Das MS Dockville Festival in Hamburg wächst: Vor einigen Jahren konnten noch die Wenigsten etwas mit diesem Namen anfangen. Jetzt gehört das Dockville fast zum Pflichtprogramm, vergleichbar mit dem Melt!, und für uns natürlich Grund dem Hype auf den Grund zu gehen. Die leise Vorahnung, dass dieser relativ unbegründet ist, kam uns schon nach den ersten Stunden auf dem Festivalgelände. Es folgt der Bericht eines leicht verstörenden Wochenendes.
Der Freitag beginnt mit einem großen Regenguss und der Idee, mal lieber die Gummistiefel einzupacken – die beste Entscheidung des Wochenendes, wie sich wenig später herausstellte. Am Eingang zum Dockville treffen wir eine große Traube anstehender Festivalgänger, die ihre Taschen versuchen hochzuhalten, damit diese nicht den schlammigen Untergrund berühren. Über eine rutschige Holzbrücke müssen dann alle einen langen Matschpfad bis zu den Ticketschaltern entlang. Und wer nochmal raus will, der muss sich hinten anstellen. Ob Festivalbändchen oder nicht – es gibt eben nur den einen Durchgang. Erste Zweifel an der Organisation kommen auf. Obwohl der ausgebuchte Campingplatz erst ab Freitag früh geöffnet sein sollte, finden auch jene nur schwer Platz, die ganz früh den weiten Weg auf sich genommen hatten. Gar schlagen einige direkt am Eingang ihre Zelte auf, Hauptsache noch einen Fleck Gras abbekommen.
Schlamm und Matsch sind überall. Das Festival wird von einigen Medien kurzerhand in “MS Mudville” umbenannt. Im Vorfeld gab es einige Tage Regen en masse. Daher ist der Boden auf Camping- und Festivalgelände vollkommen aufgeweicht. Ohne Gummistiefel geht hier gar nichts und vor allem nirgendwohin. In ganz Hamburg gibt es solche am Samstag nicht mehr zu kaufen. Vereinzelt sieht man Hipster-Jungs und -Mädchen mit total durchnässten, durchdreckten Turnschuhen, solchen mit selbstgebautem Mülltütenschutz darum oder jene, die einfach barfuß durch den Matsch waten. Scheiß drauf.
Das Festival in seinem stark arty gestalteten Erscheinen bietet das ganze Wochenende über vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten, wie das Kunstcamp, Poetry Slam, Lesungen und sieben Bühnen, die passenderweise Namen aus der Seemannssprache – wie Vorschot, Spinnaker oder Horn – tragen. Um dies alles zu erreichen, muss man 1.) durch Schlamm waten und versuchen nicht auszurutschen oder steckenzubleiben und 2.) über zwei Holzbrücken laufen, auf denen es während der Umbaupausen und zu später Stunde mitunter enorm rutschig und eng werden kann. So einige Loveparade 2010-Momente haben wir hier durchaus. Die Anwesenheit von Sicherheitspersonal lässt zu wünschen übrig. An der Sicherheit zu sparen, gehöre der Vergangenheit an, dachten wir zumindest. Nunja, ist ja nichts passiert. Nochmal Glück gehabt.
Aber hier soll es ja um Musik gehen. Also kommen wir zum schönen Part des Wochenendes:
Nachdem man das Festivalgelände verspätet für Besucher öffnet, wird der überschwemmte Maschinenraum vollkommen geschlossen. Die meisten Künstler werden, so gut es geht, auf die anderen Bühnen verlegt, manche ganz abgesagt. Blöd nur, dass dies auf dem Festival kaum kommuniziert wird. Hätte da nicht jemand mit seinem Smartphone mal Facebook gecheckt, wäre diese Information an uns vorbei gegangen. Nichtsdestominder: unsere erste Dockville-Band werden THOSE DANCING DAYS aus Stockholm – anstrengende Mädchen-Band mit noch anstrengenderer Hammond-Orgel. Weiter. Drüben auf dem Vorschot liefert ANDREAS DORAU eine nicht minder anstrengende Show – wenn auch anders anstrengend. Nach einigen Liedern brauchen wir mal etwas Ermunterndes. Auf zu CHUCKAMUCK! Wähwäh, Krach, leg dein Arm um mich und ich küss dich, rumpelrumpel! Das Zelt springt und tanzt, die halbe Band landet am Ende im Publikum. Super!
Chuckamuck Freitag im Spinnaker.
Danach wird es beschaulicher auf der Hauptbühne. Es spielt einer der Headliner: EDITORS. Obwohl die Band angeblich seit Ende letzten Jahres an neuen Songs arbeitet, stellen sie davon keine vor, sondern geben einen Querschnitt aus ihren drei bisherigen Alben. Großartig! Durch die Schließung des Maschinenraums spielen nach Editors zu später Stunde noch HUNDREDS auf und nutzen ihren viel besseren Slot und die größere Bühne erfolgreich aus. Die dicke Menschentraube, die sich danach am Sinnbus-Stand einfindet, lässt dies jedenfalls vermuten. Da wir in dem geänderten Timetable nicht mehr durchsehen und uns kurzerhand doch gegen das Campen entschieden haben, machen wir uns auf in die Stadt. Denn morgen wollen wir unbedingt die allererste Band sehen.
Editors, Großschot.
