London, Ende August. Wir haben soeben zum zweiten Mal das neue My Chemical Romance-Album “The Black Parade” gehört und sitzen nun in der Lobby des K West Hotels und warten auf unser Interview mit der Band. Gesprächsstoff gibt es zuhauf: Zunächst ist da der neue Look von Sänger Gerard Way, der seit kurzem mit platinblonder Kurzhaarfrisur von den Titelseiten blickt und der außerdem für die neue Blaskapellen-Optik seiner Band verantwortlich ist. Darüber hinaus dürfte es interessant werden zu erfahren, wie eine Band, die seit knapp fünf Jahren besteht und erst zwei Alben veröffentlicht hat, in der Lage ist, ein solch durchkonzipiertes, trickreiches und bis ins Details ausgefeiltes Komplexwerk wie “The Black Parade” aufzunehmen.

Dass Green Day-Haus- und Hof-Produzent Rob Cavallo an dem den “American Idiot”-Geist atmenden Bombastalbum gehörig gefeilt haben dürfte, steht dabei außer Frage. Und nicht zuletzt würden wir gerne wissen, wie die Zusammenarbeit zwischen My Chemical Romance und Liza Minelli zustande kam – schließlich ist die Paarung einer Musical-Legende und den “fünf most uncool motherfuckers in the world” alles andere als gewöhnlich. Auf geht’s zum Interview mit Gerard Way, Leadgitarrist Ray Toro und Gitarrist Frank Iero.

Gestern Abend bei eurer Live-Show im Hammersmith Palais seid ihr erstmals in euren neuen Kostümen aufgetreten. Der Look erinnert sehr an den einer Blaskapelle.
Gerard: Absolut, genau das wollen wir darstellen. Der einzige Nachteil an den Dingern ist, dass man darin so fürchterlich schwitzt.

Kommen wir zu eurem neuen Album “The Black Parade”. Der Vorgänger “Three Cheers For A Sweet Revenge” beschäftigte sich mit der Reaktion von zwei Jungs auf den Tod ihrer Großmutter, wie lautet die Zusammenfassung der neuen Platte?
Gerard: Im Mittelpunkt unserer neuen Rock’n’Roll-Konzeptplatte steht unser Protagonist, “der Patient”. Der Patient ist jemand wie du und ich, jemand, der in jungen Jahren an einer Krankheit verstirbt – nehmen wir an, er hatte Krebs – und der es bis zu seinem Tod versäumt hatte, sein Leben bis zum Letzten auszukosten und zu genießen; der Chancen vertan und nicht wirklich geliebt hat. Dieser Patient hat einfach nur “gelebt”, ohne weiter aufzufallen, wie so viele andere Menschen auch. Als er stirbt, läuft vor seinem inneren Auge noch einmal der schönste Moment seines Lebens vor ihm ab: Wie er als Kind mit seinem Vater einen Spielmannszug vorbeimarschieren sieht, eine Parade, mit Trommeln, Trompeten und Kostümen. Alle Menschen, die ihm während seines Lebens begegneten, sind Teil dieser Parade, und er realisiert, dass er sein Leben hätte anders, intensiver gestalten sollen. Somit ist “The Black Parade” also das Gesuch um eine neue Chance, die Bitte, noch einmal leben zu dürfen, oder anders gesagt: Die Moral des Ganzen ist, so zu leben, als sei jeder Tag dein letzter.

Ist der Patient dann so etwas wie euer “St. Jimmy”?
Frank: Nein. Wir sehen “The Black Parade” in der Jahrhunderte alte Tradition der “moralischen Kleinbühne”, als Schauspielgruppen von Stadt zu Stadt reisten und lehrreiche Geschichten von Sünde, Erlösung oder Hölle erzählten. Diese Tradition wollten wir in ein modernes Rock’n’Roll-Gewand kleiden und Gerard entwickelte dafür den Charakter des Patienten.

Inwiefern hat deiner neuer Look mit dem Album zu tun? Gehören die weißen Haare zum Konzept des Albums?
Gerard: Ursprünglich wollte ich mir den Schädel rasieren, um mich dem Patient noch näher zu fühlen; um mich noch besser mit ihm und seinem Schicksal identifizieren zu können und seine Angst und Schmerzen nachempfinden zu können. Ich entschied mich schließlich für platinblonde, kurze Haare, weil dieser Look dem Patienten, so wie ich ihn mir vorstelle, sehr nahe kommt.

Dem Patient entsprechend “optimistisch” sind die Songtitel: “Death”, “Cancer”, “The Kiss Before She Goes” – Wie kommt es zu diesem Mix aus extrem düsteren Titeln und Texten und dieser positiven, fröhlich-melodischen Musik?
Frank: My Chemical Romance sind bekannt dafür, den Kampf zwischen Dunkelheit und Licht ausgeglichen zu gestalten. In all unseren traurigen und melancholischen Geschichten finden wir immer einen Funken Hoffung und einen Ausweg, in der Hoffung, dass am Ende alles gut wird. Im Grunde kann man es so sagen: Gäbe es kein Sauer, dann wäre das Süße nicht süß.


