Bereits im Alter von acht hat Ola Salo (Gesang) die ersten Bausteine für seine Zukunft gelegt und schon sechs Jahre später die Glam-Rock-Formation The Ark gegründet. Das war 1991, und die Zeit war noch nicht reif für Paradiesvögel ihrer Art. Jedoch spätestens seit der Veröffentlichung ihrer ersten Single ‘It Takes A Fool To Remain Sane’ (2000) spielen sich die vier exzentrischen Schweden aus Malmö zumindest in ihrer Heimat regelmäßig auf die vorderste Chartposition. Ihr drittes Album ‘State Of The Ark’ soll jetzt auch die Clubs erobern. In Berlin erzählt Ola mit wilder Mähne und dem sympathischsten Grinsen der Welt von Gott und langen Bärten.
In den letzten paar Jahren konnten Glam-Gruppen, wie The Darkness und Scissor Sisters einen großen Erfolg verbuchen. Wie erklärst du dir das?
Es ist eine sehr vorhersehbare Gegenentwicklung zu der Coolness der Neunzigerjahre, wie sie Oasis verkörpert haben. Eine Art Klebstoff schnüffelnde Generation mit Musik, die in deinem Kopf nichts bewirkt. Die Leute wurden es leid, sich immer nur Menschen auf der Bühne anzugucken, die beim Auftritt ständig auf ihre eigenen Schuhe starrten. Da musste was Neues her. Und wir waren schon damals, vielleicht etwas zu früh da, um eine Alternative zu bieten.”
Mit bereits 14 hast du The Ark gegründet, und ihr seid zusammen in die nächst größere Stadt Växjo gezogen, wo ihr in einer Art Hausgemeinschaft mit Künstlern der später entstandenen Bands The Mo und Melody Club gelebt habt. Was habt ihr in dieser Zeit erlebt?
Eine alte Frau hat uns da leben lassen, und wir haben viel gefeiert. Dort haben sich Bands formiert und wieder getrennt. Nie ohne Streit, aber The Ark waren die einzigen, die es von Anfang an gab. Wir nannten es “The House of Fiests”.
Das klingt ja sehr unmoralisch, überhaupt führst du ein eher unkonventionelles Leben, vergleicht man es mit dem deiner Eltern, denn dein Vater ist Priester. Würdest du sagen, dass Religion eine Rolle spielt in deinem Leben?
Nein, ich bin überhaupt nicht religiös. Ich bin auf der Suche nach religiösen Wahrheiten, aber ich habe bislang keine gefunden. Ich versuche, meine eigene Religion zu schaffen, und The Ark ist meine Kirche. Ich glaube an unerklärliche Dinge, Intuition zum Beispiel. Auch in diesem Moment, da wir miteinander reden. Deshalb schreibe ich auch viel über die mystischen Dinge der Realität. Religion hat viel mit Moral zu tun und jeder hat eine Moral. Es sind politische Lifestyle Songs. Wie ich es für richtig halte, soll ich mein Leben führen, und das hat viel mit Religion zu tun.
Wie ist das heutige Verhältnis zu deinen Eltern?
Es ist sehr gut. Die meisten Menschen denken, ich würde mich nicht mit ihnen verstehen, weil die beiden religiös sind und ich ein bisexueller Rock-Idiot. Aber eigentlich sind unsere Welten sehr nah beieinander. Mein Vater performt einmal die Woche vor einem Publikum und trägt sehr feminine exzentrische Sachen. Das Gewand sieht aus wie ein Kleid und dann der lange Schal…
Als du angefangen hast Musik zu machen, warst du sehr jung. Wie hat deine Umgebung darauf reagiert?
