John Frusciante über den Entstehungsprozess des neuen Chili Peppers-Albums „Stadium Arcadium“, die innere Dynamik der Band und deren Vorgehensweise beim Songwriting.
John, wenn als Überschrift für „Californication“ deine Rückkehr zu den Peppers hätte stehen können, so war es bei „By The Way“ in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem euer wieder gefundener Band-Spirit, für den die Platte stand. Wie würdest du vor diesem Hintergrund das neue Album übertiteln?
Da ich nicht mit den beiden von dir genannten Überschriften übereinstimme, kannst du mir vielleicht sagen, wie deiner Meinung nach die Überschrift zu „Stadium Arcadium“ lauten müsste. Ich bewerte unsere Alben nicht nach solchen Kriterien.
Ich hatte an etwas gedacht wie: „By The Way“ revisited, kann das aber nach dem ersten Hören nicht ganz aufrechterhalten. Überhaupt verbietet sich eine Einschätzung meinerseits, da wir das Album nur eben kurz vorm Interview einmal gehört haben.
Fürs Erste könnte ich anbieten, dir zu erzählen wie mein ursprüngliches Konzept für die neuen Songs aussah. Und wie ich vor diesem Hintergrund das Ergebnis bewerte…
Na dann mal los!
Mein Hauptansatz war es Musik mit einem sehr ernsten Hintergrund zu kreieren, die aber trotzdem auch Spaß machen sollte. Also tiefe Leidenschaft mit tanzbaren Rhythmen und spannender Musik zu verbinden, bei deren Hören der Zuhörer Spaß empfindet. Diese Musik sollte die Leute in eine andere Dimension überführen, eine andere und vielleicht schönere Welt in ihren Köpfen entstehen lassen. Also von dieser unserer aller Realität ausgehend, von der ich mehr den je glaube, dass wir uns in ihr befinden, mit unserer Musik eine Pforte in eine andere Realität aufstoßen. Außerdem war es mir wichtig, die neuen Songs nicht allzu vorhersehbar zu gestalten. Ich mag es, sich im Rhythmus zu verlieren und beim Spielen die ausgelatschten Pfade zu verlassen. In der afrikanischen Musik, aber auch auf einigen Live-Aufnahmen von Miles Davis gibt es diesen Aspekt, wo die Musiker sich völlig vom normalen Beat entfernen und im konventionellen Sinne nicht mehr im korrekten Timing spielen – trotzdem groovt diese Musik enorm. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis, das im Beat zu sein und zu grooven nicht zwangsläufig dasselbe bedeutet. Du kannst off-time sein und trotzdem schwer grooven, das wollte ich mit den neuen Songs beweisen.
Und, hat es geklappt?
Ich finde schon, dass wir einen guten Schritt in diese Richtung getan haben. Trotzdem denke ich, dass wir uns noch viel weiter in diese Richtung bewegen könnten, dass wir Material aufnehmen könnten und sollten, dass sich noch viel mehr als dieses jetzt von unserer letzten Platte unterscheidet.
Ich finde durchaus, dass es das jetzt schon tut. Viele Leute hatten erwartet, dass ihr einen weiteren Schritt in diese extreme mellow-pop-Richtung geht. Das neue Material klingt jedoch auf Anhieb bei weitem nicht so üppig, viel zurückgenommener und reduzierter. Und dann gibt es Sachen wie deinen an Led-Zeppelin erinnernden Riff in „Readymade“, die hat man so überhaupt noch nie von euch gehört.
Das Riff zu diesem Song habe ich auf dem Bass geschrieben. Ich saß mit meiner Freundin auf dem Bett an diesem Tag. Mein Freund Johnny Ramone war gerade gestorben und ich wollte unbedingt etwas schreiben, was er gemocht hätte. Seine Lieblingsband war Mountain (sic!), also versuchte ich, etwas in dieser Richtung zu finden. Als wir die Nummer dann zum ersten Mal aufnahmen meinte Rick Rubin: ‚Wenn Johnny jetzt hier wäre, würde er den Song lieben.’ Das hat mich sehr gefreut. Das ist also mein persönliches Gedenken an Johnny Ramone.
An welchem Punkt habt ihr entschieden, dass ihr ein Doppelalbum machen wollt. Stand das von Anfang an fest oder hat es sich einfach dahin entwickelt?
