Ein Blick in den Back-Katalog
starring Can, The Beatles, Cream, Ministry, Revolting Cocks
Krautrock, das war die 68er Revolte mit musikalischen Mitteln. Zum einen ging es gegen die Elterngeneration, zum anderen verliehen junge Musiker ihrer Hassliebe zu den USA so klang- wie fantasievoll Ausdruck. In den wilden Sechzigern des letzten Jahrhunderts bildeten sich zahllose Bands in Deutschland, die mit großem Ernst neue Sounds suchten, um sich vom übermächtigen Einfluss Amerikas abzukoppeln. Neben Kraftwerk zählen Can zu den renommiertesten Krautrock-Bands, deren Einfluss bis heute nachhallt, so nannte sich etwa die amerikanische Garagenrock-Band The Mooney Suzuki nach ihren beiden Frontmännern, Malcolm Mooney und Damo Suzuki. Acts wie Primal Scream, PiL, The Fall und Julian Cope sehen das Kölner Quintett als wichtige Inspirationsquelle. In diesen Tagen werden nun die ersten vier Can-Alben als Remastered Serie (Warner Music) wiederveröffentlicht, komplett mit erläuternden Texten aus der Feder von Can-Kenner David Stubbs.
Bei Can trafen sich Keyboarder Irmin Schmidt und Basser Holger Czukay, beide Schüler von Karlheinz Stockhausen. Trommler Jaki Liebezeit stammte aus der Free Jazz Szene, Gitarrist Michael Karoli – das jüngste Mitglied – hatte zuvor in Rockbands gespielt. In Malcolm Mooney, einem afroamerikanischen Bildhauer auf der Flucht vorm Wehrdienst in Vietnam, fanden sie einen passenden Sänger.
Zur Zeit ihres Debüts “Monster Movie” (1969) gab es noch ein paar amerikanische Einflüsse in ihrem Sound, Velvet Underground und Frank Zappa etwa sind an einigen Stellen auszumachen, verblassen aber im Gesamtbild. Das 20-minütige “You Doo Right” wurde zum zentralen Stück des Erstlings, brütende Rhythmen, meditativer Gesang, Lead-Bass und die kribbelnde Gitarre wurden innerhalb einer zwölfstündigen Session erarbeitet. Eine Band, die mit derartiger Konsequenz nach einem ureigenen Sound strebte, war neu in der Welt der Musik.
Es folgte “Soundtracks” (1970), das eher aus der Not geboren war. Da die Kölner nicht genug Material für ein zweites Album besaßen, die Plattenfirma aber drängte, griffen sie auf ihre zahlreichen Filmmusiken zurück. Das düstere “Soul Dessert” mit seinen fast panischen Vocals war die letzte Aufnahme mit Mooney, der zuvor bereits das kühl swingende “She Brings The Rain” eingesungen hatte. “Don´t Turn The Light On, Leave Me Alone” war dagegen der Einstand des Japaners Damo Suzuki, der mit “Mother´s Sky” das wichtigste Stück der Scheibe intonierte. Die fast 15-minütige Nummer mit ihrem repetitiven Beat, der schreienden Gitarre, dem pumpenden Bass, den stechenden Keyboards und dem hypnotisierenden Gesang malte das Klangbild einer nie zuvor gehörten Schall-Landschaft.
Ein Jahr später folgte mit “Tago Mago” ein weiteres bedeutendes Stück Krautrock, das sich der Erforschung innerer Welten widmete und extrovertierte Showmanship anderer Rockbands schlichtweg ablehnte. Die sieben Titel sind leichter und luftiger als das Material der beiden ersten Platten, erhalten geblieben sind jedoch das zyklische Trommeln, die hochfliegende Gitarre, schimmernde Tastenklänge, ein dominanter Bass und diese psychedelischen intuitiven Gesänge Suzukis, den die Band als Straßensänger in München kennengelernt hatte. “Aumgn” und “Peking O” kombinieren neue Studiotechniken zu purem, experimentellem Space Rock, sie geben dem Hörer Gelegenheit, sein inneres Universum zu erkunden – was übrigens auch völlig ohne Drogen funktioniert (eine Erkenntnis, die damals wohl auf Verwunderung gestoßen wäre).
