Früher habe ich beim Echo in der ersten Reihe gesessen. Das war eine echt präsidiale Auszeichnung, denn wer vorne sitzt kommt häufiger bei der TV Übertragung ins Bild. Aber es war auch echt ein Scheiß, denn wer ganz vorne sitzt kann die Veranstaltung über nicht rausgehen, rauchen und trinken. Die, die in dieser Branche Spaß machen befinden sich aber meist genau dort, im Vorraum. Diesmal, wie seit 15 Jahren bei jeder Echo-Preisverleihung auch Petra, meine Frau.

Ich befand mich derweil im Berlinale Palast auf dem ersten Rang rechts, Reihe Acht. Neben mir der Journalist Christian Seidel, der nach Petra fragte (“Echo? Ach den gibt es ja auch noch…”), auf der Bühne und später auf der Leinwand Scarlett Johansson und Natalie Portman. Beide haben Sex mit Eric Bana (im Film Heinrich der Achte) und eine muss deshalb später sterben. Das tut der Stimmung im Saal aber keinen Abbruch.

Nach 120 Minuten mit großen Bildern, bunten Kostümen und allerhand Blut gehen alle erwartungsfroh in den Bärensaal zur Party. Alle? Alle bis auf einen. Ich steige auf mein Fahrrad und fahre bei Minusgraden von Berlin Mitte ins Westend zu den Messehallen. Das ist so weit, wie es klingt. Während mir die Nase fast abfriert stelle ich mir vor, wie Scarlett Johansson jetzt tanzt. Ob man in Stalingrad bei klirrender Kälte ähnliche Gedanken hatte?

Als erstes treffe ich auf Dieter-Thomas Heck, der ist gut gelaunt, hat ja schließlich auch einen Sonder-Echo für die Verdienste um den Deutschen Schlager bekommen. Schlager das war früher das, was die Soaps heute im Privatfernsehen sind. Der Rest verdreht die Augen, wenn ich frage was ich verpasst habe. Petra trinkt und raucht mit Anette bei Universal. Das darf man eigentlich nicht (Rauchverbot), aber für Anette gilt heute wohl zu Recht eine Ausnahme. Ihr Auftritt mit Ich und Ich war wohl eines der Highlights für die Musik-Interessierten an diesem Abend. Weshalb sie keinen Echo gewonnen hat, erschließt sich keinem der Anwesenden. Weder rechnerisch und erst Recht nicht inhaltlich.

Die Presse redet am nächsten Tag nicht über Musik. Da das meiste wohl langweilig war, sind zwei Kommödianten Mittelpunkt der Berichterstattung:
Mittermaier und Pocher, beide nicht wirklich Musiker und Sänger, beide nicht Vertreter der sich feiernden Musikbranche, räumten ab. Letzterer indem er Britneys letzten, tragischen Auftritt bei den MTV Video Music Awards nachmacht. Wer’s verpasst hat, hat nichts verpasst:

Die Branche, so konnte man am nächsten Tag lesen, bog sich vor Lachen als sie in Pochers zynischer Inszenierung gezeigt bekam, was aus ihrem ehemaligen Superstar geworden ist. Sie fragte sich nicht, wie Plattenfirma und Management diese öffentliche Vorführung einer sichtbar kranken und verwirrten Sängerin zulassen konnte und wo ihre neuen Superstars heute Abend sind. Andere, scheinbar irrelevante Fragen: Ist Britney noch in der Psychatrie, hat man sie entmündigen lassen, auf welchen Selbstmord soll man wetten? Die Antwort ist Lachen mit Herrn Pocher, der sein Geld primär mit TV Sendungen verdient.

Meine Mutter hat mir mal beigebracht, dass man niemals auf Menschen treten darf, die am Boden liegen. Deshalb sag ich auch nichts mehr über den Abend außer, dass ich ganz glücklich mit dem ersten Rang rechts Reihe Acht war und Scarlett Johansson in natura echt viel besser aussieht als Natalie Portman.

Euer Tim