„Sheena is a Punkrocker“, behaupteten die Ramones vor langer Zeit. Diese Zeit ist lange her. So lange, dass es schon gar nicht mehr wahr ist. Sheena ist kein Punkrocker.

Das zumindest behaupten The Horrors und haben das Vereinigte Königreich damit in helle Aufregung versetzt. Seit Sommer letzen Jahres ist dort nichts mehr wie es war: Es kommt zu aufstandsartigen Massenaufläufen vor Plattenläden, die sich des Ansturms kaum mehr erwehren können. Schließlich vermutet die Crowd vielleicht The Horrors bei einer In-Store-Show zu erwischen. Und das wäre ein Anblick, den man nie vergessen wird: The Horrros sehen nämlich aus wie John Cale, Kiss und Bill Kaulitz gleichzeitig.

Doch The Horrors sind keine Band, bei der es um Mummenschanz, Maskerade oder eines dieser hochmodernen Vexierbilder des Style geht. The Horrors spielen keinen Punkrock, sie sind Punkrock. Und zwar in einem Sinne, der wenig mit durchtrunkenen Nächten im Pub um die Ecke zu tun hat. Die Stücke ihres Debütalbums verhandeln nicht die üblichen Ausgehthematiken – kein Good-Time-Geplärre, kein Boy-meets-Girl-Gewäsch, keine Teenage-angst-Larmoyanz. Und nein: The Horrors sind auch keine Apologeten der Lehre von 1977. Auch wenn ihr Song „Little Victories“ im Booklet mit „Nevermind“ überschrieben ist.

Im einfachsten Fall sind The Horrors das: ein Phänomen. Ein Ereignis. Eine Idee. Faris Badwan (Vocals), Tomethy Furse (Bass), Joshua von Grimm (Gitarre), Coffin Joe (Drums) und Spider Webb (Schweineorgel) rücken das Bild der aktuellen Musikszene getreu dem berühmten Jello-Biafra-Bonmot „We are a punkrock band no new wave band“ wieder gerade: Im Unterschied zu den Bands des allmählich verblassenden Hypes, die das New-Wave-Erbe ausschlachteten und mit alerten Disco-Rhythmen und konzisen Off-Beat-Hi-Hats unterlegten, erheben the Horrors Das Brüchige, Unfertige zum Stilprinzip. Ihre Stücke entstehen nicht aus ergebnisoffenen Jams im Proberaum: Die aggressiv auf den Punk gebrachten Stücke knacken nur selten die Drei-Minuten-Grenze und präsentieren trotzdem ein reich geschichtetes Referenzinventar. Der Opener „Jack the Ripper“ weist gleich in die richtige Richtung. Ist das nicht das Riff von Peter Gunn? Denkste: Im Original stammt das Stück von Screaming Lord Sutch, einem der Anführer der „British Invasion“ der 60er, an der er mangels Erfolges schlussendlich selbst nicht teilnahm, aber den Weg bereitete für Jimmy Page, Jeff Beck und derlei Lichtgestalten, die er vor deren Durchbruch in seiner Band beschäftigte.

Die Eigenkompositionen weisen ähnlich hochcodierte Stilzitate auf. Allerdings ist „Strange House“ in etwa so wie eine sehr, sehr gute Comicverfilmung: Für den Kenner sind alle wichtigen Verweise und Referenzen auf das Anmutigste hineinmontiert. Doch zu kennen braucht man sie nicht – ohne den Überbau ist’s fast noch spannender: die Drums treiben voran, die Gitarren wechseln die Akkorde in raschen Schnitten, die Orgel sorgt für hochspektakuläre Leslie-Effekte. „Psychic Sounds for Freaks and Weirdos“ heißt das im Untertitel der Platte. Aber es ist auch nicht schlimm, wenn man kein Freak oder komischer Kauz, sondern bei klarem Verstand ist. Der wird sich beim Hören von „Strange House“ schon ganz von selbst verflüchtigen.

Und Sheena? Was ist denn nun aus der guten alten Sheena geworden, die die Ramones einst besangen. Das wissen The Horrors natürlich auch nicht genau. Eine Meinung haben sie aber trotzdem: „Sheena is a Parasite“.

promo@universal