Ilosaarirock 2005 – Open air auf finnisch

Kaum angefangen ist sie auch fast schon wieder vorbei, die Festival-Saison 2005. Die großen Nummern sind längst mit logistischen Höchstleistungen über die noch größeren Bühnen gejagt, die Schlafsäcke und Isomatten schlummern längst wieder sachgemäß im heimischen Atomschutzbunker und langsam kommen erste Zweifel auf, ob der kurzfristig aufgenommene Kleinkredit für Speis und Trank vor Ort noch rechtzeitig bis zum nächsten Jahr abbezahlt werden kann. Aber schließlich geht es hier ja um Rock-Musik und nicht um Geld, oder?

Eigentlich eine interessante Frage, denn zunehmende Megalomanie bezüglich Zuschauer-Kapazitäten, Kapitälchen-Acts und Marktstandbewusstseins, legen doch einen Grundstein des Anstoßes, ob hier die einstige hippie-heilige Festivalkuh nicht nur noch übergebühr gemolken wird, beziehungsweise sich mittlerweile der Rock am Ring-Ring-Ring der Registrierkassen misst.

Und wie das bei solchen hausgemachten Sinnkrisen nun mal so ist, schaut man sich nach geeigneten Gegenmodellen um. Am besten im Ausland. Auch auf die Gefahr hin, dass nach Pisa nun auch der Haussegen im Elfenbeinturm deutscher Festivalveranstalter schief hängt, das finnische Ilosaarirock-Festival fällt hierbei definitiv unter die Kategorie ernsthafte Alternative – und dies nicht nur im musikalischen Sinn dieses Wortes.

Das seit 1971 existierende und mittlerweile zu einem 20.000-Besucher-Event avancierte Lange-Wochenend-Festival Mitte Juli, in Spaziergang-Reichweite des beschaulichen Städtchens Joenssu, dürfte nämlich eine der wenigen Veranstaltungen dieser Größenordnung sein, deren Organisation nahezu vollständig auf ehrenamtlicher Mitarbeit beruht. Einfach so, aus Spaß an der Musik und der sommerlichen Zusammenkunft unter freiem Himmel. Hat man ja nicht alle Tage.

Ganz in diesem gemeinnützigen Sinne gestaltet sich also auch das moderate Ticket-Entgelt, nebst dem Preisgefüge auf dem Gelände selbst, sowie der angenehm auffällige, fast vollständige Verzicht auf enervierende Hardcore-Hüpfburgen, Zappel-Zelte die Titty Twister oder Tweety Fister heißen, Tarot-Tempel und ähnlichen albernen Zirkus. Denn, nur zur Erinnerung, hier geht es ja in erster Linie um das gemeinsame Erlebnis (Rock-)Musik. Und davon gibt es auf dem Ilosaarirock-Festival jede Menge, wenn auch nicht ausschließlich nur der Rock im Mittelpunkt steht.

Entgegen des vermutlich im Laufe des Lesens dieser Zeilen entstandnen Eindrucks, es handele sich hier um so ein überdimensioniert-ambitioniertes Sozial-Pädagogen Sit-in, bei dem die ansonsten völlig unbekannten Headliner-Bands sich allein durch ihre total tollen, edukativ-wertvollen Mitmach-Motivationsspielchen für ebendiesen Billing-Slot qualifiziert haben, hier die Entwarnung. Natürlich hat Ilosaarirock auch musikalisch ein paar international schlagkräftige Argumente zu bieten und ist kein Wald-und-Wiesen-Woodstock finnischer Schülerbands. So haben sich dieses Jahr unter anderen Apocalyptica, Children Of Bodom, Monster Magnet, Anthrax, Agnostic Front, die Backyard Babies und, im Legendenteil, MC5 die großen und kleineren Bühnen geteilt. Aber auch in weniger Gitarren-lastigen Genres gab es mit Blak Twang und Phoenix namhaftes zu vermelden, während sich Reggae, Dub und Entspannungsmusik-Afficionados eh an der entsprechenden Chill-out-Bühne mit eingebautem Strand samt Seebucht – wie jedes Jahr – beim Volleyballern, Planschen oder Sandsuhlen sonnen.

Neu hinzugekommen ist dieses Jahr als insgesamt fünfte Bühne eine Plattform für heimische Newcomer, die den geneigten Zuhörer, zumindest im Falle der Voltas oder Maryland, derweil zu Talentscout-Tagträumereien hinreißen ließen. Überhaupt verleiht der hohe Anteil finnischer Künstler in Kombination mit besagten Altbekannten Ilosaarirock seit Jahren einen ganz unnachahmliche Reiz. So findet man nicht nur auf der Mainstage die ein oder andere lokale Attraktion, wie zum Beispiel Indica, die finnischen Corrs, oder die Toten Hosen des finnischen Metals, Kotiteollisuus. Und Mitgrölchöre in finnischer Sprache muss man einfach mal selbst gehört haben. Freunde obskurer Bandkonzepte und – ebensolcher Namen sollten indes an Formationen wie den auf Kleiderständern musizierenden Cleaning Women oder den sicherlich programmatisch betitelten Anal Thunder gleichwohl ihre helle Freude haben.

Apropos helle Freude: Der Juli ist nicht nur meteorologisch der heißeste Monat des finnischen Sommers, es wird eigentlich auch nie so richtig dunkel. Das Iloosarirock-Festival bleibt hingegen wird in vielerlei Hinsicht vermutlich ein strahlender Lichtblick bleiben. Auch wenn sich nächstes Jahr, zum 35-jährigen Jubiläum, hier mal wieder die altbekannten und unvermeidlichen schwarzen Wolken im Rahmen einer Freiluft-Musik-Veranstaltungen überm Grünen zusammenziehen sollten, wissen Organisatoren ebenso wie glückliche Besucher jedes Jahr wenigstens eines: Dass für ein quasi Au-Pair Open Air wie dieses die allgegenwärtigen Schwarze Zahlen hingegen nur aus einem einzigen Grund geschrieben werden müssen: Für die nächste gemeinsame Rock-Saison im finnischen Freien.

Text: Frank Thießies