Seit ihrem letzten Album ‘Get Behind Me Satan’ war um das Duo aus Detroit, Michigan ziemlich ruhig geworden. Und so häuften sich immer wieder Gerüchte, die White Stripes hätten das Handtuch geworfen und die erfolgreiche musikalische Partnerschaft zugunsten anderer Projekte wie Jack Whites überaus erfolgreicher Zweitband The Raconteurs aufgekündigt. All jene Mutmaßungen erweisen sich nun als falsch. The White Stripes werden am 15. Juli ihr neues Studioalbum ‘Icky Thump‘ veröffentlichen.
Das lange Schweigen der Whites hatte indes seine Gründe. Es gab letztlich nicht viel Gutes zu berichten, denn im Zuge des weltweiten Erfolges der letzten beiden White Stripes-Werke wurden auch die Stimmen der Neider immer lauter. “Wir haben uns einfach nicht nach Reden gefühlt”, erklärt Jack White lapidar im Rahmen der Presse-Audienz, die Jack und Meg Ende März in Nashville geben. Gerade Jack setzte die Missgunst, die ihm von Seiten alter Weggefährten und Freunde aus der Detroiter Szene um Bands wie The Von Bondies, Whirlwind Heat und den Detroit Cobras entgegenschlug, ernsthaft zu. Die hinreichend dokumentierte Auseinandersetzung mit dem Von Bondies-Sänger Jason Stollheimer, der sich in zahlreichen Interviews unmissverständlich abfällig über seinen früheren Freund und Co-Produzenten geäußert hatte, illustriert anschaulich das ganze Ausmaß der Überwerfungen. Für sieben gezielte Schläge in Stollsteimers Gesicht musste White damals mit einem Anti-Aggressions-Training und einer Bewährungsstrafe büßen. Kurz darauf ging es nochmals vor Gericht, diesmal mit dem ehemaligen White-Stripes-Co-Produzenten Jim Diamond, der seine angeblichen Verdienste nachträglich in Bares umwandeln wollte.
Icky Thump Video
Der Gedanke, Detroit den Rücken zu kehren, drängte sich also unweigerlich auf. “Wenn du arbeitest und versuchst, kreativ zu sein, kannst du dich nicht die ganze Zeit mit den Problemen anderer aufhalten. Du kannst nicht dein Leben nach anderen ausrichten und immer höflich sein. Solche Sachen beeinträchtigen deine Kreativität, deshalb mussten Meg und ich uns schließlich ein besseren Platz suchen, um arbeiten zu können.” Meg ging nach Los Angeles, Jack entschied sich für Nashville, Tennessee. Keine überraschende Entscheidung, wie Jack erklärt: “Ich wollte schon immer unten im Süden leben. Es war also nur natürlich, nach Nashville zu ziehen. Nicht umsonst nahmen wir ‘White Blood Cells’ in Memphis auf, ich mixte ‘Get Behind Me Satan’ in Memphis und produzierte Loretta Lynns und das Raconteurs-Album hier in Nashville. Meg und ich proben in der Stadt und das neue Album haben wir auch hier aufgenommen. Ich meine, es funktioniert einfach immer in Tennessee! Also dachte ich, es wäre an der Zeit, hierher zu ziehen.”
Das kulturelle Erbe, das der amerikanische Süden bis heute wach hält, scheint Jack Whites musikalischen Wurzeln und auch seinem Wertekatalog zu großen Teilen zu entsprechen. Ob in seinem markanten Gitarrenspiel, in der schlichten Instrumentierung, der minimalistischen Produktion und in der Eingängigkeit seiner Songs – seit jeher brach sich Jacks Faible für amerikanische Folklore, Delta-Blues, Country und Americana im Sound der White Stripes die Bahn. Und auch das kreative Prinzip der White Stripes verrät Jacks unbändige Passion für das Ursprüngliche. Das Zentrum des White Stripes-Kosmos bildet noch immer die Zahl Drei. Sie steht ebenso für die Elemente des Blues – das Storytelling, die Melodie und den Rhythmus – wie für die tragenden Komponenten des White Stripes-Sounds – Gesang, Gitarre, Drums. Sie symbolisiert das Einfache, das Naive. Alle Kreativität habe darin ihren Ursprung, so Jacks leidenschaftliche These. So erklärt sich auch der konsequente Verzicht auf einen Bass.
