Ein Gespräch mit Stooges-Gitarrist Ron Asheton über das erste Album seiner Band seit dem 1972er Proto-Punk-Werk “Raw Power”.

Zusammen mit MC 5 und einigen anderen “erfanden” die Stooges vor 38 Jahren in Ann Arbour, Michigan, den Punk. Mit drei lauten, orgiastischen Alben verpassten Iggy Pop, die Asheton-Brüder Ron und Scott sowie der Bassist Dave Alexander der den damaligen Zeitgeist beherrschenden Hippie-Bewegung einen lauten und nachhaltigen Schlag ins Gesicht, der die Saat streute, aus der sich die Ramones und später die Sex Pistols bedienen sollten. Eine Pionierleistung freilich, die den Protagonisten außer Anerkennung in Musikerkreisen und bei Journalisten nicht viel eingebracht hat: Außer Iggy Pop, dem es nach Jahren in der Drogenhölle schließlich gelang, eine veritable Solokarriere in Gang zu bringen, war den einstigen Stooges nicht viel Glück beschert. Dave Alexander starb 1975 an einer Überdosis Heroin, die Asheton-Brüder hielten sich all die Jahre mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Bis Iggy Pop die alten Recken 2004 wieder zusammentrommelte. Eine Entwicklung, die nun in “The Weirdness”, der ersten Stooges Platte seit 1974 gipfelt. Wir sprachen mit Ron Asheton über die Aufnahmen.

Jeder weiß, was Iggy Pop all die Jahre gemacht hat, aber was ist mit dir und deinem Bruder?
Nun, wir haben nie aufgehört, Musik zu machen. All die Jahre über war ich in irgendwelchen Bands, habe ein paar kleine Filmrollen gespielt und mit Leuten wie J. Mascis (Dinosaur Jr.), Sean Lennon, Mark Arm (Mudhoney) und den Sonic Youth-Musikern Steve Shelley und Thurston Moore für den Soundtrack des Films “Velvet Goldmine” zusammengearbeitet. Bis dann 2004 Iggy anrief und fragte, ob ich Lust auf ein gemeinsames Projekt hätte. Aus diesem Projekt wurde Iggys letztes Album “Skull Ring”, für das wir ja auch vier neue Stooges-Songs aufnahmen. Kurz danach spielten wir dann zum ersten Mal nach all den Jahren als The Stooges diesen Gig auf dem Coachella Festival und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.

Diese Geschichte hört sich nicht unbedingt so an, als hättest du immer gewusst, wovon du leben sollst…
Um ehrlich zu sein, war ich die meiste Zeit über froh, wenn ich so gerade die Miete zusammenkratzen konnte und genug Geld für ein paar Zigaretten und Katzenfutter hatte. Eine harte Zeit. Aber es ging mir deswegen nie schlecht, ich habe immer gearbeitet. Ich habe in den letzten 30 Jahren tausende von Konzerten gespielt, teilweise für 150 Dollar am Abend, die dann durch die ganze Band geteilt werden mussten. Zusammenfassend muss man sagen: Wenn ich in den letzten 30 Jahren 150 Dollar die Woche hatte, war ich superglücklich.

Das ist unglaublich. Gab es nie Tantiemen von den alten Stooges-Alben?
Nein, wir müssen unbedingt rausfinden, was mit dieser Kohle passiert ist. In all den Jahren haben wir für diese Platten nicht einen Cent gesehen. Da es bei Iggy gut lief, hat er auch keinen Versuch unternommen, rauszufinden, was mit der Kohle ist. Im Gegenteil: Wir hatten sogar enorme Schulden bei der Plattenfirma. All die Jahre war es beinahe so, als hätten wir diese Platten niemals aufgenommen. Erst als einige der alten Stooges-Sachen Mitte der Neunziger weder aufgelegt wurden, fiel ein bisschen was ab. Ich empfinde deswegen aber keinen Groll, sondern bin dankbar, dass ich immer Musik machen konnte.