Nein, zunächst war alles wie immer. Wir schreiben stets so um die 24 bis 25 Songs und gucken später, was wir davon nehmen. Dieses Mal hat es aber mehrere Monate gedauert, bis wir alle geschrieben Songs fertig arrangiert hatten und als es soweit war, sind in der ganzen Zeit nebenbei noch zahllose weitere Stücke entstanden. Als wir schließlich ins Studio gingen, hatten wir also das Luxusproblem 38 Songs zu haben, die wir beinahe alle gut genug fanden, um sie zu veröffentlichen. Normalerweise pickt Anthony sich dann 22 Songs raus, zu denen er Texte schreibt und davon kommen wiederum 17 auf die fertige Platte. Jetzt haben aber auch ihm fast alle Nummern gefallen und er schrieb so viele Texte wie noch nie zuvor. Wir haben also ungefähr 33 Songs komplett mit allen Overdubs und Backing-Vocals ausgearbeitet und hätten es schade gefunden, wenn einige diese Songs niemals das Licht der Welt erblickt hätten. Zunächst gab es dann die Idee, drei separate Alben zu veröffentlichen – das hat aber aus einer ganzen Reihe von Gründen nicht funktioniert. Im Ende mussten wir uns irgendwie der Tatsache stellen, dass Gott uns da all diese großartigen Songs gegeben hatte. Und ich finde, dass eine Band von unserer Größe ihren Fans gegenüber die Verantwortung hat, das dann auch komplett zu veröffentlichen und den Leuten nicht vorzuenthalten. Also haben wir uns entschieden, ein Doppelalbum mit immerhin 28 Songs zu machen.
Wie arbeitet ihr denn heute an Songs. Jammt ihr immer noch soviel wie früher oder bringt mittlerweile jeder seine fertigen Ideen mit zur Probe?
Da gibt es drei verschiedene Wege. Entweder Flea oder ich bringen eine Idee mit und die anderen überlegen sich dazu ihre Parts, oder es ergeben sich spontan Ideen während der Proben. Der Unterschied zu früher besteht im Wesentlichen darin, dass wir nicht mehr so lange brauchen, um auf den Punkt zu kommen. Wir arbeiten viel fokussierter. Früher konnte es passieren, dass wir ewig an einem einzigen Part herumbastelten während jetzt ein Song wie zum Beispiel „Turn It Again“ komplett innerhalb einer halbstündigen Probe entstanden ist. Auch wenn ich mit einer Idee komme, versuche ich immer den ganzen Song komplett auszuarbeiten bevor ich ihn den anderen vorspiele – einfach nur um Zeit zu sparen. Zeit ist ein wertvolles Gut.
Kommen bei solchen Gelegenheiten auch die Basslinien und Anthonys Vocals von dir?
Nein, das nicht. Es kann vorkommen, dass ich Flea bitte, an einer bestimmten Stelle dieselbe Note zu spielen wie ich auf der Gitarre; einfach, damit es nicht disharmonisch wird. Aber das sind rein technische Dinge. Im Wesentlichen arbeitet Flea seine Basslinien alleine aus. Generell hat bei uns jeder die Freiheit, zu tun, was er für richtig hält. Mit der Ausnahme, dass ich für das neue Album an einigen Vocalharmonien mitgearbeitet habe nachdem ich auf „By The Way“ gar nichts zu den Gesängen beigetragen hatte.
Wie bitte? Die meisten Leute hätten gedacht, dass gerade auf dieser Platte das meiste von dir kommt.
Mitnichten, da habe ich nichts zu beigetragen.
Ich hätte sogar vermutet, dass Anthony und du generell alle Gesänge gemeinsam erarbeitet…
Zunächst schreibe ich alle meine Songs komplett mit Gesang. Da ich sie ja in Phasen, in denen ich nicht mit den Chili Peppers arbeite für eine meiner Soloplatten gebrauchen könnte. Und Anthony ist da auch total offen. Er mag es, wenn man ihm Vorschläge macht. Bei „Blood Sugar Sex Magik“ und „Californication“ war es auch weitgehend so, wie du gesagt hast. Da haben wir viel zusammen geschrieben. Mittlerweile ist Anthony aber so gut geworden, dass er das auch alleine gut hinkriegt, wie man auf „By The Way“ hören kann.
John, du wirst häufig als das musikalische Genie hinter den Chili Peppers bezeichnet, auf dessen Einfluss die Hinwendung zum Pop und andere Genres sowie, ganz allgemein, das gewachsene Profil der Band zurückzuführen sei. Wie stehst du selber zu so einer Einschätzung?