1972 sah dann “Ege Bamyasi”, das einen der erfolgreichsten Can-Songs überhaupt enthält. “Spoon” hatten sie für den TV-Krimi “Das Messer” geschrieben, prompt verkaufte sich die Single 300.000 Mal. Die meisten Songs des Albums machen einen eher improvisierten Eindruck, was ihren Wert keineswegs schmälert, denn das freie Zusammenspiel war stets eine Stärke von Can. Die “kosmischen Reiseleiter” luden wiederum in eine neue tönende Welt, die zuvor noch nie ein Mensch betreten hatte – während auf der anderen Seite des Atlantiks die Jugend zu den gewohnten Mustern des Blues ihre langen Mähnen schüttelte. Can waren ihrer Zeit voraus, Jahre später nahmen Leute wie Brian Eno, David Bowie, PiL, The Fall und andere den Faden der Krautrock-Pioniere wieder auf.
Cream werden die meisten nur als eine Station von Saitenheld Eric Clapton erinnern, doch Basser/Sänger Jack Bruce und Trommler Ginger Baker besaßen in den späten Sechzigern ebenfalls große Namen. Bruce hatte mit dem englischen Blues-Pionier Alexis Korner gearbeitet, wo er Baker traf, der Charlie Watts (später Rolling Stones) ablöste. Clapton hatte sich bei Yardbirds und John Mayalls Bluesbreakers bereits einen viel beachteten Ruf erspielt.
“Disraeli Gears” (Polydor) war das zweite Album des Bluesrock-Trios, das mit “Fresh Cream” 1966 einen glänzenden Einstand hingelegt hatte. Neben den bluesbetonten Soli von Clapton, waren die “talking Tom Toms” von Baker, der melodiöse Bass und die belegte Stimme Bruces die unverkennbaren Markenzeichen von Cream. Aus heutiger Sicht verblüfft die unterschiedliche Güte des Materials, während Volltreffer wie “Strange Brew” und “Sunshine Of Your Love” zweifellos Klassiker des Rock-Genres sind, überrascht der Ideenmangel von Nummern wie etwa “Blue Condition” und “Outside Woman Blues”. Merke, schon damals war nicht alles Gold, was glänzte. Für dieses De Luxe Doppel-Album wurden sämtliche Original Tracks remastered, ferner gibt es Demo-Versionen von fünf Songs, zwei unreleased Songs, neun Titel (darunter “Born Under A Bad Sign”) aus einer BBC Session sowie das komplette Album nochmal in Mono. Aus den schlauen Liner Notes von Scott Schinder erfahren wir auch den Ursprung des merkwürdigen Titels, einer Kombination des Namens des britischen Premierministers Benjamin Disraeli und dem Wort “gear”, was damals soviel wie cool bedeutete.
Es ist irgendwie beruhigend zu hören, dass auch Riesen mal klein angefangen haben. Als die Beatles im Jahr 1961 zum zweiten Mal nach Hamburg kamen, hatten sie die erste Stufe der Karriereleiter schon genommen. Aus der Tiefe des Kaiser Kellers waren sie in den renommierten Top Ten Club emporgestiegen, in dem es vergleichsweise gesittet zuging. Zu der Zeit spielten die Liverpooler jeden Abend mit Tony Sheridan zusammen. Der setzte sie entweder als Backing Band ein oder gesellte sich als Gast hinter Lennon, McCartney und Harrison. Zusammen machten sie auch frühe Aufnahmen für die Plattenfirma ‘Polydor’, hier in Stereo und Mono-Versionen als “The Beatles featuring Tony Sheridan First” erhältlich. Fab-Four-Spezifisches lässt sich höchst selten heraushören, so oder so ähnlich klangen zahlreiche andere Beat- und Twistbands der frühen Sixties. Immerhin ist Lennons Stimme auf “Ain´t She Sweet” klar zu identifizieren, ansonsten muss man den Archivaren der Plattenfirma vertrauen – das Ergebnis kann jedoch letzte Zweifel nicht beseitigen.
