Es war kein gutes Jahr für Morrissey, selbst nach den Standards des unverbesserlich pessimistischen Briten. Nachdem er erst Anfang des Jahres 2014 einen Plattenvertrag mit Harvest Records geschlossen hatte, wurde dieser unter ominösen Umständen nach Erscheinen des Albums “World Peace Is None of Your Business” im Juli wieder beendet. Aus gesundheitlichen Gründen mussten außerdem einige Termine der US-Tour im Frühjar abgesagt werden.
Seinen Tiefpunkt erreichte das Jahr dann mit dem Statement des 55-Jährigen, er sei mit Krebs diagnostiziert worden und befinde sich schon seit Längerem in Behandlung. Seine Ärzte hätten ihm dringlich von der Europa Tournee abgeraten, doch “wenn ich sterbe, dann sterbe ich eben. Und wenn nicht, dann nicht.” Diese ungewohnt saloppen Worte eines Mannes, der sich normalerweise auch bei weit weniger ernsthaften Themen poetische Ausführungen nicht verkneifen kann, beunruhigten seine treue Fan Gemeinschaft.
Entsprechend gespannt war man am Sonntag (23.11.2014) in Berlin, vor allem, da Morrissey erst kurz zuvor sein Konzert in Warschau vorzeitig beendet hatte, nachdem er aus dem Publikum heraus mehrfach beleidigt worden war. Als dann die als Vorprogramm fast überqualifizierte Anna Calvi ihren großartigen Auftritt beendet hatte, war die Vorfreude mehr als deutlich fühlbar.
Doch von Unmut und Groll gegen die Fans war nichts zu spüren, als er in der Columbiahalle endlich die Bühne betrat und den Abend mit dem Titelsong des Smiths Klassikers “The Queen Is Dead” eröffnete. Unmut wohl aber gegen all die treuen Feinde, gegen die er schon seit Jahrzehnten auf seine unvergleichbare Art die lyrischen Fäuste schüttelt. Mit einigen wenig schmeichelhaften Bildern der Royal Family im Hintergrund, gab er gewohnt bissige Kommentare zu seinem Heimatland England ab und riet allen anwesenden Briten, nicht dorthin zurückzukehren. Seine Meinung zum Hassobjekt Nummer eins untermauerte der Tierrechtsaktivist in äußerst expliziter Form, indem er während der Vegetarier-Hymne “Meat Is Murder” ein Video mit Aufnahmen aus der grausamen Realität hinter der Milch-, Ei- und Fleischindustrie abspielen ließ. Das tieftraurige “Asleep” und der Evergreen “How Soon Is Now” blieben die beiden einzigen weiteren Reminiszenzen an Morrisseys Zeit als Frontmann der legendären Pop Gruppe The Smiths.
Den Rest des Sets dominierten Stücke des aktuellen Albums. Man bekam den Eindruck Mozzer wollte die – in seinen Augen fehlgeschlagene – Promotion des Albums nun selber in die Hand nehmen, indem er es fast in Gänze zum Besten gab.
Stimmlich war er in guter Form; was das angeht mussten sich Fans dieses Jahr auch schon mit weniger zufrieden geben. Die großen Gesten wie immer perfekt mit der Musik abgestimmt, die Peitschenhiebe mit dem Mikrofonkabel irgendwo zwischen lässig und theatralisch – an Morrisseys Auftritt gab es wenig auszusetzen.
Besonders herauszuheben aus dem großartigen Zusammenspiel der Band um den Sänger, ist Multiinstrumentalist Gustavo Manzur, der Morrissey nicht nur mit einer Trompeteneinlage und einem Gitarrensolo lateinamerikanischer Art, sondern auch mit einer Gesangseinlage im Outro des Titeltracks von “World Peace Is None of Your Business” ein wenig die Schau stehlen durfte.
Zwischen den Songs gab es Komplimente an Stadt und Publikum und der in einen weißen Trainingsanzug der edleren Art gekleidete Brite machte einen zufriedenen Eindruck, als er das Konzert mit dem obligatorischen “Everyday Is Like Sunday” beendete. Er ließ sich sogar dazu hinreißen, sein Hemd ins Publikum zu werfen und hier und da ein paar Hände zu drücken.
Auch wenn Morrissey mit seinen Ansichten lange nicht mehr so radikal rüberkommt, wie er es noch als Smiths-Frontmann und am Anfang seiner Solokarriere getan hat, so bleibt er auch heute, vor allem wegen seiner unbedingten Integrität und seinem sicheren Händchen für Pathos und Dramatik, einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit. Man kann ihm nur eine rasche Genesung wünschen und hoffen, dass er uns bald wieder in Deutschland beehrt.
(Titelfoto: MLK)
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