(Foto: City Slang Records)
Wye Oak schenken uns am 25.04.2014 ein neues Album. Shriek heißt das mittlerweile dritte Baby von Jenn Wasner und Andy Stack, die im heimischen Baltimore seit High-School-Zeiten zusammen Musik machen. Seit dem letzten Album Civilian, mit dem ihnen der Eintritt in die hohe Liga gelang, hat sich einiges verändert: man lebt mittlerweile mit größtmöglichem Abstand an zwei unterschiedlichen Enden der US of A; außerdem fanden allerlei neue Instrumente ihren Weg ins Œuvre. Bass, Klavier und Synthesizer heißen die neuen Spielkameraden – und alles nur, um dem personifizierten Feind, der Gitarre, ein wenig entkommen zu können. Wir trafen uns mit Jenn, Kopf und Stimme von Wye Oak, in Berlin, um über die „4 Stufen des Erwachsenwerdens“, die auf der neuen Platte verarbeitet werden, zu reden.
Was auffällt? Wye Oak hauen die Gitarren größtenteils raus und bringen stattdessen Synthesizer ins Spiel. Noch eine Indie-Band, die sich dem Elektro-Dream-Pop-Zeitgeist unterwirft und sich in feinsten neonfarbigen Seidenblousons auf der Bühne einhüpft? Nein, hold up, hold up! Bei Wye Oak ist Vieles gleich geblieben: auf einem runden Album ersetzen die Texte locker als eine Art katharsische Reinigung eine psychologische Sitzung für all die, die sich Mitte 20 mit neuen Fragen und Verwirrungen konfrontiert sehen – also, äh, allen. Verändert hat sich vor allem Jenn Wasner als Texterin, deren Songs in der Tat noch stark autobiographische Bezüge haben. Fünf Jahre alte Songs, wie auf Civilian, bleiben deshalb auf Tour gerne ungespielt. Erklärung? Sehr plausibel: „Wer will schon ständig mit seinem Teenager-Ich konfrontiert werden? Das ist peinlich.“
motor.de: Während der Produktion für euer neues Album, "Shriek" habt ihr an nicht am gleichen Ort gelebt. Lief das über Skype oder wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
Jenn Wasner: Wir haben tatsächlich so weit voneinander entfernt gewohnt wie nur möglich – ich in Portland und er in Baltimore. Alles lief über Aufnahmen und das ehrlich richtig gut. Ich musste eine Aufnahme machen, wenn ich mit Andy etwas teilen wollte. Weil ich also zum Aufnehmen während des Schreibens gezwungen war, konnte ich automatisch komplexere Dinge schreiben; rhythmisch und musikalisch. Wenn überhaupt, lief es besser. Das letzte Mal, dass wir zusammen in einem Raum gearbeitet haben, war nämlich das letzte Mal, dass wir gestritten haben.
motor.de: Wusstet ihr auch über die Distanz immer, wo der andere mit einer Song-Idee hinwollte? Im Gegensatz zum tagelangen gemeinsamen Verbarrikadieren in irgendeinem Keller stell' ich mir das schwierig vor.
Jenn: Das Gute daran war aber, dass wir Zeug unabhängig bearbeiten konnten, man musste sich erst mit einer Idee gut fühlen, bevor man sie verschickt. Wenn du dir erst die Zeit nimmst, da durchzusteigen, wo du hinwillst, anstatt das Erste was dir in den Kopf springt, auszuspucken.
motor.de: Wenn's dann eine Änderung am Material gab, war niemand beleidigt?
Jenn: Es war echt ziemlich Drama-frei. Wir hatten einen langsamen aber stetigen Kommunikationsstil am Laufen und konnten auf den Ideen des Anderen aufbauen. Wir machen jetzt seit ungefähr zehn Jahren gemeinsam Musik und unser gemeinsames musikalisches Vokabular ist so tief, dass wir nicht mehr notwendigerweise in einem Raum sein müssen, um etwas zu schaffen.
motor.de: Bei „Shriek“ habt ihr die für euch so charakteristischen Gitarrenwände gegen Synthesizer eingetauscht – was momentan für viele Indie-Bands ganz gut zu laufen scheint. War die Entscheidung dazu für euch einfach nur Ergebnis des Zeitgeists – oder wie kommt man darauf?
