Zur Midem, der größten Musikmesse der Welt, habe ich es diesmal nur zum letzten Tag geschafft. Einmal im Jahr, wenn die Frühlingssonne sich zum ersten mal an der Cote d’Azur sehen lässt treffen sich hier seit Menschengedenken (zumindest seitdem die Musikwirtschaft denken kann) alle.
Die ganz arrivierten Teilnehmer verziehen sich zu ausgedehnten Mittag- und Abendessen in die Berge hinter Cannes und geben dort pro Mahlzeit in Sternerestaurants Beträge aus, die der ein oder anderen Band genügen würden, um davon ihr nächstes Album zu produzieren. Die Arrivierten sind in der Regel Anwälte oder Musikverleger. Am besten beides zugleich, denn dann stimmt die Kasse garantiert auch heute noch.
Die altgedienten Teilnehmer zieht es meist ins Carlton. In dem ehrwürdigen Haus wurde schon „Manche mögen’s heiß“ mit Jack Lemmon und Marilyn Monroe gedreht und die meisten der Altgedienten sind auch alt genug, um sich daran noch zu erinnern. Einst traf ich hier auf seiner Suite Lou Pearlman. Der hat Backstreet Boys, N Sync und viele andere Boybands entdeckt. Früher schlug er bei der Midem samt einen Tross geklont aussehender, amerikanischer High School Jungs, dem Rohstoff für die nächsten Teenie Acts auf. Mittlerweile sitzt er im Hochsicherheitstrakt eines US Gefängnisses. Nicht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aber wegen Investorenbetrug.
Das Martinez dient als Treffpunkt der jüngeren und wilderen Messebesucher. Die Party ging hier früher jede Nacht bis zum Morgengrauen. Das Bier kostete schon damals 9 Euro die Flasche und wer kann drückt sich davor, die nächste Runde zu holen. Dezent in der Masse abzutauchen, wenn die nächste Order platziert wird, dürfte heutzutage schwierig sein. Als ich die Bar um Mitternacht betrat, war sie fast leer.
Im Majestic, dem Treffpunkt derer, die wirklich zum Arbeiten ans Mittelmeer gefahren sind, war es noch leerer. Mangels ausreichender Buchungen hatte die Leitung des Hauses beschlossen, das Hotel während der Midem zu renovieren, um fertig zu sein wenn im Rahmen der Filmfestspiele und der Werbemessen wieder zahlungskräftiges Publikum nach Cannes kommt.
Auf der Croisette, der Standpromenade an der die ganzen Hotels liegen, traf ich dann doch noch das eine oder andere, bekannte Gesicht. Den meisten ging es gut und sie freuten sich, dass die Midem an Aufgeregtheit verloren hatte. Der eine arbeitete für ein Webportal, zwei bei Mobilfunkanbietern, ein Dritter machte Werbemusik und der letzte hatte seinen eigenen Verlag gegründet. Bei einem Label arbeitete keiner mehr.
Liebe Grüße
Euer Tim
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