Wie fühlt sich das denn an, wenn man da sitzt und kaum die Miete bezahlen kann und gleichzeitig all diese neuen Bands über die Jahre sieht, die mit deutlich von den Stooges beeinflusster Musik einen Haufen Geld machen. War da nur Stolz, dass ihr eurer Zeit so weit voraus wart und euch im Nachhinein als so einflussreich erweisen habt, oder nicht manchmal auch eine Spur Verbitterung?
Sowohl als auch. Natürlich ist man stolz, wenn junge Musiker sagen, dass sie wegen uns mit der Musik angefangen haben. Andererseits ist es natürlich ein komisches Gefühl, diese Bands dann Preise entgegen nehmen zu sehen und sie bei ihren Dankesreden in irgendwelchen Glitzerpalästen unseren Namen erwähnen zu hören, während ich in meiner alten Bude hocke und ums Überleben kämpfe. Aber die Geschichte hat ja nun ein glückliches Ende gefunden. Nach all diesen Jahren scheint die Welt nun endlich für die Stooges bereit zu sein. Ich meine, wir hatten damals nie besonders viele Fans, verkauften nicht viele Platten. Das war ja mehr so ein lokales Phänomen. Nun so lange Zeit später um die ganze Welt zu touren und überall vor ausverkauften Hallen zu spielen und endlich einen vernünftigen Plattenvertrag zu haben – das ist ein tolles Gefühl und entschädigt uns für vieles.

Habt ihr denn eure alten Streitigkeiten erst einmal beilegen müssen, bevor ihr die gemeinsame Arbeit wieder aufnahmt?
Es gab eigentlich gar keine richtigen Streitigkeiten, das ist eines der größten Missverständnisse uns betreffend. Tatsächlich hat sich die Band aufgelöst durch Iggys massive Drogenprobleme und unser aller Überlastung und chronischen Erfolglosigkeit. Wir waren ununterbrochen auf Tour, völlig fertig und Iggy war wegen der Drogen körperlich und geistig in einem völlig verwahrlosten Zustand. Als er mich dann 2004 anrief, hatte ich ihn seit 25 Jahren nicht gesehen, Wir hatten ein paar Mal telefoniert, uns aber nie getroffen. Vorher war ich verdammt nervös. Das war so, wie seine Ex-Frau zu treffen oder einen Sohn, der jahrelang im Knast gesessen hat. Wir trafen uns mit meinen Bruder zum Essen und schon nach fünf Minuten lagen wir lachen unterm Tisch und erzählten die alten Geschichten. Und als wir dann ins Studio gingen, war es einfach toll zu erleben, wie problemlos und vor allem schnell und effektiv wir immer noch zusammen arbeiten können. Ich war seitdem mit einigen Bands im Studio, aber so etwas hatte ich nie wieder erlebt.

Kannst du das Gefühl beschreiben, als ihr das erst Mal zusammen auf der Bühne standet?
Das war unfassbar. Als ich beim Coachella auf die Bühne ging…Das war wie eine Reise zum Mond für mich! Seit Jahren hatte ich nicht vor so vielen Leuten gespielt, mir ist ganz schön die Pumpe gegangen. Doch vom ersten Ton an lief alles perfekt, ich ließ mich einfach in die Songs fallen. Anschließend kam Iggy zu unserem Trailer und fragte, ob wir die Zeit für einige weitere Shows hätten, und Scott und ich so: “Yeah, wir haben ihn gekriegt”. Das war mir sehr wichtig: Dass es eben keine einmalige Reunion ist, sondern etwas, das wir von neuem mit Leben erwecken können, das wir am Laufen erhalten.

Ab welchem Zeitpunkt stand der Plan, ein neues Album aufzunehmen?
Relativ früh. Wann immer wir auf der Tour ein paar Tage frei hatten, kamen wir zusammen und schrieben Songs. Ich schnappte mir die Gitarre und spielte, was immer mir einfiel. Iggy saß daneben und wenn ihm etwas gefiel, ermutigte er mich, an diesem Thema weiterzuarbeiten. Er schrieb ein paar Lyrics und wir holten meinen Bruder dazu, um die Drums zu spielen und nahmen dann alles auf einen kleinen Kassettenrekorder auf.

Inwiefern hat sich denn eure Arbeitweise im Vergleich zu früher geändert?
Gar ich mal so sehr. Der einzige Unterschied zu früher ist, dass wir im Studio alle im selben Raum sitzen anstatt in getrennten Kabinen. Ansonsten ist es wie damals im Stooges-Haus.

