So ätherisch-lieblich die Songs von Stephanie Dosen auch daherkommen mögen, die aus Wisconsin stammende Musikerin hat es faustdick hinter den… Lippen. Zumindest, was die Wortwahl bei ihren Ansagen betrifft – mittlere Obszönitäten sind bei ihren Konzerten keine Seltenheit. Umso schräger, wenn sie danach mit akustischer Gitarre und glockenklarer Stimme den Verblichenen ein trauriges Liedchen trällert. Doch alles zu seiner Zeit, und so wird der Titel ihres zweiten Albums „A Lily For The Spectre“ erst einige Zeilen weiter unten erklärt. Zunächst aber steht ja noch die Frage nach dem “Warum“ der deftigen Wortwahl auf Bühne und im Interview im Raum. Nicht umsonst schreibt Stephanie Dosen in ihrem Blog mitunter Erinnerungseinträge für sich selbst, im nächsten, wichtigen Radiointerview bloß nicht Worte wie „Vagina“; Windeln“ oder „Waisenkinder“ zu verwenden – und schon gar nicht im selben Satz. Woher kommt diese Angst bzw. das sie verursachende Bedürfnis, diese Worte dennoch zu benutzen? „Ich werde immer so nervös, wenn ich auf die Bühne gehe – dann fange ich an, solches Zeug zu erzählen, ohne mir dessen bewusst zu sein. Nach dem Konzert, wenn ich mich wieder beruhigt habe, kommen oft Leute zu mir und sagen Dinge wie: ’Bist Du Dir darüber im Klaren, dass Du gerade vom Babies-durch-die-Gegend-werfen geredet hast, und außerdem ununterbrochen geflucht hast?’ Und – nein, das bin ich natürlich nicht! Aber ich denke, das ist eine ganz gute Art, Endorphine freizusetzen – eine billige Droge!“

Video: This Joy

Eine andere „billige Droge“ sieht Stephanie in ihrer Songwriting-Technik: Statt, wie andere „Künstler“ den Tag zu verschlafen und die Nacht durchzumachen, um dann im Morgengrauen ihren Geistesblitzen zu folgen, wählt sie die „schmerzhaftere“ Variante: Sie stellt sich den Wecker auf drei Uhr Morgens, und lässt sich so aus dem Schlaf reißen, um halbtot und benommen ihre Lieder zu komponieren. Und diese Lieder, womit wir dann wieder beim Albumtitel wären, sind – zumindest auf ihrem neuen Album – eine Art Botschaft an die Geisterwelt. Und das kam so: „Mein erstes Album nahm ich vor ein paar Jahren in einer stillgelegten Hundefutterfabrik auf. Die wurde in den Zwanzigerjahren gebaut, und damals fielen wohl einige Leute in die Silos und starben. Deshalb hat das ganze riesige Gebäude eine sehr verspukte Atmosphäre – was wir auch bei den Aufnahmen zu spüren bekamen: Türen gingen auf und zu, Licht ging an und aus, wir hörten seltsame Geräusche… Es können natürlich auch Mäuse gewesen sein… Wir waren mit vielen Leuten dort, und niemand von uns war abergläubisch, aber alle fanden es merkwürdig und unheimlich. Irgendwann kam jemand auf die Idee, ich solle doch explizit für die Geister singen, um sie zu beruhigen. Das nahm ich zwar nicht ernst, fand die Idee aber interessant. Und so versetzte ich mich für ’A Lily For The Spectre’ in die Rolle einer Frau, deren Geliebter gestorben ist, und dem sie nun durch die Musik näher zu kommen versucht.“

Text: Ralph Schlegel