschisch war damals gar nicht im Spiel. Aber am meisten haben mich all die Geschichten über unsere angebliche Orgie aufgeregt. Außer Mick und Keith waren an jenem Wochenende alle anderen schwul, also mit wem hätte ich da eine Sexorgie feiern sollen? Im Rückblick wirkt das alles vollkommen lächerlich, aber damals war ich zutiefst verletzt. Ich war wirklich schockiert, dass so etwas in meinem Land passieren konnte.
Bedauern Sie es gelegentlich, dass Sie nicht mehr Filme gedreht haben?
Ja, auf jeden Fall. Aber ich kann die Vergangenheit nun einmal nicht ändern. Wäre ich damals nicht von Andrew Loog Oldham auf einer Party entdeckt worden, wäre ich wahrscheinlich zur Schauspielschule gegangen. Dann wäre ich heute wohl eine „echte“ Schauspielerin, wie ich es immer nenne. Aber andererseits bin ich ja eine echte Schauspielerin! Ich war der Teufel in Robert Wilsons Inszenierung von „The Black Rider“, dann war ich Maria Theresia in „Marie Antoinette“ in Sofia Coppola und nun Maggie. Größer könnten die Unterschiede nicht sein, und genau das liebe ich so sehr an der Schauspielerei.
Und was würden Sie sagen, wenn jemand Ihr Leben verfilmen möchte?
Nicht so lange ich lebe! Auf keinen Fall! Und schon gar nicht werde ich darin mitspielen. Warum sollte ich auch? Ich habe mein Leben doch schon einmal gelebt!
Interview: Patrick Heidmann
»Deutsche Seite des Films ‘Irina Palm’
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