Der Morgen nach dem Konzert der Tiger Tunes in Hamburg. Auf St. Pauli kommt mir ein wirklich hübsches Mädchen entgegen. Sie trägt ein T-Shirt mit dem hinreißend süßen Tiger. Ich lächle sie an, doch sie zischt nur: „Was gibt es da zu grinsen?“ Ich lächle weiter, deute auf den Tiger und sage: „Ich weiß wo du gestern Abend warst.“ Nun grinst auch sie: „War gut, ne?“ Leider habe ich sie nicht nach ihrer Telefonnummer gefragt. Heute könnten wir gemeinsam und händchenhaltend vor der Stereoanlage sitzen und uns das Album „Absolutely worthless compared to important books“ anhören. Tiger-Tunes-Sänger Mr. H. findet das ganz normal: „Die Menschen verlieben sich immer auf unseren Konzerten. Wir machen die Leute glücklich, dann sehen sie schöner aus.“
Man mag in die Klischeefalle tappen und diese bescheidene Form von Wahnsinn typisch dänisch finden. Die Fans des Quintetts aus Aarhus wussten ihn auf jeden Fall von Anfang an zu schätzen. Erst zwei MP3-Dateien kursierten im Sommer 2001 im Internet, dennoch waren damals gleich 200 Menschen auf das erste Konzert dieser Band neugierig. „Das war ein ziemlich gutes Gefühl“, erinnert sich Mr. H., „als ich in meiner Stadt an einem offenen Fenster vorbeiging und sich dahinter jemand unsere Musik anhörte.“ Mit ihrer LoFi-Electronica-Version von Rock – ein Widerspruch? Dazu kommen wir später – räumten die Tiger Tunes zumindest alles ab, was es in ihrer Heimat zu erreichen gab. Sie spielten als erste Band ohne einen Plattenvertrag in einem Jahr auf allen drei großen Open Airs in Dänemark – Roskilde-, Mydtfyns- und Skanderborgfestival. Ihre drei Singles toppten sofort in den P3 Charts, und sie gewannen 2004 den Steppeulv, das dänische Pendant zum deutschen Echo-Preis, als Hoffnung des Jahres. Da wurde es langsam Zeit für den internationalen Einsatz, und es ist nicht verwunderlich, dass über den Eintritt von V2 in die kleine Tiger-Tunes-Familie von allen dänischen Tageszeitungen berichtet wurde.
Und wie war das nun mit dieser Mischung aus elektronischen Einflüssen und Rock? „Wir haben den großen Vorteil, dass wir zwei Bands auf einmal sind“, erläutert Mr. H., „wir haben zwar diesen Underground-Background, wollten aber eigentlich elektronische Musik mit der Wärme von LoFi-Produktionen spielen.“ Diese zwei Herzen, die in der Brust des niedlichen Tigers schlagen, leben sie nun voll aus. Auf ihren Platten basteln sie solange an Beats, Keyboard-Sounds, Gitarrenriffen und Gesang, bis sich die Stücke zu kleinen Perlen aufbauen. Auf Mr. Q.s holprigem Schlagzeug sitzen bequem die Harmonien aus Maries Keyboards und Knös Gitarren, der Bass von Lasse Lakken sorgt für ein solides Fundament für Mr. H., der mit seiner eingängigen und engagierten Stimme die catchy Melodien singt. Und während man anderen Bands immer anhört, wo ihre musikalischen Wurzeln liegen, erinnern die Tiger Tunes zwar auch an die 80er Jahre, bleiben aber stets eigenständig und im besten Sinn modern.
Auf der Bühne dagegen zeigen die Dänen ihre andere Seite und beweisen, dass sie auch genau wissen, was Indierock ist. Ihre Konzerte verstehen sie nicht als Konzerte, sondern als Shows. Wer ihre Auftritte besucht, so lautet ihre Philosophie, der hat auch den Anspruch auf Rock, Vollgas und verrückte Gimmicks. „Wir wollen laut sein und wir wollen den Zuschauern etwas ganz anderes bieten als das, was sie schon von Platte kennen“, sagt Mr. H. Dann werden die Sounds gitarrenlastiger, die Schlagzeugschläge dreckiger, und der Sänger und die Keyboarderin schaukeln sich gegenseitig zu wahnwitzigen Tänzchen auf. Aus feinen Melodien werden Hymnen, aus Elektroharmonien werden Riffs, aus Frickelmusikern werden Rampensäue.
Damit greifen die Tiger Tunes seit vergangenem Jahr endlich auch außerhalb Dänemarks an. Sie spielten bei Rock am Ring sowie Rock im Park und bestritten auf persönlichen Wunsch der Berliner das Vorprogramm zur „Wir sind Helden“-Tour im vergangenen Jahr und werden auch 2005 wieder mit der deutschen Vorzeige-Indieband unterwegs sein. Durch die Tour wurde auch hier zu Lande die Anhängerschaft immer größer. Längst sind die Tiger Tunes kein Geheimtipp mehr. Ihre Fans lieben die fünf Musiker und schließen sich ihrem Wahnsinn an. „Wir haben einen überdimensionalen Holztiger, der uns auf allen Touren begleitet“, erzählt Mr. Q., „dem wurde auf dem Open Air in Schwichtenberg der Kopf gestohlen.“ Die Diebe wurden jedoch von Reue überwältigt und gaben das Teil während des danach folgenden Hamburg-Konzert wieder zurück. „Diese Jungs aus Rostock haben echt ein Video und ein Musikstück produziert, eine eigene Homepage gestaltet und kamen dann bei diesem Konzert zum zweiten Stück auf die Bühne und hatten unseren Tiger dabei“, sagt Marie, „das nenne ich doch wirklich eine Familie.“
Eine Familie, in der man gerne der Schwippschwa-ger wäre, mindestens. Oder besser doch der Bruder oder die Schwester. So bleibt mir nur die Hoffnung auf das nächste Tiger-Tunes-Konzert in Hamburg. Dort treffe ich vielleicht die Schöne wieder, wir heiraten sofort auf offener Bühne und die Tiger Tunes spielen ihre Version des Hochzeitsmarsches dazu. Eine schöne Vorstellung.
Eberhard Spohd
Tiger Tunes sind:
Mr. Q. – Schlagzeug und Programmierung
Mr. H. – Gesang
Knø – Gitarre
Marie – Keyboards, Gesang
Lasse Lakken – Bass und Keyboards
LIVE: Support von Wir sind Helden
21.04.05 Rostock; Scandlines Arena
22.04.05 Hannover; Capitol
24.04.05 Hamburg; Große Freiheit 36
25.04.05 Hamburg; Große Freiheit 36
28.04.05 Offenbach; Stadthalle
29.04.05 Ch-Zürich; X-tra Limmathaus
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