Oldies but Goldies: Slut über Jazzgymnastik, Reserven und ihre zwei zu Unrecht unbekannten, ersten Platten. Eine Retroperspektive zur Re-Release.

Slut sind älter geworden. 16 Jahre haben sie mittlerweile als Band auf dem Buckel, doch immernoch brennt ein kleines Feuer, das gelegentlich auch noch große Funken schlägt. Von Stillstand spürt man nichts, neues Material soll schon bald konkretisiert und verfeinert werden – die Jungs peilen für nächstes Jahr ein neues Album an (motor.de berichtete). 2010 jedoch war es erst einmal Zeit, zwei schon fast vergessene Perlen aus ihrer Diskografie zurück an die Oberfläche zu holen: “For Exercise And Amusement” und “Interference”. Passend dazu begaben sich die fünf Ingolstädter auf eine kleine Tour, während der sie fast ausschließlich Songs aus ihren ersten Alben spielten. Ein spannendes Unterfangen für eine Band, die sich mittlerweile schon längst in andere Richtungen entwickelt hat. Die alten Platten jedoch haben für die Jungs immer noch den gleichen Charme. Wir trafen Bassist Gerd Rosenacker und Keyboarder René Arbeithuber und sprachen über die alten Zeiten, Rentenvorsorge und ausgeklügelte Tanz-Choreografien.

motor.de: Heute nach 16 Jahren Bandgeschichte – hat man da eine Tour überhaupt noch den Reiz, dieses schöne Gefühl?

Gerd: Das hat sich schon ein bisschen verändert. Es hat noch immer einen Reiz, aber anders als früher. Da war es halt etwas völlig neues, etwas abenteuerliches, etwas spannendes. Heute gibt‘s da natürlich schon eine gewisse Routine. Aber grundsätzlich ist es natürlich immer noch sehr schön, mit seinen besten Freunden durch die Lande zu fahren und Musik zu machen.

motor.de: Aber man wird vernünftiger.

Gerd: Zumindest an manchen Tagen ja. (lacht) Wir sind selbst immer sehr gespannt, was passiert.

motor.de: Dieses Mal ist die Situation ja schon ein bisschen besonders. Ihr seid mit ganz altem Material unterwegs, das ihr jetzt wieder neu aufgelegt habt. Die ganz alten Sachen wieder live – das klingt spannend!

Gerd: Ja, es ist ein sehr nostalgisches und sehr schönes Gefühl. Ich dachte erst, dass es wesentlich schwerer wird, sich die ganzen alten Schinken wieder draufzudrücken. Doch es hat im Endeffekt erstaunlich gut funktioniert. Es fühlt sich alles gar nicht so weit weg an, wie ich ursprünglich gedacht hätte. Wenn man es auch nicht mehr alles im Kopf hat, die Finger wissen es noch. Und viele der Songs waren ja schon auf vergangenen Touren im Programm.


Slut live in Leipzig, Halle D – Foto: Alex Beyer

motor.de: Und ihr habt mit den alten Sachen auch kein Problem? Ich meine, das war vor vielen Jahren – heute sieht man das doch sicher aus einem anderen Blickwinkel und würde vieles anders machen.

Gerd: Nein, die Songs funktionieren noch wirklich gut. Es ist jetzt nicht so, dass wir an den Titeln rumgewerkelt haben, so wie „hätte ich doch das anders gemacht, oder das“ oder auch „das geht ja gar nicht mehr“. Das gibt es nicht.

motor.de: Verfolgt ihr bei eurer Setlist dieses Mal ein besonderes Konzept, anlässlich der neuen Veröffentlichung?

Gerd: Das Konzept war hauptsächlich oder besser ausschließlich Songs aus den ersten beiden Platten zu spielen. Und bei den Zugaben machen wir dann den Schmankerl-Topf auf und werfen mit Hits um uns.
Rene: Ja, Hits, Hits Hits. (beide lachen)
Gerd: Oldies but Goldies.
Rene: Ein interessanter Punkt ist ja, dass viele Leute glauben, unser drittes Album sei unser Debütalbum. Viele kennen die ersten beiden Platten gar nicht. Das ist jetzt auch sicher sehr interessant, die Reaktionen der Leute zu sehen. Denn viele werden uns vielleicht noch einmal völlig neu kennenlernen.