Ach weißt du, das beeinflusst mich weder in die eine noch in die andere Richtung. Das ist halt die Meinung von einigen Leuten, gut. Mein kreatives Leben ist in vielfacher Hinsicht ein ständiger Kampf darum ein besserer Mensch und Musiker zu werden. Diese Dinge verlangen ein extremes Maß an Anstrengung von mir. Ich kenne so viele Leute, nicht zuletzt auch Anthony und Flea, denen das Arbeiten an Musik viel leichter fällt und die auch viel schneller sind als ich, aber keineswegs schlechtere Ergebnisse erreichen. Ich meine, es ist noch nicht besonders lange her, ungefähr acht Jahre, da war ich vollkommen außerstande überhaupt Songs zu schreiben – geschweige denn sonst irgendwas zu tun. Die Tatsache, dass ich heute wieder brauchbare Musik schreibe, liegt einzig und alleine darin begründet, dass ich verdammt viel Zeit in meine Musik investiere und ansonsten auf mich achte und mich eines gesunden Lebensstils befleißige. Ich renne jedenfalls nicht den ganzen Tag durch die Gegend und klopfe mir auf die Schulter dafür, dass ich so ein tolles Genie bin – das ist alles harte Arbeit, da gebe ich mich keinerlei Illusionen hin.
Ich hatte sowieso immer eher den Eindruck, dass ihr tatsächlich eine Band mit vier ausgeprägten Individuen seid, von denen jeder seinen Teil zum Gelingen des Ganzen beiträgt.
Absolut! Ich glaube, die Leute sagen so was weil es so gut klingt: Der ehemalige Junkie und Underdog, das gefallene Genie, das jetzt wie ein Phönix aus der Asche emporsteigt. Hört sich ja auch glamouröser an als deine Version mit der gleichberechtigt arbeitenden Band. (lacht)
Hast du eigentlich mittlerweile endlich einmal das ohne dich entstandene Peppers-Album „One Hot Minute“ gehört?
Nein, immer noch nicht. Aber gerade letzte Nacht habe ich mir tatsächlich vorgenommen, das nun endlich einmal zu tun. Wir stellen gerade für I-Tunes ein großes Paket mit all unseren Warner-Aufnahmen zusammen. Um die Sache interessanter zu gestalten, werden unveröffentlichte Songs aus jeder Phase hinzugefügt, die wir gerade ausgesucht haben. Und die beiden nicht veröffentlichten Songs aus den „One Hot Minute“-Sessions sind wirklich verdammt gut, das muss ich zugeben. Ich dachte mir also: Wenn diese beiden Songs schon nicht gut genug waren, um sie auf das Album zu nehmen, wie gut muss dann erst der Rest sein!
So richtig konnte ich übrigens nie glauben, dass du das nie gehört haben willst…
Es stimmt aber. Ich kenne nur die beiden Singles. Aber ich plane das Album noch heute Abend aufzulegen, versprochen.
Okay, ich werde dich also das nächste Mal wieder danach fragen. Etwas anderes: Hast du Anthonys Biographie gelesen?
Nein, habe ich nicht.
Das ist schade. Ich wollte gerade fragen, ob du mit der Darstellung deiner Person in dem Buch einverstanden bist…
Die Freundin von Gibby Haynes, dem Sänger der Butthoule Surfers, hat es gelesen. Sie ist eine sehr intelligente und smarte Frau und sie erzählte mir, dass ich in dem Buch als liebenswerter toller Mensch beschrieben werde – also glaube ich ihr. Allerdings kommt wohl auch eine Menge Privates vor, von dem ich jetzt nicht sicher bin, ob ich es unbedingt in einem Buch lesen will. Aber dass muss Anthony selber wissen – er hat sein Leben, ich habe das meine.
Hat er denn nicht mit dir über das Buch und dich betreffende Passagen gesprochen?
Nein, er hat mit niemandem gesprochen! Er hat eine Menge privaten Kram von vielen Leuten aus unserem Umfeld veröffentlicht und hat sich von niemandem dazu die Erlaubnis geholt!
Gab es deswegen Streit?
Nein, nicht wirklich. Das wäre die Sache nicht wert gewesen, auch wenn ich mich schon geärgert habe. Ich weiß aber, wie viel Anthony dieses Buch als eine Art Selbstreinigung bedeutet hat und deshalb ist es okay. Jedem kompromittierenden Detail über mich stehen gleichzeitig etwa 200 sehr private Dinge ihn selbst betreffend entgegen. Alles, was ich heute bin, mein ganzes Leben verdanke ich außerdem Anthony. Es war damals seine Idee Blackbird (McKnight, Ex-Parliament-Gitarrist und Frusciante-Vorgänger) zu feuern und mich bei den Chili Peppers aufzunehmen. Wenn es ihm hilft, diese Dinge aufzuschreiben, hat er also meinen Segen. Auch wenn ich zwar verstehen kann, was Leute bewegt, so etwas zu tun, es aber für mich selber und mein eigenes Leben überhaupt nicht nachvollziehen kann.
