Im September 2001 stand die Szene Kopf. Noch bevor(!) Mike Skinner (aka The Streets) mit ‘Original Pirate Material’ sein Debütalbum im darauf folgenden Jahr auf den Markt gebracht hatte. “Has It Come To This” rotierte in den Klubs, Verzeihung: Clubs. Der Messias, das Genie, der Runderneuerer des britischen HipHop war ausfindig gemacht worden. The Streets waren DAS definitive neue Ding, das Größte und Coolste vom Größten und Coolsten – und das ist schwer in einem Land, dessen Medien für ihre maßlose Hypekultur bekannt und berüchtigt sind.
Allein das Cover war eine Ansage für sich. Auf besagtem prangte ein riesiges Hochhaus, wie es in London so viele gibt. Heimat der so genannten kulturellen Unterschicht. Und man begriff, warum sich Skinner für das Pseudonym ‘The Streets’ entschlossen hatte. In seinen Texten fuhren keine Gangsterhomies ihre aufgebrezelten Chromkutschen spazieren, mit den Bitches auf dem Rücksitz. Und keine Schießereien (Statistisch gesehen ist London zurzeit angeblich gefährlicher als New York). Skinner erzählte lieber von der Schwierigkeit, einen vernünftigen Mobilfunkanbieter zu finden, oder ein Fußballmatch bei der Freundin gucken zu müssen, wenn die eigene Kiste den Geist aufgibt. Und natürlich davon, ständig knapp bei Kasse zu sein. Musik, deren originärer Lebensraum die Welt der britischen Prolls, der Bier saufenden, Playstation spielenden Couchpotatoes ist. Ein soziales Biotop, Meilen weit entfernt vom postmodernen, affektierten, erfolgsgeilen Milieu der Upper Class (und denen, die so gern dazugehören wollen).
Das Debüt und das Nachfolgealbum ‘A Grand Don´t Come For Free’ (2004) zelebrierten einen neuen, eigenen UK-Sound, der HipHop und 2Step zu Grime und UK-Garage synthetisierten (für Kenner sowieso keine große Neuigkeit). Das hatte Melodie und Groove, was The Streets darüber hinaus für die Elektro-Fraktion attraktiv machten.
Nun sitzt der Messias, das Genie, der Runderneuerer also beim Interviewmarathon in einem Berliner Hotel. Mehr als sein Zimmer wird Mike Skinner an diesem Tag von der Hauptstadt nicht sehen. Höchstens noch das Cafe Moskau, wo der Promogig stattfindet. Und das Genie hat Halsschmerzen. Was ihn jedoch nicht davon abhält, alle Fragen höflich zu beantworten.
Schon beim ersten Durchhören des neuen Albums ‘The Hardest Way To Make An Easy Living’ fällt auf, dass da irgendwas passiert sein muss. Musikalisch hört sich der Neuling zwar an wie eine nahtlose Fortsetzung des Vorgängeralbums. Verschrobene Beats, pietätlos gemixte Streicher- und Klaviersamples. Und immer wieder diese Singsang-Refrains, die im Gehörgang für lange Zeit ihre Zelte aufschlagen. “Beide Alben sich im Grunde recht ähnlich, sie sind beide sehr ehrlich, emotional ehrlich. ‘The Hardest Way’ ist vielleicht etwas aufgekratzter, weniger mondän und relaxt. Es ist alles etwas extremer, die Höhen des Lebens sind dann höher und die Tiefen tiefer.”
Doch die Straßen sind nicht mehr der bevorzugte Ort der Inspiration für die Geschichten, die Skinner feilbieten will. Dem NME gestand er, dass er jetzt, wo er so viel Geld habe, unmöglich weiterhin Texte darüber schreiben könne, wie es ist, kein Geld zu haben. Also schreibt Skinner nun ungeniert darüber wie es ist, die Kohle mit beiden Händen auszugeben. Für so manchen Fan könnte diese Veränderung eine große Umstellung sein. “Ja. Obwohl es sich nicht wie eine große Veränderung für mich anfühlt. Ich versuche eher zu sagen, dass bestimmte Dinge doch gleich geblieben sind, wie zu dem Zeitpunkt waren, als The Streets noch nicht so groß waren. Darum geht´s ja auch in der ersten Single ‘When You Wasn´t Famous'”.
Man nehme zum Beispiel ‘Memento Mori’ (lat.: Gedenke des Todes). Dort schallt es dem Hörer entgegen: “It means / don´t hang yourself on a material life / Butt hat get´s dropped when I´m bopping on a shopping day / Memento Mori, Memento Mori / It´s a load of boring shit / So I buy buy buy buy buy”. Und. “I never think about money infact / I have no idea how much money I have”.
“Geld hat für mich tatsächlich keine größere Bedeutung. Musik ist das einzige, worum ich mich im Leben je gekümmert habe. Ich habe aber nun mal mehr Kohle als vor drei oder vier Jahren, also gebe ich auch mehr aus.” (Und das Irre ist: Das mag so unglaubwürdig klingen wie nur was, aber wenn man vor ihm sitzt, kauft man ihm das ab. Irgendwie.)
Was auf jeden Fall geblieben ist, ist Skinners Affinität zum Seelenstriptease, zum völligen Bloßlegen der eigenen Gefühle. Das macht angreifbar. Doch auch da hat Mike Skinner mittlerweile eine Elefantenhaut: “Der Erfolg, nicht die Emotionalität, ist entscheidend dafür, dass du zur Zielscheibe fürs Boulevard wirst, denn es geht ja darum, wie viele Ausgaben sie verkaufen können. Das hat nichts damit zu tun, wir persönlich deine Texte sind.”
Auch das Gefühl des distanziert seins von anderen Menschen, ein Motiv, das sich latent durch ‘The Hardest Way…’ zieht, schreibt Skinner nicht seinem finanziellen Aufstieg zu: “Distanz ist etwas, was es in meiner Songs immer gibt. Denn da waren immer erst mal nur ich und meine Gedanken und meine Gefühle, da ist Distanz zu anderen Menschen irgendwie logischer Weise mit eingeschlossen.
Nein, Mike Skinner hat an dem ganzen neuen Garage-Sound viel zu viel Spaß, um sich über solche Sachen einen Kopf zu machen. “Grime und HipHop kommen nun zusammen, und es entsteht so was wie ein eigener UK-Sound, unser Sound. Das ist sehr aufregend, und es ist schön, da mittendrin zu stecken. Rock ist etwas Altes, und ich bin hinter allem her, was neu und frisch ist.”
Text: Gordon Gernand
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