Natürlich bringt das Leben in Nashville auch ganz praktische Vorzüge mit sich. Immerhin trägt die Stadt nicht umsonst den Zusatz “Music City USA” im Namen. “Es ist eine sehr positive und förderliche Umgebung. Ich meine, jeder auf der Straße ist im Musik-Business. Jeder, den du anrempelst arbeitet entweder bei irgendeinem Musikverlag oder ist selber Songwriter oder sonst was. Natürlich dreht es sich hier hauptsächlich um Country und Western, aber nichtsdestotrotz um Musik. Und es ist echt. Näher kann man dem amerikanischen Folk nicht kommen. Blues, Country, Rock’n Roll – alles hat hier seinen Ursprung.” Dazu kommt noch, dass mittlerweile auch alle anderen Raconteurs-Mitglieder in Nashville leben. Das vereinfacht die zeitliche Abstimmung zwischen seinen Bands und so konnte Jack in der Zeit, die ihm zwischen der Fertigstellung von ‘Icky Thump’ und dem Tourstart der White Stripes im Juni blieb, zusammen mit Brendan Benson und Co. mal eben den Nachfolger des viel beachteten Raconteurs-Debüts einspielen.
Jacks Third Man Studio steht nun also in Nashville. Einschneidende musikalische Veränderungen hatte der Umzug aber nicht zur Folge. Zwar finden sich auf ‘Icky Thump’ deutliche Country-Referenzen. Diese seien aber nicht notwendigerweise mit dem neuen Umfeld in Verbindung zu bringen. “Auf dem neuen Album haben wir mit ‘Effect And Cause’ und ‘You Don’t Know What Love Is’ zwei Country-Songs. Doch auch auf unseren älteren Platten finden sich etliche Country-Nummern wie ‘Hotel Yorba’, ‘Now Mary’ oder ‘Little Ghost’. Wir waren schon immer Country!”, stellt Mr. White unmissverständlich klar. Darüber hinaus setzt ‘Icky Thump’ jedoch deutlich andere Akzente als das von Piano- und Orgelklängen dominierte Vorgängeralbum ‘Get Behind Me Satan’. Meg und Jack besinnen sich wieder auf die teils brachiale Kraft elektrischer Gitarren, weite Teile von ‘Icky Thump’ klingen so rau und hart wie selten zuvor. Die gleichnamige erste Single gibt die Richtung vor: Drohend stampfen Gitarre und Drums auf den Refrain zu während sich Jack, dem Wahnsinn nahe, durch die Strophe schreit. Der folgende Refrain kommt ohne Gesang aus. Ein schmieriges Riff, das in einer saucoolen Abwärtsbewegung alles zusammenfasst, wofür Rock jemals eintrat, genügt. Das Album nach seinem Opener zu benennen ist also nur konsequent. Aber was bitte, hat dieser Titel zu bedeuten? “‘Icky Thump’ ist ein Ausdruck aus Nord-England, den meine Frau sehr oft verwendet. Es ist ein überraschter Ausruf. So wie ‘Was zum Teufel?!’ oder ‘Guck, was passiert ist!'”, erklärt Jack.
Im weiteren Verlauf des Albums zeigt sich einmal mehr, wie groß der musikalische Fundus ist, von dem die Whites mittlerweile zehren. Ob ‘Conquest’, das mit tiefer gelegten Fuzz-Gitarren losrockt und ein speed-metaleskes Call-and-Response-Duell zwischen Trompete und Gitarre wagt oder ‘Prickly Thorn, But Sweetly Worn’, ein Hochgesang aufs schottische Hochland, der nicht mit Dudelsack-Klängen und zünftigen “Li De Li De Li Oh’s” spart – Jack White kann sich, so scheint es, mittlerweile alles erlauben und schöpft aus dem Vollen. ‘Little Cream Soda’, der härteste und mitreißendste Song auf ‘Icky Thump’, ist eine brachial-primitive Ode an die Vergangenheit. Nachdem sich Metal-Licks ein Duell mit brutal übersteuerten Power-Chords geliefert haben, beginnt Jack die Erzählung mit resigniert gekrächzten Dreizeilern, die stets mit einem nachdenklichen “Oh Well” quittiert werden.
Letztlich demonstriert ‘Icky Thump’ eindrucksvoll, dass das Modell White Stripes auch im zehnten Jahr seines Bestehens keine Abnutzungserscheinungen aufweist. Das ist in erster Linie den einmaligen Songwriting-Fähigkeiten Jack Whites zu verdanken. Sie sind die größte Stärke dieser Band und machen das sechste Album der White Stripes zu einem ihrer besten.
Die minimalen musikalischen Mittel, mit denen die White Stripes arbeiten und die ihnen eigene reduzierte Produktionsweise, unterstreichen demnach vor allem, worum es ihnen letztlich geht: den Song. Eben deshalb war es in der Vergangenheit bereits unzutreffend, die Musik der Band auf die Bezeichnung “Garage-Rock” zu reduzieren. Eine klare Einordnung des Sounds der White Stripes wird auch in absehbarer Zukunft ein schwieriges Unterfangen darstellen.
Text: Michael Schneider
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