Das Album klingt extrem ambitioniert und bis ins Detail ausgefeilt. Ihr macht mit “The Black Parade” nicht nur den nächsten Schritt, sondern kickt in Kürze wahrscheinlich in der gleichen Liga wie Green Day und Co. War das das Ziel?
Gerard: Definitiv. Mit dem neuen Album wollten wir uns und sämtliche Erwartungen übertreffen. Dafür mussten wir nicht nur hart an uns arbeiten, sondern auch das ein oder andere Hindernis aus dem Weg räumen. Glaub mir, dieses Album war harte Arbeit, an der wir fast zerbrochen wären. Mir wurde plötzlich klar, dass du mit jedem neuen Album du das Ende deiner Band riskierst – weil du jedes mal dein Inneres nach Außen kehrst und es den anderen zum fröhlichen Sezieren vorwirfst. Es ist nicht leicht, etwas so Persönliches wie einen Songtext oder das vermeintlich perfekte Riff von den anderen kritisieren zu lassen und schließlich verwerfen zu müssen. Das schmerzt. Aber wir haben diese Situationen gemeistert und sind als Band und als Individuen gestärkt daraus hervorgegangen.


Gab es Bandmeetings, in denen ihr feststellen musstet, das nicht alle am gleichen Strang ziehen. Dass es unterschiedlich Ziele gibt?
Ray: Sagen wir so: Es gab diese Treffen und es gab diverse Hürden, die es zu nehmen galt, aber über das gemeinsame Ziel waren wir uns im Grunde einig. Ich meine, jeder von uns weiß, worauf er sich mit dieser Platte einlässt – nämlich sehr sehr lange unterwegs zu sein und nur selten das eigene Bett zu sehen.
Gerard: Man muss aufpassen, dass man auf dem Weg von Clubs und Kleinbussen hin zu Stadien und Privatjets nicht den Kontakt zur Basis verliert. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir schon auf Grund unserer bisherigen Karriere geerdet genug sind, um nicht paranoid zu werden. Du musst wissen: Unser neues Album ist keine selbstbeweihräuchernde Platte, hier geht es nicht um eine Band auf ihrem Weg zum Welterfolg, sondern noch immer um Einsamkeit, Entfremdung, innere Leere und Müdigkeit – so, als hätte man gerade literweise Blut gespendet.


Welchen Anteil hat Rob Cavallo an dem Album. Der Mann hat immerhin sämtliche Green Day-Alben (Ausnahme: “Warning”) inklusive “American Idiot” produziert?
Ray: Rob hat uns einfach geraten, die Schere aus dem Kopf zu nehmen und sämtlichen Schnapsideen in Bezug auf Arrangements oder Instrumentierung freien Lauf zu lassen. Er hat uns geholfen, den Sound zu kreieren, den wir uns in unserem Kopf vorstellten. Einer der wichtigsten Momente während der Produktion war der, als Rob mit einem Keyboard ins Studio kam, weil wir uns bei einem Song ein Piano wünschten. Also spielte er ein paar Töne und ich glaube, das hat bei uns endgültig sämtliche Fesseln gelöst.


Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Liza Minelli und wie ist die Frau denn so?
Frank: Supernett. Aber wir haben mit ihr nur am Telefon gesprochen, denn als sie ihren Part eingesungen hat, war sie in New York und wir in L.A. Sie spielt die titelgebende “Mama” in dem Song und sollte ihren Teil lediglich singen, hatte aber ein paar eigene Ideen, wie man ihre Rolle noch dramatischer und theatralischer gestalten könne. Also kichert sie am Ende des Songs zunächst hysterisch, bevor ihr Lachen in trauriges Schluchzen übergeht. Das klingt echt gruselig.

Als ich kürzlich eure DVD “Life On The Murder Scene” schaute, fiel mir auf, das in der zweistündigen Doku über eure Karriere nicht ein einziges Mal ein Mädchen auftaucht – keine Freundin, keine weiblichen Fans, nichts dergleichen. Wie kommt es bei so wenig anwesender Weiblichkeit zu Songs wie “I Don’t Love You”?
Gerard: Es gab, gibt und wird niemals irgendeine Form von Proskimuität in unserer Band geben. My Chemical Romance feiern keine ausschweifenden Aftershow-Partys oder sind in irgendeiner anderen Weise “typisch Rock’n’Roll”. Deshalb waren wir uns auch einig, dass jegliche Art von Intimität oder Privatleben nichts auf der DVD zu suchen hat. Auf der anderen Seite sind Beziehungen natürlich Teil – wichtiger Teil – unsere Lebens und damit natürlich auch ein elementarer Aspekt in den Songs unseres neuen Albums. Ob solche Lieder wie “I Don’t Love You” direkt mit mir oder meinem derzeitigen Gemütszustand zu tun haben, würde ich aber gerne offen lassen.