Die Studenten-Community StudiVZ hat neuen Ärger. Eben erst geriet das Netzwerk wegen Nazi-Witzen und peinlichen Filmchen eines Gründers ins Gerede – nun geht es um organisierte Belästigung von “geilen Schnitten” und “Miezen”. Einer der Gründer wollte sogar mitmachen.
“Gruscheln” heißt es im Studentennetzwerk StudiVZ, wenn man jemandem einfach virtuell Hallo sagt. Das Wort haben sich die Gründer der mittlerweile erfolgreichsten deutschen Studenten-Community selbst ausgedacht – es entspricht in etwa dem “Poking” im großen US-Vorbild Facebook: ein virtueller Gruß mit Flirt-Unterton, von einem Mitglied zum anderen. Gruscheln klingt ein bisschen nach Kuscheln. Und ein bisschen nach Grapschen. Genau dieser Beiklang ist für einige weibliche Mitglieder von StudiVZ jetzt in den Vordergrund gerückt.
Mehr als 700 vermutlich junge Männer haben sich innerhalb des Netzwerkes nach Blog-Recherchen zu einer Interessengruppe zusammengeschlossen, einem virtuellen Herrenclub. Das Ziel ist, innerhalb des Netzwerkes “geile Schnitten rauszusuchen” und die “Miezen” dann “gemeinschaftlich zu gruscheln”. Die Hobby-Misswahl-Juroren versorgen einander mit Tipps, in welchen Profilen hübsche Fotos hübscher Frauen zu sehen sind. Aus dem Kreis ihrer ahnungslosen Entdeckungen wählen sie einmal im Monat eine “Miss StudiVZ” – und verabreden sich dann dazu, die bedauernswerte Gewinnerin gemeinsam zu “gruscheln”.
Miss-Wahl ohne Einwilligung der Kandidatinnen
Belästigung ist für diese Aktivität noch ein ziemlich mildes Wort. Zwei der ohne ihr Einverständnis zur Wahl gestellten und gemeinschaftlich “gegruschelten” Frauen sollen das Netzwerk schon verlassen haben. Kein Wunder. Es ist ein Unding, dass die Bilder der Frauen von ihren Profilseiten entwendet wurden – in den vergangenen Wochen waren vielerorts angebliche Sicherheitslücken bei StudiVZ diskutiert worden, die auch den Zugang zu privaten Bereichen von Profilseiten ermöglichen sollen. Die Betreiber bestreiten das.
Nun ist Cyberstalking ein umstrittenes Thema. Wo hören ehrliche, harmlose Kontaktbemühungen auf – wo fängt Belästigung an? In diesem Fall allerdings gibt es keinen Zweifel, dass auch die Freunde weiblicher Schönheit selbst wissen, was sie da tun: “Was meint ihr, wie die verdeppert guckt, wenn sie innerhalb von zehn Minuten von 15 Typen gegruschelt wird”, schrieb ein Gruppenmitglied.
Dass sich Männer gern mal danebenbenehmen, dass schlechtes Benehmen im Internet besonders leicht fällt: Das ist bekannt, und dafür können die Betreiber von StudiVZ nichts. Jeder, der eine Community-Plattform zur Verfügung stellt, riskiert deren Missbrauch. Sobald der Missbrauch aber öffentlich wird, sollte der Plattform-Betreiber einschreiten. Was in diesem Fall auch geschah. Allerdings anders als erwartet.
Die “pornografischen Elemente” entfernen – sonst ok
Ein Moderator schrieb schließlich eine E-Mail an einen der Gruppengründer: Es habe eine Beschwerde gegeben. Er habe sich die Inhalte der Gruppe daraufhin einmal genau angesehen – und eigentlich sei “alles völlig ok”. Schließlich gehe es ja um einen “Fotocontest”. Das müsse nur auch in der Beschreibung der Gruppe deutlicher werden. Deshalb sollten bitte die “na ja, sagen wir mal ‘pornografischen Elemente'” entfernt werden. Dann kommt ein Postscriptum: “Einer der Gründer hätte übrigens gern eine Einladung für die Gruppe… – ich würde mich dann da auch anschließen…” Die Mail nennt sogar den Namen des StudiVZ-Mitgründers, der sich da für die zwielichtige Miss-Wahl interessiert.
In den auf Sexismus stets allergisch reagierenden deutschen Blogs ist man deshalb wieder wütend auf die Betreiber von StudiVZ. Einer der Gründer, Ehssan Dariani, war schon mehrfach durch seltsame Bemühungen ums weibliche Geschlecht aufgefallen – er filmte unter anderem Frauen auf Party-Toiletten. Die neuen Vorwürfe dürften dem Ruf des auch vom Venture-Capital-Arm der Holtzbrinck-Gruppe finanzierten Unternehmen weiter schaden.
Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE teilte ein Sprecher von StudiVZ inzwischen mit: “In über 200.000 Gruppen sind unsere Nutzer auf StudiVZ aktiv. Fest steht: StudiVZ duldet kein Stalking.” Dabei sei man, was die Gruppen betreffe, “auch auf die Mithilfe der Mitglieder angewiesen. Diese funktioniert sehr gut und wird ständig verbessert”. Bei Hinweisen auf Missstände “gehen wir diesen auch nach. Wir haben so schon viele Gruppen und Profile gelöscht”. Grundsätzlich stehe StudiVZ für Meinungsfreiheit und aktive Kommunikation auf der Plattform, “dies soll aber nie für Stalking oder ähnliche Aktivitäten genutzt werden. Dies lehnt StudiVZ ganz klar ab”.
Dementiert wurden die Vorwürfe nicht – auch nicht der, dass einer der Gründer gern Mitglied der Massen-Gruschel-Gruppe werden wollte.
“Sexismus, entgleiste Rhetorik, Datenschutzmängel”
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Misswahl-Gruppen innerhalb des Netzwerkes – die jedoch nun meist darauf hinweisen, dass das Veröffentlichen von Bildern gegen den Datenschutz verstößt und deshalb untersagt ist. Die selbstgewählten Titelbilder allerdings lassen auch dort auf eine gewisse Begeisterung fürs Erotische schließen.
Die Seite der Massen-Gruschel-Gruppe ist inzwischen von allen öffentlich sichtbaren Beschreibungen gereinigt. Man gibt sich gekränkt: “Journalistische Kampagnen gegen das StudiVZ benutzen nun auch die Gruppe ***** als Spielball, um dem Blog ans Leder zu gehen. Beiträge hier wurden aus dem Zusammenhang gerissen und sehr negativ dargestellt, die Autoren wurden so schlecht verschleiert, dass man diese mühelos erkennen kann. Wir sind gerne für konstruktive Kritik offen, aber diese Art von Journalismus ist einfach nicht in Ordnung.”
Unter den Studenten regt sich inzwischen Unmut. Die obersten Studierendenvertreter der Humboldt-Universität zu Berlin zum Beispiel warnen in einer offiziellen Pressemitteilung vor StudiVZ – wegen “Sexismus, entgleister Rhetorik und gravierender Datenschutzmängel”.
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