Mit “Ohne Dich” schrieben sie einen zeitlosen Klassiker. Der Song findet seit eineinhalb Dekaden regelmäßig einen Spitzenplatz in den Ranglisten der schönsten Liebeslieder, die je geschrieben wurden. Selig, das deutsche Gegenstück zum Grunge-Hype aus Amiland, lösten sich im Januar 1999 offiziell auf, nachdem sie alles im Rock’n’Roll-Zirkus miterleben durften, was es zu erleben galt. Jetzt kehren die Herren um Jan Plewka mit “Und endlich unendlich” endlich zurück.
“Mit unserem Gitarristen Christian hab ich zehn Jahre nicht gesprochen. Wenn ich ihn auf der Straße sah, musste ich die Seite wechseln”, erzählt Jan Plewka gleich zu Beginn des Gesprächs über die Trennung und Reunion der Band. Plewka vergleicht diesen Umstand mit einer gescheiterten Liebesbeziehung, in der der Liebeskummer ähnlich lange anhält wie die Beziehung selbst. Der Ausnahmetexter und -sänger macht einen sehr aufgeräumten Eindruck und er erzählt viel und ausführlich.
Auch warum es damals mit Selig auf Dauer nicht hätte klappen können: “Die Band war zu ihrem eigenen Mikrokosmos geworden. Es gab nur noch Selig, Selig, Selig. 48 Stunden am Tag! Unsere Eltern und Familien sahen wir kaum noch. Selbst wenn die Freundin mal während der Tour zu Besuch war, ähnelte dies einem Knastbesuch.” Dem nicht genug, war da ja auch noch das Teufelchen Rock’n’Roll-Klischee am Werk, denn “4 Jahre gab es für uns nur eins: Touren, Bühnen, Kameras, Alkohol – und eben auch Drogen. Wir waren zu Reitern unserer eigenen Apokalypse geworden. Nur dummerweise wollten wir das ja auch nicht anders!” Nach ihrem dritten Album “Blender” und dem geschriebenen Soundtrack zum Film “Knockin’ On Heaven’s Door” war endgültig Schluss mit Selig, der Mikrokosmos in sich zusammengestürzt.
Selig – Ohne Dich
So richtig still ist es trotzdem nie geworden. Jan Plewka machte ein Soloalbum, gründete mit Stephan “Stoppel” Eggert die Band Zinoba und veröffentlichte ebenfalls mit “Stoppel” am Schlagzeug und Schauspieler Marek Harloff am Bass zwei Alben als TempEau. Neben Jana Pallaske und Marek Harloff war Plewka im Film “Alles Lüge – Auf der Suche nach Rio Reiser” zu sehen und Ende 2008 als Nebendarsteller in der Oper “Die Zauberflöte in der U-Bahn” zu bewundern. Ganz nebenher ist er außerdem regelmäßig mit dem Projekt “Jan Plewka singt Rio Reiser” unterwegs.
Stoppel, der sogar bei James Last an den Kesseln saß und dem in Vergessenheit geratenen Jungen mit der Gitarre als Schlagzeuger aushalf, startete ein kurzweiliges Remixprojekt “Saunaclub” zusammen mit Keyboarder Malte Neumann. Der wiederum gründete nach Selig eine Internetfirma. Als Träger eines Diploms in Komposition und Musiktheorie arbeitete Bassist Leo Schmidthals unter anderem als Co-Produzent für Echt oder unterstütze Udo Lindenberg bei der Arbeit. Gitarrist Christian Neander gründete die relativ wenige beachtete Band Kung Fu, welche sich aber bald auflösen sollte und er sich dann als Produzent und Songschreiber in einem Berliner Studio nieder lies.
Selig – Ist Es Wichtig
“Eines Tages unterhielten sich Stoppel und ich über unser Leben, die ehemaligen Bandkollegen und eben auch Selig. Er fragte, ob ich denn noch immer diesen Groll gegenüber Christian und den anderen hätte. Ich antwortete irgendwas von »Es sei wohl an der Zeit sich mal zu unterhalten«”, erzählt Jan.
Den ersten Schritt in Richtung “Operation S”, wie es Malte nannte, unternahmen sie im September 2007 und verabredeten sich in einem Restaurant außerhalb von Hamburg. Sie klärten, was geklärt werden musste und räumten Unstimmigkeiten von damals aus der Welt. Das dauerte bis Mai 2008.
Dann trafen sich Selig zum ersten Mal seit 10 Jahren, um wieder gemeinsam Musik zu machen. “Es war sehr verrückt. Ein sehr spiritueller Moment. Vor allem im Hinblick auf die vielen Erinnerungen, die dann in einem hoch kamen und ich gleichzeitig den Anderen dabei zusehen durfte, wie sie das taten, was sie am besten können. Nachdem wir gemerkt haben, dass wir die alten Stücke noch drauf haben, machten wir uns noch am selben Tag an die Arbeit für neue Songs. Hier ist auch die Idee zu “Schau Schau” entstanden.”
Danach ging alles ziemlich schnell. Eine Plattenfirma wurde ausgewählt – nicht gefunden, wie Jan betont, denn “Angebote gab es viele. Ständig kamen Leute aus der Branche auf mich zu und meinten es wäre doch »eine super Idee, Selig wieder zu beleben«. Nur war die Zeit eben noch nicht reif dafür bzw. jeder hatte sein eigenes Ding am Laufen.”
Die Platte wurde in Eigenregie produziert. Der Arbeitsweise von David Bowie nachempfunden, gab es feste Zeiten, zu denen geprobt und die Songs eingespielt wurden. “An den Wochenenden nahmen wir uns frei. Also wirklich frei. Nicht so wie früher, als wir sogar im Urlaub aufeinander saßen”.
Selig – Schau Schau
“Und endlich unendlich” klingt nach wie vor nach Selig. Zweifelsohne und vielleicht sogar mehr als erwartet. Es gibt zwar kein zweites “Ohne Dich” oder “Ist es wichtig” darauf zu finden, jedoch zwei Hände voll ehrlicher und guter Musik. Mit allen Selig’schen Schikanen. In ihrer Tradition vorgetragener Rock, angetrunkener, leidender Blues und die vertraut ruhigen Momente. Wie gehabt zweifelt Plewka in seinen Texten an den Gepflogenheiten unserer Gesellschaft (“Auf dem Weg zur Ruhe”), er erzählt über das Dauerthema Liebe und Schmerz (“Ich dachte schon”), Träumereien (“Traumfenster”) und betont die Notwendigkeit, dem Leben und der Welt gegenüber doch sehr dankbar zu sein (“Schau Schau”). Letztendlich sind sie nur ein Stückchen älter geworden.
Christopher Mühlig
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