Wenn man als Europäer in Amerika die Büros der ganz großen Chefs (die heißen dann auch gleich mindestens „Präsident“) betritt, ist man oft irritiert. Das in der Regel auf Eck liegende Zimmer hat meist wenig mit einem Arbeitsplatz gemein. Sofas mit Couchtisch (alle), kleiner Springbrunnen (der ehemalige Motownchef), ein halb den Raum füllendes Hologramm (beim früheren Def Jam Chef) und eine Tür zum Klo (alle) sind übliche Ausstattungsmerkmale. Die direkt vom Arbeitsplatz abgehende Toilette scheint ein wichtiges Privileg zu sein. Andere Länder, andere Sitten. Weder im Büro, noch im Restaurant sitze ich gern neben der Klotür. Auch wenn nur ich dort pinkeln würde. Denn als Gast darf man dieses Klo erst benutzen, wenn man mit dem Eigentümer schon fast befreundet ist. All das muss einen Sinn haben und will dem staunenden, europäischen Betrachter, so glaube ich, sagen: „Guckt Herr ich muss mich nicht mehr neben meinen Mitarbeitern ans Urinal stellen und wirklich arbeiten muss ich auch nicht mehr…“.
Wie ernst der letzte Teil der Aussage gemeint ist, erkennt man daran, ob es überhaupt noch einen Schreibtisch im Büro gibt. Beim Interscope Chef, hatte man in Los Angeles gänzlich auf dergleichen verzichtet. Dafür lagen dann diverse Zettel auf dem Tischchen vorm Lammledersofa, welches, wie den Rest der Innenausstattung, seine Frau besorgt hatte. Ich weiß auch nicht, warum mir Jimmy Iovine plötzlich sogar die Herkunft seiner Möbel preisgab, denn ich, der ich damals eine längere Agenda mit ihm zu besprechen hatte, las zeitgleich einen der vielen Zettel neben den Hermes Kaffeetassen: „10 am. Tim Rainer max. 10 min.“ Das hätte seine Assistentin ihm auch in seinen Outlook-Kalender schreiben können, denn im Raum befanden sich damals mindestens drei Laptops. Ein deutlicher Qualitätsunterschied, zum Office seines Chefs. Der sitzt immer noch in New York und ist Herr über die größte Plattenfirma der Welt. Ein PC oder Apple hatte er aber nicht im Büro. Mails wurden, genau wie bei seinem damaligen „Rest of the World“ oder auch „Foreign“ Präsident (mein damaliger Boss, zuständig für die Welt außerhalb Nordamerikas) noch ausgedruckt und per Diktat beantwortet.
Besorgt, aber auch ein wenig verständnislos guckte er uns an, als wir von den europäischen Problemen sprachen. CD-Brenner waren damals in den USA mangels Marketing der Hersteller noch kein großes Thema, Downloadpiraterie in aller Munde, aber nur an den Unis wirklich relevant, weil in „God’s own country“ die Breitbandverbreitung nicht viel besser als in Aserbaidschan war. Die Nutzung von TV-Kabeln zum Datenaustausch, half zwar das Internet in Amerika schnell zu verbreiten, machte es aber auch langsam. Über irgendwelche Geschäftsmodelle die Mobiltelefonie beinhalten könnten brauchte man sich hier erst recht gar nicht erst unterhalten.
Der Blick des freundlichen Rentners mit großer Historie in der Musikwirtschaft, wurde trüber, je massiver wir versuchten ihm die Problemlage, als auch die Lösungen (ein legales Angebot, welches es damals noch gar nicht gab…) näher zu bringen. Ein wenig müde im Sofa lümmelnd meinte er abschließend „Maybe you guys overthere, should improove your A&R…“ Danke für den Tipp. Mittlerweile kann er ihn selbst befolgen. Der US Markt ist just um 30% gefallen. Upps. Lange konnte man sich aus der Perspektive der Internetlosen Eckbüros überhaupt nicht vorstellen, was die neuen Realitäten des Weltmarkts sind. Amerika war eigentlich immer ganz vorn dabei, wenn es um neue Technologien ging. Dass sich das ändern könnte, schien undenkbar. Aus der Haltung heraus wurde weltweit die Geschwindigkeit vorgegeben. Nun hat die USA aufgeholt, das Büro des Weltchefs sicherlich Zugang zum Netz und er selbst, ist hoffentlich nicht vor Schreck über die aktuellen Absatzzahlen ins eigene Klo gefallen.
Euer Tim
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