Was ist Mike Watts Job außer Bass zu spielen?
Nun, er ist unser Bassist, das ist sein Job. Ich kenne Mike schon sehr lange und es ist toll, ihn dabei zu haben. Generell genießen wir die gemeinsame Zeit abseits der Bühne genauso wie die Konzerte selbst. Auch und besonders mit meinem Bruder. Auch Scott habe ich ja all die Jahre kaum gesehen. Er hatte sein Leben in Florida, ich das meine in Michigan. Es macht einfach unglaublichen Spaß, nun mit diesen Typen im Hotel, in Restaurants oder wo auch immer abzuhängen.

Dein Bruder war ja wohl so eine Art treibende Kraft hinter der Stooges-Reunion. Bereits seit Mitte der Neunziger versuchte er, Iggy zu erweichen, oder?
Das stimmt, er hat alles gegeben. Er hat immer den Kontakt zu Iggy aufrechterhalten, ging zu seinen Konzerten und so weiter. Scott wollte unbedingt eine Show zum 20. Bandjubiläum, doch Iggy lehnte damals ab und auch ich war skeptisch. Wie ich erst jetzt herausfand, lag das an Iggys Abneigung gegen diese Art von Veranstaltungen. Er hat kein Interesse daran, so ein Classic-Rock-Tribute-Reunion-Ding aufzuziehen, das sich nur aus der Vergangenheit speist. Das findet er dumm. Er will eine lebendige Band, die sich im jetzt und hier ihre Berechtigung erwirbt. Diese Sache, die wir hier machen, hat einfach noch ein paar Jahre länger gebraucht, um ein wirkliches Leben zu entwickeln – ein natürlicher Prozess. Wir sind heute eine ganz normale Band, die Alben aufnimmt, auf Tour geht und so weiter.

Wo ordnest du das neue Album im Vergleich zu den alten Werken ein?
Nun, es liegt eine große Kontinuität in diesen Songs. Das ist typischer Stooges-Stuff. Es geht um Sex, Wut und, nicht zu vergessen, diesen ganz speziellen Humor, den ich für uns immer für sehr wichtig gehalten habe. Natürlich sind 40 Jahre vergangen und das Album klingt nicht eins zu eins wie “Funhouse”. Aber es ist immer noch simpler, straighter Rock’n’Roll.

Wäre ja auch komisch, wenn ihr Jungs jetzt auf einmal Free Jazz oder so was machen würdet.
Das stimmt allerdings (lacht).

Was sagst du denn dazu, das Iggy nach all den Jahren immer noch über seinen Penis singt?
(lacht) Nun, das wird er immer tun weil er sehr stolz auf diesen Penis ist.

Eine letzte Frage: Habt ihr nun eigentlich den Punk erfunden oder nicht?
Das ist jedenfalls das, was die meisten Journalisten und Musiker sagen. Aber finde ich das auch? In gewisser Weise schon: Wir waren laut, simpel, zornig. Ich selbst würde vielleicht nicht von der Erfindung des Punk sprechen, aber wir waren sicher ein wichtiger Teil in der Entwicklung, die später zu dem geführt hat, was dann dieses Label “Punk” aufgedrückt bekam. Mit Elvis ging es los, dann kamen die Beatles, der britische Garage- und Pub-Rock, schließlich wir und dann die ersten Metal-Bands. All dies fand seinen Niederschlag im Punkrock. Für mich persönlich waren die Stooges einfach simpler Rock’n’Roll, aber wenn die Leute sagen, wir seien die Großväter des Punk, dann kann ich da sehr gut mit leben (lacht).

Ich denke, dass dieses nicht zuletzt wegen eures damaligen Auftretens mit all diesen Exzessen gilt. Während anderorts Peace, Love und Happiness gepredigt wurde, habt ihr als eine der ersten Bands das Publikum beschimpft, euch selbst Verletzungen zugefügt, Nazi-Uniformen getragen – kurzum: jedes auch nur erdenkliche Tabu gebrochen.
Ja, wir waren sehr böse und gemein damals. (lacht)

Wie siehst du euer damaliges Benehmen aus heutiger Perspektive?
Das ist okay, so waren wir halt. Ich bin ohnehin nur der Gitarrist. Für die Ausfälligkeiten war ja vor allem Iggy zuständig während ich mich stets aufs Gitarrespielen konzentriert habe. So drücke ich meine Gefühle, meine Leidenschaft aus. Und Iggy Pop ist halt dieses extrovertierte Bühnen-Vieh.

Text: Torsten Groß