René Arbeithuber und Gerd Rosenacker (v.l.n.r.) –
Foto: Alex Beyer

motor.de: Mit der Wiederauflage des alten Materials hattet ihr ja auch die Gelegenheit, alte Schnitzer zu beseitigen…

Rene: (unterbricht) … nein, es schleichen sich eher neue Schnitzer ein. (lacht)

motor.de: Habt ihr denn viel an den Songs rumgedoktert oder das schon ziemlich genau übernommen?

Gerd: Eigentlich schon ziemlich genau, bis auf ein paar Kleinigkeiten. Dass man jetzt zum Beispiel an einigen Stellen ein Harmonium benutzt, statt einen Keyboard-Werk-Sound. Kleinigkeiten wurden verändert, aber im Grunde ist es ja schon das gleiche wie früher.



motor.de: Wie war das denn eigentlich? Ich habe gelesen, dass es tatsächlich keine Exemplare mehr von den alten Platten gab. Das war dann auch der Hauptgrund für eure Entscheidung?

Gerd: Ja, die waren einfach vergriffen. Sie wurden teilweise im Internet (schüttelt den Kopf) für bis zu 300 Euro gehandelt. Es war wirklich bizarr irgendwie.
Rene: Da kommen mehrere Sachen zusammen. So eine kleine Tour kann man dann ja auch nutzen, vielleicht schon vorhandene neue Songs auszuprobieren. Natürlich geht es auch darum, die Bandkasse mal wieder ein wenig zu befüllen. Man muss ja auch Proberaummiete Zahlen und wenn man lange nicht auf Tour geht, dann ist da ganz schön Ebbe.
Gerd: Wir hatten auch einfach wirklich wieder Bock auf Tour zu gehen. Bis unsere nächste Platte fertig wird, das dauert uns zu lange, außerdem wissen wir noch nicht wann genau – wahrscheinlich Mitte nächsten Jahres.

motor.de: Zu Hause hattet ihr etwa auch keine Exemplare der ersten Platten mehr?

Gerd: Doch, klar! Das war unsere Rentenversicherung. (alle lachen) Wenn es dann wirklich mal eng geworden wäre, dann hätte ich zehn oder zwanzig verscheuert und mir dafür ein Auto gekauft.

motor.de: Wie setzt man sich denn mit so viel zeitlichem Abstand heute damit auseinander. Geht das gar nicht mehr oder ist es so, dass ihr tatsächlich den alten Kram wirklich gern noch hört und spielt?

Rene: Ich glaube, da hat jeder so seine Favorites und Songs, die er nicht so mag. Es ist so, dass ich die älteren, härteren Sachen schon geiler finde.
Gerd: Da gebe ich dir völlig recht, man hat da schon so seine persönlichen Preferenzen. Aber wenn man das alles im Kontext betrachtet, hat es schon alles so seine Richtigkeit zu der Zeit. Wir würden heute sicher die selben Songs anders arrangieren. Aber ich finde, wir sollten das schon so lassen, wie es damals war.

Slut live in Leipzig, Halle D – Foto: Alex Beyer

motor.de: Nach 16 Jahren hätte doch jede andere Band an eurer Stelle ein Best-Of veröffentlicht. Das kam für euch aber nicht in Frage?

Gerd: Ach, das ist doch albern.
Rene: Also wenn George Michael ein Best-Of macht, das verstehe ich, oder Phil Collins. Absolut. (lacht) Ich meine gut, andererseits sagen eh viele Leute, die ersten beiden Platten seien die besten.

motor.de: Gerade neulich ist mir euer erstes Musikvideo zum Song “Sensation” begegnet. Sehr amüsant und sehr lange her. Habt ihr noch Erinnerungen daran?