In Amerika zählt Al Jourgensen zu den Vorkämpfern von Elektro und Industrial. Sein erfolgreichstes Projekt ist zweifellos Ministry, das immer dann zu Höchstform aufläuft, wenn ein Republikaner im Weißen Haus regiert. In diesem Sinne sind wohl auch in den nächsten vier Jahren weitere dieser typischen, hasserfüllten Rocksalven zu erwarten. Mit einer Serie aus fünf Platten widmen Rykodisc/Rough Trade sich dem frühen Jourgensen. “Ministry Early Trax” enthält Nummern aus der Zeit von 1981 bis 1984, die noch stark vom europäischen New Wave und Elektro-Pop beeinflusst sind. Im Vordergrund steht der Rhythmus-Computer, der für den geborenen Kubaner ganz offensichtlich eine irrwitzige Faszination ausgeübt haben muss, hämmernde Grooves und wilde Soundspielereien waren ihm damals schon wichtiger als Melodien.
Das zweite Album ist mit “Ministry Side Trax” überschrieben und präsentiert frühe Nebenprojekte wie Pailhead, 1000 Homo DJs, PTP und Acidhorse. Im Zuge der Scheibe ist eine zunehmende Tendenz zu aggressiven, monotonen Sounds festzustellen, eine Art Prä-Industrial Sound. Für Pailhead arbeiteten Al Jourgensen und sein Langzeit-Kumpan Paul Barker mit Ian McKaye von Fugazi zusammen. Heraus kommen spröde Maschinenklänge mit dem Charme erbarmungsloser Betonknäste. Für 1000 Homo DJs tat er sich mit Trent Reznor und Jello Biafra zusammen, das Resultat ist ein raffinierter Schmirgelsound mit peitschenden Beats und panischen Vocals.
Zudem widmete Jourgensen den Revolting Cocks eine Menge Aufmerksamkeit. Zu den “rotierenden Schwänzen” zählten Luc Van Acker, Richard 23 (beide Front 242), Bill Rieflin (jetzt R.E.M.) und Kollege Paul Barker. Das Ergebnis klingt wie eine extremere Version von EBM, eine gelungene europäisch-amerikanische Koproduktion. Seine Fortsetzung findet die Kollaboration auf der vierten Scheibe, einem Live-Mitschnitt der Revolting Cocks von 1987 in Chicago. Zusätzlich enthält das Doppelalbum zwei Tracks von der Glasgow Show.
Die letzte CD ist schließlich “Beers, Steers & Queers” von 1990, dem frühen Industrial-Klassiker, der mit seinem mächtigen Beats, fetten Bässen und sägenden Synthi-Sounds ein wirklich wildes Sound-Abenteuer darstellt. Diese Scheibe sollten Elektro-Freaks, die etwas auf sich halten, kennen! Auch 25 Jahre später klingt diese Pioniertat noch frisch, aufrührerisch und gefährlich.
Text: Henning Richter
Und hier nochmal alle Platten im Schnelldurchlauf:
Can “Monster Movie”
Can “Soundtracks”
Can “Tago Mago”
Can “Ege Bamyasi”
Cream “Disraeli Gears”
The Beatles: “The Beatles featuring Tony Sheridan First”
Ministry “Early Trax”
Ministry “Side Trax”
Revolting Cocks “Big Sexy Land”
Revolting Cocks “You Goddamed Son Of A Bitch-Live”
Revolting Cocks “Beers, Steers & Queers”
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