Es war eine sehr natürliche Sache. Ich bin das jüngste Kind in meiner Familie, ich habe drei Brüder und eine Schwester, die alle Musik gemacht haben. Ich habe also schon in sehr jungen Jahren gemerkt, dass Musik nicht nur etwas Natürliches ist, sondern, dass sie etwas ist, das man sich selber ausdenken kann. Also wurde es schnell zu meinem Hauptinteresse, doch ich war immer sehr ungeduldig, und es war einfacher für mich, mir etwas auszudenken, als zu lernen, Sachen von anderen nachzuspielen. Als ich der zweiten Klasse war, habe ich meine erste Heavy Metal-Band gegründet. Wir nannten uns Demon Spiders und trugen anstatt Lederhosen Long Johns. Glücklicherweise gab es nie einen öffentlichen Auftritt. Zeitgleich muss ich gestehen, war ich ein Doppelagent. In den Achtzigerjahren herrschte der Kalte Krieg zwischen den Lagern des Heavy Metal und Synthie-Bands. Ich konnte und wollte mich nicht entscheiden, also hatte ich noch eine weitere Band. Die eine wusste nichts von der anderen. Wir nannten uns Electric und hatten diesen Song “S.O.S. From New York”. Aber ich wurde müde, zwei Liebhaber zu haben. Ich war acht und gründete dann eine Punk-Band.
Wo bleibt da Pop-Musik, und was ist mit Michael Jackson?
Pop-Musik gab es nicht. Nur Heavy Metal und Synth. Michael Jackson war Synth. Es
war allerdings eine Streitfrage, weil er einen ledernen Genitalschutz trug, den es nur im Heavy Metal gab. Da gab es ernste Diskussionen auf dem Schulhof, wo Michael Jackson hingehört. Pop wurde als Genrebezeichnung herausgenommen. In Schweden lernte man gleich als Kind, dass es nur zwei Bereiche gab. Ich kann mich erinnern, dass die größten Teenbands alle Synth waren, wie Depeche Mode, Jazoo, Spandau Ballet, Human League… Die Debatten handelten von der Grauzone, in der auch Michael Jackson sich befand. Ganz klar war er Synth, doch er versuchte die Macho Attribute des Heavy Metal in sein Image einzubauen. Er fasste sich an den Sack, trug Lederjacken…Dann kamen Europe, die offensichtlich Heavy Rock waren und ihr größter Hit hatte Synthesizer. Ich war sehr verwirrt. Ich war immer eine Person, die diese Grenzen aufbrechen wollte. Nicht nur musikalisch, sondern auch auf der Geschlechterebene. Gender Bending und Grenzerweiterungen waren immer mein Ziel. Ich testete die Grenzen gerne aus. Kann jede Musik durch allein zwei Bereiche kategorisiert werden? Nein. Es muss einen Bereich dazwischen geben. Nennen wir ihn Funk.
Ist es auch Funk, den du auflegst, wenn du als DJ unterwegs bist?
Ja und das hat gerade dieses Album sehr beeinflusst. Das letzte Album war ziemlich symphonisch und beanspruchte es eher, angehört zu werden anstatt dass man dazu tanzt. Und weil wir viel als DJs unterwegs sind, hatten wir dieses mal den Anspruch, eine Platte zu produzieren, deren Teile man in ein DJ-Set mischen kann. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, arenentaugliche Hymnen schreiben zu wollen, sondern mehr Uptempo-Nummern zu denen man sich bewegen kann. Es gibt deshalb auch nur eine Ballade auf dem Album, der Rest ist in schneller Bewegung. Etwas dazwischen wird man nicht finden.
Welchen Mix legt Ola Salo auf, wenn er hinter den Plattentellern steht?