Rene: Ja, das war auf alle Fälle ein lustiger Tag.
Gerd: Ein sehr lustiger Tag (grinst).
Rene: Wir waren damals in Weilheim bei Mario Thaler [unter anderem The Notwist; Anm. der Redaktion] im Studio und haben dort unsere zweite Platte aufgenommen. In dieser Zeit ist dann auch das Video entstanden: Wir haben uns einen Off-Day genommen und sind für den Dreh durch die Lande gezogen.
Gerd: Der Regisseur des Videos ist auf unserer Tour jetzt auch anwesend und kümmert sich um die Lichtshow. Das wird übrigens auch auf die Leinwand projiziert, mit dieser ganz starken Tanz-Choreografie (lacht).

Slut – “Sensation”

motor.de: Da habe ich mich auch gefragt, was euch da geritten hat.

Gerd: Es gibt da so eine lustige Geschichte zu. Darum führt man ja Interviews, damit man lustige Geschichten erzählen kann.
Rene: Ist vielleicht kein Schenkelklopfer, aber doch ganz amüsant.
Gerd: Damals waren wir noch auf der Schule und mussten Sportkurse wählen. Unser Schlagzeuger Matthias hatte wie so oft verbummelt sich rechtzeitig anzumelden. Da waren alle Kurse schon weg außer eben Jazzgymnastik. Und diese Choreografie, die man auch im Video sieht, brachte er damals davon mit. Er hat uns das dann erklärt und wir haben es nachperformt. Ich finde, es passt hervorragend zum Song und ist eine ganz ausgezeichnete Tanz-Choreografie.

motor.de: Gerade erst vor kurzem wurde ja auch die “Neon Golden” von The Notwist wieder veröffentlicht.

Rene: Das wusste ich gar nicht.
Gerd: Ehrlich? Nachmacher.
Rene: Weezer haben uns auch schon kopiert. (lacht)

motor.de: A propos The Notwist – Console hat ja damals auch einen Remix zu „Favorite Pool“ angefertigt.

Rene: Ja, der stammt aus der Zeit der Aufnahmen und ist wirklich einer seiner ersten Remixe.
Gerd: Wir waren damals ja sozusagen Studionachbarn. Der Martin [Martin Gretschmann, bürgerl. Name v. Console; Anm. der Redaktion] arbeitete gerade im selben Studio. Wir waren damals schon befreundet, sind es auch immer noch und auch sehr glücklich über diesen Remix.

Slut live in Leipzig, Halle D – Foto: Alex Beyer

motor.de: Habt ihr eigentlich sowas wie eine Lieblingsplatte?

Rene: Also bei mir ist das „Still No.1“.
Gerd: Bei mir ist es entweder auch „Still No.1“ oder aber „Nothing Will Go Wrong“.
Rene: Ja, stimmt, das kommt gleich danach.

motor.de: Ich bin euch ja immer noch wahnsinnig dankbar für die Gitarre bei „Blow Up“.

Gerd: Oh schön, ja den spielen wir heute auch in der Zugabe.
Rene: Ja, dann wenn wir mit Hits um uns werfen. (lacht)
Gerd: Dann wird schön die Gitarre auf „D“ gestimmt und dann geht‘s ab. (lacht)

motor.de: Wo wir schonmal dabei sind: Was sind denn eure persönlichen Perlen der ersten beiden Platten?

Gerd: Mein Lieblingssong ist „Medea“ vom ersten Album.
Rene: Meiner ist „Ground“. (überlegt) Und von der zweiten Platte ist das „Evergreen“.

motor.de: Wie sieht es eigentlich mit einer neuen Platte aus?

Rene: Es gibt so ein paar rohe Songstrukturen bzw. Fragmente, die mehr oder weniger ausgegoren sind – momentan etwa vier oder fünf Stück. Angepeilt haben wir für die Veröffentlichung spätestens den nächsten Herbst. Das ist realistisch, denke ich.

motor.de: Was steht bei euch noch an in diesem Jahr?

Rene: Wir haben noch einen Proberaum-Umzug vor uns: Wir mussten unseren Raum in Ingolstadt räumen und werden nach München ziehen. Da wollen wir uns dann auch ganz auf die neue Platte konzentrieren.

Interview: Alex Beyer