Melancholiker sitzen in der ikonografischen Tradition gerne auf Steinen, am Wegesrand, den gedankenschweren Kopf in die Hand gestützt, und sinnieren dem Weltlauf hinterher. Etwas ist vorbei, doch was? Was ist bloß passiert, und wann? Dieser Bestandsaufnahme eines Verlustes, die dort in einsamer Denkerpose auf dem Stein, am Wegesrand geschieht, wird zu einem späteren Zeitpunkt womöglich Ausdruck verliehen, gegen die eigene Handlungsgehemmtheit, gegen das Wissen um das große Umsonst. Noch bei Freud galt die Melancholie als Krankheitsbild, als psychopathologischer Zustand; inzwischen hat sie sich längst zum Erkennungsmerkmal eines bestimmten Künstlertypus gemausert, der irgendwo zwischen Abgeklärtheit, Schwermut und Geistesblitz mit den verbliebenen Resten wuchert. PeterLicht, bisher eher als Ironiker denn als Melancholiker bekannt, gibt dieser Entwicklung mit seinem vierten Album „Melancholie und Gesellschaft“ einen weiteren und durchaus freundlichen Dreh: Fortan darf man sich den Melancholiker als glücklichen Menschen vorstellen.

Einem breiteren Publikum wird PeterLicht erstmals 2001 mit seiner Single “Sonnendeck” zugänglich. Wer sich hinter dieser Gestalt mit dem vielsagenden Namen verbirgt, bleibt jedoch ein Rätsel. Vielmehr lädt die Kunstfigur Peter Licht seit ihren Anfängen zu Vorstellungen und Projektionen verschiedenster Art ein. Durch die konsequente Verweigerung, dem Musiker auch ein Gesicht zuzuordnen, wird der Status der Kunstfigur aufrechterhalten, die mit heller, klarer Stimme wie aus einem abstrakten Raum zu uns spricht und dabei doch spürbar Zeitgenosse ist. Eine große Freiheit des poetischen Zugriffs ist die Folge. Kippfiguren zwischen Oberfläche und Tiefgang, Slogans aus dem entfremdeten Leben singt PeterLicht mit einer Leichtigkeit, die tröstet, ohne Identifikation anzubieten. Selbst in seinen Texten folgt PeterLicht dem Prinzip einer humorvollen Zerstreuung und anarchischen Wendigkeit, innerhalb derer kein Gedanke und keine Beobachtung davor sicher sind, ausgetestet und angerissen, ironisiert oder poetisiert zu werden. Ob nun mit fragmentierter Systemkritik, versprengten Utopieresten oder launigen Gebäudebeschimpfungen, der Wortkünstler PeterLicht springt zwischen großer Geste, subversiver Zeitdiagnostik und schillerndem Detail hin und her, um Befindlichkeiten und Ängste zu konstatieren, ohne gravitätische Repräsentationsmodelle zu bedienen.

PeterLicht ist ein Gesamtkonzept, das sich über viele Bereiche künstlerischen Schaffens erstreckt. So geht seinem 2006 erscheinenden Drittwerk “Lieder vom Ende des Kapitalismus” ein Buch mit dem Titel “Wir werden siegen. Buch vom Ende des Kapitalismus” voraus. Es ist eine Sammlung sowohl von Songtexten, als auch Geschichten, Gedichten, Zeichnungen und anderen Gedankenspielen der immer noch gesichtslosen Gestalt. Im selben Jahr präsentiert Regisseurin Christiane Pohle die Uraufführung des auf der Musik und den Texten PeterLichts basierenden Stücks “Wir werden siegen. Und das ist erst der Anfang.” bei den Münchner Kammerspielen.

Neue Wege beschreitet PeterLicht mit der Veröffentlichung seines vierten Albums „Melancholie und Gesellschaft”, das 2008 erscheint. Darauf meldet sich der Mensch hinter PeterLicht stärker als bisher zu Wort. Der da bisher so leichtfüßig tänzelt, scheint sich jetzt auf einen der Steine am Wegesrand gesetzt zu haben, um durchzuatmen und eine Art persönliches Zwischenresümee zu ziehen. Ein freundlicher Melancholiker gewinnt an Konturen, ernsthafter und sehnsüchtiger als zuvor. Stimmungen des Abschieds durchziehen die zehn Lieder. So manches ist abhanden gekommen, es werden Koffer gepackt, Beziehungen beendet, die eigenen Wände sind einem fremd geworden. „Diese alte Liebe / dieser neue Tag / ein letzter Blick ein letzter Rest von letzter Luft“: Bestandsaufnahme im Moment des Verschwindens.

Auch in musikalischer Hinsicht nähert sich PeterLicht, der bisher vor allem in Sachen Ironie und Fragmentpoetik als schwereloser Nachkomme der deutschen Romantik galt, nun weiter dem Kunstlied. Das NDW-Erbe und die Dada-Camouflage der Vorgängeralben sind auf “Melancholie und Gesellschaft” nahezu vollständig abgelegt, entschlackte Arrangements mit Klavier, Schlagzeug, Gitarre und Streichern verleihen dem Album eine einheitliche Unmittelbarkeit. Auch hier die Bewegung von Zerstreuung zu größerer Präsenz, von schlauer Bricolage hin zu elegischer Schönheit. Die zahlreichen Live-Auftritte mit Band mögen den Musiker hierbei inspiriert haben.

Manches mag verschwunden sein – aber, und das singt PeterLicht auf diesem zugleich schwermütigen und weltbejahenden Album so emphatisch wie derzeit kein zweiter: „Der Traum geht weiter“. Vieles ist abhanden gekommen, aber nichts ist verloren. Wir träumen von der Freiheit jenseits der Freiheit. Man muss sich den Melancholiker als glücklichen Menschen vorstellen.