Das Genre, in dem ich mich bewege, nenne ich “Deutsch Afrikanische Freundschaft”. Wie auch speziell auf einem Lied der Platte habe ich dabei
die Idee, die perfekte Mischung zwischen deutscher und afrikanischer Musik hinzubekommen. Was, wenn Synthesizer in Afrika erfunden worden wären? Die afro-deutsche Verbindung in der Musik ist ja hochinteressant. Unterschiedlicher können die Richtungen nicht sein, denkt man zumindest, doch die meisten großartigen Kompositionen entstanden aus dem Schnitt beider Gedanken. Der Ursprung aller Musik kommt ja aus Afrika. Sklaven wurden nach Amerika gebracht und dort entwickelte sich Negro Spiritual, welcher zu Rhythm’n’Blues wurde. Dann kam HipHop, Rock’n Roll und Soul, später der Funk, der dann immer minimalistischer , punktueller und stakato wurde. Dann wurde überlegt, wie man das Ganze weiter treiben kann, und dann kamen Kraftwerk. Alles was dann entstand, war deutsche Ingenieur Kunst. In den späten Siebzigerjahren wurde somit die Basis geschaffen für alles, was folgte. Was ich mache geht durch diesen Filter gepaart mit Barock, Kitsch und manchmal Überfluss. Der Großteil der deutschen Musik, und davon höre ich sehr viel, ist elektronisch und minimalistisch. Was ich auflege, fängt an bei minimalistisch progressiven Bands aus den Siebzigern wie Kraftwerk oder Can und geht über New Wave-Gruppen aus den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren wie Gleitzeit, Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF) und dem Song “Schlaraffenland” von Carmen, Der Plan bis hin zu moderner Musik, die vorwiegend aus Köln kommt, wie von Justus Köhncke. Er macht eine Mischung aus Elektro und Mark Bolan und Glam-Rock. Es erinnert mich sehr an das, was ich mache, auch wenn es aus einem anderen Blickwinkel passiert. Es startet also beim Glam-Rock und entwickelt sich weiter zu modernen Klängen.
Würdest du sagen, dass deine Erfahrung im Musical Bereich noch einen gro§en Einfluss auf eure Musik hat?
Ja absolut. Uns ist die theatralische Seite sehr wichtig. Opern wie auch Musicals, aber dann hat die theatralische Rock-Musik, wie ich die der Doors oder auch David Bowie, Kiss und New York Dolls bezeichnen würde, auch eine wichtige Wirkung. Dazu kommen dann wie erwähnt die Rock-Musicals der Siebziger, wie Jesus Christ Superstar und Rocky Horror Picture Show.
Du selbst hast auch in Musicals gespielt. Welche waren das?
Wusstest du, dass Benny und Björn von Abba ein Musical geschrieben haben? Es heißt “Kristina Från Duvemela”. Darin geht es um Emigranten im späten 19. Jahrhundert. Die meisten kamen damals aus der Region um Småland, die damals sehr arm war und gingen in die USA. Über die Geschichte hat Vilhelm Moberg eine Novelle geschrieben und Ben und Björn haben dann ein Musical daraus gemacht. Das war 1996, ich war jung, blauäugig, unschuldig, naiv und brauchte das Geld. Ich habe beide getroffen und beide hatten einen Bart, was die Sache für mich sehr kompliziert machte, denn in den Siebzigern hatte nur Benny den Bart. Ich stand da und wusste nicht mehr, wer wer ist.
Im Sommer hattest Du auch einen langen Bart. Das sah schlimm aus! Was ist passiert?
Ich hatte einen schrecklichen Sommer. Meine Freundin und ich haben uns getrennt und das letzte, was ich wollte war, dass die Leute mich erkennen und auf gute Laune machen. Das ist das Gute daran, ein Mann zu sein. Wenn du dich schlecht fühlst und anonym bleiben willst, dann lässt du dir einfach eine unglaubliche Menge an Haaren aus dem Gesicht wachsen. Nicht einmal Anders Wendin (Moneybrother) hat mich erkannt, als ich ihn am Bahnhof sah und ihm auf die Schulter klopfte. Er hat mich eine Minute lang angestarrt und überlegt, ob er rennen soll, weil er dachte, dass ich ein Psychopath sei. Letztlich habe ich das Ding abgeschnitten und ein Bild daraus geklebt. Es sieht aus wie ein Bart, und wir haben es jetzt auf unserer Homepage an einen Fan verschenkt. Das ist der kranke Humor, den wir mit den Leuten teilen.
Text: Ines Nurkovic
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