Wie würdest du insgesamt die Bandchemie in diesen Tagen beschreiben?
Auf jeden Fall haben wir es alle genossen jetzt für die Aufnahmen so lange Zeit so dicht beieinander zu sein. Das war zuletzt anders. Deshalb wollte ich auch eingangs deiner Überschrift zu „By The Way“ nicht zustimmen. Es war zwar nicht so schlimm wie ganz früher, aber nach meinem Empfinden gab es zuletzt keine besonders große Einigkeit und Freundschaft zwischen uns. Eine ziemlich schlimme Phase für die Band, Flea wäre beinahe ausgestiegen. Zwischen Anthony und mir bestand eine gewisse Verbindung, ich würde aber nicht von Freundschaft sprechen und insgesamt sind wir damals alle sehr auseinander gedriftet. Jetzt ist es zum ersten Mal seit langer Zeit so, dass ich mich wirklich freue anlässlich der Tour so lange mit den Anderen zusammen zu sein. Anthony und ich verstehen uns prima, Flea ist ziemlich gut drauf und auch Chad ist witzig und ausgeglichen, das war lange Zeit nicht so.
Aber in den Interviews zu „By The Way“ habt ihr doch genau das Gegenteil behauptet…
Wir wollen über solche Sachen nicht in der Öffentlichkeit reden, bis sie aus der Welt geschafft sind, um ihnen nicht noch zusätzliche Schärfe zu verleihen. Deshalb entstand in der Öffentlichkeit vielleicht damals dieses Bild.
Aber das ihr euch jetzt gut versteht stimmt? Du erzählst mir nicht in zwei Jahren wieder das Gegenteil?
(lacht) Nein, zurzeit ist es wirklich angenehm. Wobei das grundsätzlich immer mit Einschränkungen gilt, was ich aber nach so langer Zeit auch ganz normal finde. Wenn du mit ein paar Leute zusammen im Büro arbeitest, hat jeder seinen festen Zuständigkeitsbereich, man hat nur oberflächlichen Kontakt miteinander und um fünf haben alle Feierabend.
In einer Band wie der unseren aber sind alle Mitglieder auf sämtlichen Ebenen extrem stark miteinander verbunden, und das gilt für sämtliche Lebensbereiche. Und so ist es eben immer wieder sehr wichtig, sich auch mal eine Weile aus dem Weg zu gehen, speziell nach so einer langen Zeit. Auch wenn wir jetzt bei der Produktion in künstlerischer Hinsicht am selben Strang gezogen haben, sind wir uns doch, nachdem die Songs geschrieben waren, während der eigentlichen Aufnahmen so gut wie gar nicht über den Weg gelaufen. Und jenseits der Musik machen wir praktisch gar nichts mehr miteinander. Man sieht sich vier Stunden bei der Probe und das war es.
Im Studio habt ihr also getrennt gearbeitet?
Ja, jeder kümmert sich um seinen Kram. Anthony arbeitet an seinen Texten und nimmt dann mit Rick den Gesang auf, ich arbeite an meinen Overdubs, ebenso sind die anderen beiden in ihrer eigenen Welt und jeder hat auch einen eigenen Sound-Engineer. Aber nun, wo alle Stränge zusammen laufen stellen wir fest, dass offenbar alles perfekt zusammen passt und wir mit dieser Platte dasselbe wollten. Und dieser Stolz auf das gemeinsam Erreichte lässt uns auch als Freunde wieder enger zusammenwachsen. Das ist zwar eine Phrase, aber wir alle denken, dass dies hier wirklich unser bestes Album bislang ist.
Was dich persönlich betrifft, so scheinst du mehr oder weniger deinen Seelenfrieden gefunden zu haben.
Nein, das würde ich nie behaupten. Im Vergleich zu den Zeiten, in denen mein Geist wirklich an einem extrem dunklen und zerstörerischen Platz war, geht es mir aber in jedem Fall heute besser. Wie gesagt: Ich versuche jeden Tag ein besserer Mensch zu werden. Das kostet viel Energie, ist aber für mich der einzig gangbare Weg.
Text: Torsten Groß
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