Der Grund für unser frühes Aufstehen sind ein Anruf von den Freunden auf dem Zeltplatz (“Hier steht alles unter Wasser, wir bauen ab.”) und GOLDEN KANINE. Laut der Kollegin neben mir, die schwedischen Arcade Fire mit Chris Martin-Stimme. Nach diesem überzeugenderen Skandinavien-Konzert, treffen wir Golden Kanine noch zu Bier und Interview. Ein Glück ist der Maschinenraum wieder geöffnet, denn so können wir danach einer bemerkenswerten Nachwuchshoffnung aus dem Norden Deutschlands lauschen. IN GOLDEN TEARS locken zu unserer Freude enorm viel Publikum in den Maschinenraum, obwohl parallel BEAT!BEAT!BEAT! auf dem Großschot spielen. Von denen bekommen wir danach noch ein paar Songs mit, aber das ist ja auch immer das gleiche.
Neu sind dafür YUCK, die wir nun auf dem Vorschot sehen. Der etwas leidenschaftslose Auftritt enttäuscht uns und lässt den der WILD BEASTS im Anschluss immerhin überragender ausfallen. Hier können wir aber nicht lange weilen, denn der Hype zieht auch uns hinüber zum Großschot. “Na los, angucken müssen wir uns den schon”, schließlich trafen wir auch ihn kurz vorher zum Interview. CASPER bewegt die Massen und alle gehen drauf ab – ein Mysterium. Das Einspielen von Krachern wie MGMT‘s “Kids” und dann gemeinsam mit dem Publikum dazu abgehen, fanden wir etwas merkwürdig (“Kann er da keine eigenen Lieder spielen?”). Aber letztlich durften wir hier wohl dem geheimen Headliner vieler Festivalbesucher zusehen.
Deswegen verpassen wir allerdings BODI BILL, die leider im Maschinenraum spielen, der schon voll ist. Nach CRYSTAL CASTLES, deren Auftritt auf der Hauptbühne irgendwie so gar nicht wirkt, begeistern FENECH SOLER mit viel mehr Instrumenten als erwartet. Wegen dem verrückten Auftritt der BLOODY BEETROOTS DEATH CREW 77, der irgendwo zwischen total abgefahren und total schrecklich liegt, verpassen wir SANTIGOLD und die Leipziger Electro-Popper HERE IS WHY. Mensch, spielen hier viele Bands! Nach SBTRKT, MOUNT KIMBIE und HipHop-Disko wird es hell und Zeit fürs Bett – nicht Zelt.
Wild Beasts und Vorschot im Matsch.
Den Sonntag starten wir ausnahmsweise etwas später, aber pünktlich zu NOAH AND THE WHALE. Danach gibt es abermals Probleme mit Slots, die sich überschneiden. So bekommen wir zumindest den Anfang vom kanadischen Folk-Blues-Projekt TIMBER TIMBRE mit und gehen mit dem Plan, die unbedingt nochmal sehen zu müssen, rüber zum Großschot. Auf der Bühne zählen wir von Weitem neun Musiker bei EDWARD SHARPE & THE MAGNETIC ZEROS. Da gehen uns die Herzen auf, wenn sie alle singen “We want to feel ya! We don’t mean to kill ya! We come back to heal ya janglin soul.” Schnell wieder rüber zu THE PAINS OF BEING PURE AT HEART, deren Gig von starkem Regen begleitet wird. Naja, haut uns nicht um, solider Auftritt.
Timber Timbre, Vorschot.
The Pains Of Being Pure At Heart im Regen.
Danach bespielen die fantastischen CRYSTAL FIGHTERS die Hauptbühne. Bestens gelaunt und wie immer etwas exzentrisch bei der Darbietung der Songs ihres Debüts “Star Of Love“, liefert die Londoner Band aus Spanien unser persönliches Dockville-Highlight. Witzig, als Sänger Sebastian das Publikum auffordert sich vorzustellen, es sei am Strand. “I know, that’s not easy”, schiebt er da noch hinterher. Während die Band dann “Do you want to go to the plage with me”, singt, trauen sich sogar einige zu stagediven. Ist natürlich super so mit matschigen Stiefeln an den Füßen. Aber egal! Wie aus dem Festivalbilderbuch bricht beim letzten Song “Xtatic Truth” die Wolkendecke auf und die Sonne strahlt auf das Großschot hernieder.
Als es langsam dunkel wird, gucken wir uns …AND YOU WILL KNOW US BY THE TRAIL OF DEAD an. Die Band, die wohl am wenigsten auf dieses Festival passt. Während die meisten hippen Kids wahrscheinlich gerade bei KELE abgehen, machen Trail Of Dead das Beste aus der überschaubaren Menge vor der Hauptbühne und ledern ein paar ordentliche Prog-Rock-Kracher hin. Obwohl im Maschinenraum noch GOLD PANDA spielt, entscheiden wir, dass dies ein guter Abschluss für das Wochenende war. Tschüss Dockville, schön war es trotz alledem. Du hattest es aufgrund der Umstände sicher nicht einfach, dennoch fühltest du dich manchmal an als würdest du zum ersten Mal stattfinden. Aber immerhin wurdest du nicht abgesagt und wir haben es ja überlebt.
Text: Laureen Kornemann
Fotos: Julia Kindel & Laureen Kornemann
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