Jenn: Die Sache hatte für mich weniger mit der Richtung in die ich musikalisch gehen wollte zu tun, als mit der Tatsache, dass die Gitarre das Symbol für eine Menge negativen emotionalen Ballasts geworden ist, durch den ich mich während der „Civilian“-Tour gearbeitet habe. Das war eine echt harte Zeit, wir waren einfach sehr sehr überarbeitet, überfordert und erschöpft.
Aus irgendeinem Grund hat mir die Gitarre dieses Mal einfach keine Songs gegeben! Um schreiben und schaffen zu können, musste ich die alten Werkzeuge loslassen und mich daran erinnern, dass es mir erlaubt ist, Musik auf jede Art und Weise zu schaffen, die ich wollte. Also habe ich Bass, Klavier und allerlei Zeug gespielt, um über die Schreibblockade hinweg zu kommen und Dinge zu finden, mit denen ich mich wohl fühle.
Die Leute erwarten vielleicht bestimmte Dinge von dir, aber es ist nicht dein Job, die Erwartungen auch zu erfüllen.
motor.de: Die Entscheidung für Synthesizer war also eine persönliche. Gerade kommen sich trotzdem sämtliche Genres näher und näher und klingeln ähnlicher – wegen des elektronischen Einflusses im Sound. Wie siehst du die Entwicklung in der Popmusik und was denkst du, wo sie hingehen wird?
Jenn: Für eine kreative Person ist es sehr hart nicht von den Dingen, die um sie herum passieren, beeinflusst zu werden – aber vieles davon passiert unbewusst. Du bist wie ein Schwamm, saugst die Dinge, die du hörst, die dir was bedeuten oder dir Spaß machen, ohne Intention auf. Diese Sachen werden dann einfach ein Teil von dir: Du filterst deine Arbeit durch diesen Schwamm. Auf der anderen Seite verfestigen sich dann unweigerlich Einflüsse davon in dem Zeug, das du machst. Ich sage nie „Oh, ich will was machen, dass sich so und so anhört“! Ich denke also, dass es natürlich ist, wenn das Spektrum der persönlichen Einflüsse größer ist – weil es das auch sein sollte! Die Leute sollten Inspiration aus den Dingen ziehen, die sie umgeben – wo auch immer sie die finden können!
motor.de: Auf eurer Webseite steht, das Album sei eine Erzählung von Desorientierung, Verlust, Erneuerung und Ermächtigung. Ist "Shriek" so etwas wie die Verkörperung der „4 Stufen des Erwachsenwerdens“ im Gegensatz zu den „5 Stufen der Trauer“, die uns jede US-Serie um die Ohren knallt?
Jenn (lacht): Ja, das ist 'ne gute Interpretation! In vielerlei Hinsicht war das Album mein Weg damit klarzukommen, wer ich als Person geworden bin. Mit der letzten Platte waren wir ziemlich erfolgreich, die Leute haben sie gemocht, wir sind auf Tour gegangen – das war cool. Aber du sitzt dann viel länger mit dieser Sache fest, als du es erwartest und beabsichtigt hättest. Je mehr Zeit du damit verbringst, desto mehr löst du dich eigentlich emotional davon. Ich war dazu gezwungen, weiter diese Person zu mimen, die ich im Moment des Songwritings war, anstatt die Person, die ich jetzt bin. Mir wurde ein wahnsinniges Gewicht abgenommen, für die neue Platte Songs zu schreiben. Ich konnte sagen, was ich sagen wollte, wie ich es wollte. Mir das zu erlauben – ohne Angst vor Auswirkungen oder was die Leute davon denken könnten – hat sich echt gut angefühlt! Die Anerkennung anderer ist kein Ersatz für deine eigene Anerkennung deiner Arbeit gegenüber; wenn jeder auf der Welt deine Platte liebt, aber du nicht – das hilft dir nicht, eine emotionale Abhängigkeit aufzubauen.
motor.de: Wenn du die alten Songs performst, fühlt sich das an wie einen fünf Jahre alten Tagebucheintrag zu lesen und zu denken „Scheiße, hab’ ich das echt geschrieben?“ Musst du da richtig … schauspielern?
