Es ist gar nicht so lange her: Las man in den Veranstaltungskalendern deutscher Städte mit einer Einwohnerzahl ab 300.000, fand er in den Party-Spalten das volle Programm an Reggae-, Ragga- oder Dancehall-Festivitäten. Heute haben all die Seeeds und Sean Pauls da draußen weniger Grund zur Freude, ein runderneuerter Worldbeat sowie immer weitere Kreise ziehender Indie-Rock regieren derzeit die Tanzpaläste. Was bleibt, sind diejenigen, die früh erkannten, dass Reggae nicht lediglich von Reggae lebt, diejenigen, die von Beginn an auf zeitlosen Soul inklusive setzten. Künstler wie Patrice.

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Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft liegen nun seine ersten beiden Live-Veröffentlichungen in den Regalen. Dahin schmachtende Massen im proppevollen Pariser Zenith zelebrieren einen Patrice, der auf vorliegenden CD und DVD nicht glamouröser hätte inszeniert werden können. Die einstige Hamburger Gesangs-Heulsuse zeigt feinste Alleinunterhalter-Qualitäten, arrangiert teambewusstere Nummern mit seiner Shashamani Band und lässt so mancher Dame im Publikum das längst rasende Herzchen aufgehen.

“Sehr viele männliche Künstler machen das alles nur, um Frauen zu kriegen!” Patrice nicht auch? “Nö, nicht in erster Linie.” Sicher? “Na ja, ich singe gerne für Frauen. Das ist meine Art, ihnen Intimität entgegen zu bringen. Ich mache Musik, die Frauen anspricht, aber sie ist nicht darauf ausgerichtet.” Alles klar. Allgemein sieht sich der 26-jährige Womanizer oft “völlig zu Unrecht” gängigen Attitüden der schreibenden Zunft ausgesetzt. “Erstens bin ich kein Reggae-Sänger, zweitens habe ich keine Dreadlocks und drittens versuche ich nicht, irgendwelche Klischees zu bedienen!” Das stimmt allerdings und wird bei dem auf das Interview folgenden Kurz-Auftritt bei der Berliner “Live Demo” eindrücklich belegt.

Patrices große “musikalisch wie menschlich wichtige” Inspiration namens Bob Marley hätte sich wohl kaum vor einen geladenen Haufen an V.I.P.s und sonstigen szene-elitären Clowns gestellt und von einheitlicher Liebe geträllert. Legitimiert wird das Trara jedoch durch eingängige Worte bezüglich der Frage nach einem möglichen Zuhause des Musikanten im Nomaden-artigen Gestus. “Die einzige physische Bindung ist in meinem Körper, und der bewegt sich überall. Mein Zuhause ist dort, wo ich mich finde. Ob’s in einer Idee ist, in einem Menschen, in einem Moment oder irgendwas Schönem. Zuhause ist letztendlich etwas, was dem Mutterleib gleicht, wo man sich nicht fühlt, als wäre man ein Fremdkörper in seiner Umgebung, sondern als würde man dazu gehören.” Wenn das so ist, dann steht dem Ständchen für die Ich-wichtig-Gesellschaft ja nichts mehr im Weg.