Jenn: Exakt! Es ist ja nicht so, als hätte ich die Sachen damals nicht gefühlt, aber Gott, das ist fünf Jahre her! Das ist eine Form von Schauspielerei, aufzustehen und die Songs überzeugend zu singen! Danke also, dass du das sagst. Die meisten Leute glauben mir das einfach nicht und meinen nur „Ach komm, heul nicht rum und spiel die Songs! Die sind super!“
Wer will schon ständig mit seinem Teenager-Ich konfrontiert werden? Das ist peinlich. Und deshalb kann ich manche Songs einfach nicht spielen.
motor.de: Wie reagiert denn das Publikum, wenn du einen Song einfach nicht spielst?
Jenn: Mir kommt’s schon so vor, als seien manche traurig. Aber es hilft, ihre Begeisterung über einige Songs zu sehen. Für mich fühlt sich das dann weniger überflüssig an, wenn zumindest Irgendjemand eine emotionale Erfahrung damit verbindet – wenn ich es schon nicht bin (lacht).
motor.de: Auf eurer Seite steht zum Album außerdem „Am Ende geht’s um eine Person, die ihren Kosmos ins Gleichgewicht gebracht hat.“ Und mir scheint das Album eine runde Sache zu sein. Was war da die Wechselwirkung: Hat das Schreiben das Leben in Ordnung gebracht oder das Leben die Songs?
Jenn: Es ist ein sehr nach innen gerichtetes Album und handelt halt mehr davon, wie ich mit mir selbst klargekommen bin. Ich musste erst lernen, mich zu akzeptieren und mich auch ab und an für Sachen zu loben, die ich gut kann. Es dreht sich alles um diese Momente der Selbstliebe und darum, Frieden innerhalb dieser ganzen Angst und Scham zu finden, die jeder irgendwie mal verspürt. Das ist eben die einzige Möglichkeit, wie man’s schafft. Wenn du eine Blockade zwischen dir und deinem Wesen hast, ist es ziemlich ziemlich schwer, dich auch nur irgendwie dazu zu kriegen, was einigermaßen Anständiges zu schaffen – im Sinne von Musik als Kunst.
motor.de: Du verbringst jede Menge Zeit in der Umgebung von anderen Musikern.
Jenn: Ja, aber auch eher zufällig. In Baltimore ticken sowieso viele Leute ähnlich. Was ich daran mit am Tollsten finde, ist die Tatsache, dass die Leute enorm unterschiedlich klingende Arbeit machen. Es gibt keinen einheitlichen Sound, obwohl es wahnsinnig viele Kollaborationen und überlappende Zusammenarbeit gibt. Du hast diese ganzen Musiker, deren Musik sich kein bisschen gleicht, die aber dennoch zusammenarbeiten – und das ist mit das Aufregendste für mich.
Ich würde aber sagen, dass ich mich weniger mit dem Typ „Musiker“ umgebe als mit Menschen, deren Auftreten, ihre Arbeitseinstellung und Beziehung zur Welt inspirierend ist. Menschen, die sich der Kunst genauso hingeben wie anderen und die aufgeregt über das Leben sind. Ich habe viele solche Leute in meinem Leben und kann echt dankbar sein, jeden Einzelnen von ihnen zu kennen. Ich mache meine Arbeit zu allererst für mich – aber an zweiter Stelle für sie.
Vera Jakubeit
Wer sich mit Wye Oak auf eine kleine Liaison zwischen sphärischer Trance und Tanz einlassen will, hat ab Mai auf großer Europatour die Chance dazu.
31.05. Mannheim – Maifeld Derby Festival
02.06. Köln – Studio 672
03.06. Hamburg – Prinzenbar
04.06. Berlin – Lido
05.06. München – Strom
Karten kann man sich entweder kaufen oder als glücklicher (Umland-)Berliner eine Mail mit Betreff Wye Oak an assistenz@motor.de schicken. Für die Show im Lido verlosen wir 2×2 Tickets!
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